Durchregieren

Ein Beitrag von Dr. Albert Wittwer

„Der demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Die Gewaltenteilung (Gesetzgebung, Justiz, Vollziehung) schützt den Menschen vor der Willkür und dem Herrschaftsanspruch der Regierenden. Sie ist in der koalitionsberittenen Regierungsform noch mehr gefährdet als ohnehin. In Zentraleuropa ein junges Pflänzchen nach soviel Herrschaft von Gottes Gnaden, Auserwähltheit, spätem Parlamentarismus und wohltrainierter Obrigkeitsfrömmigkeit leidet sie nicht nur unter dem Clubzwang, der das Parlament aushebelt. Neu auftritt der Wille zum Durchregieren – bis in die letzte Amts- oder Klassenstube.

Die „Erlasse“ der Minister und ihrer „Kabinette“ erleben eine Hochblüte. Alles muß geregelt, vorgeschrieben werden, denn dem Urteil, der Interpretation des Rechtes durch die Beamtinnen, der Lehrer ist nicht zu trauen. Also werden ihnen Generalsekretäre vorgesetzt. Auch im real existierenden Sozialismus der UDSSR wurde jeder höhere Beamte durch einen Politkommissar „unterstützt“.

Es ist nicht so, daß die Regierenden hohen Respekt vor dem Gesetz hätten. Sie ändern es im Lari-FariEilverfahren mit ihrer kleinen Parlamentsmehrheit – wenn es ihnen in den Kram passt. Dabei übersehen sie gerne die Verfassung. Oder die in Verfassungsrang stehenden internationalen Abkommen. Speed kills. Ihre Berater sollen ja vor allem eines sichern und das ist nicht unbedingt unser aller Wohlergehen, sondern ihre Wiederwahl.

Die Gesetze aber sollen einen Nutzen für uns, die Rechtsunterworfenen, stiften. Oft müssen die Beamten, die sie anwenden, einen Ausgleich sich widersprechender Interessen suchen. Der Klassiker ist wohl: Naturschutz und (überkommene) Industriepolitik, modern Sprech: Standortsicherung. Vor der Willkür der weisungsgebeutelten Behörden schützen uns, das mündige, nicht gleichgeschaltete Volk, die Gerichte und auch die freie Presse. Die Gerichte immerhin solange, als die amtierenden, hochqualifizierten Richter nicht ersetzt sind. Aber immerhin kann man sie doch aushungern, Nachbesetzung verzögern, die Gerichtskanzleien kaputtsparen.

Wenn die Asylwerber arbeiten möchten, einen Lehrberuf lernen möchten, steht dem leider, leider ein Gesetz im Weg. Mögen die Fabriken und Handwerker auch dringend Werktätige, Auszubildende benötigen. Wenn die Lehrerinnen und Lehrer bestimmte pädagogische Einsichten, Erkenntnisse umsetzen wollen, etwa die verbale Beurteilung sehr kleiner Schüler anstelle von Ziffernnoten, wozu? Gibt es einen Spielraum in der Auslegung – kommt die Weisung. Wie die Geistlichen überkommener Religionsdisziplin predigen sie: Gesetze sind einzuhalten. Als gäbe es keine Rechtsauslegung, keine unbestimmten Gesetzesbegriffe, kein Ermessen, niemals.

Lästig sind auch die Staatsanwälte. Sie haben teils richterlich-ähnliche Befugnisse, sind zwar weisungsgebunden und im Bereich der „niederen Kriminalität“, wo man ständig an den Stellschrauben dreht, als ließe sich ein Mißbrauch durch höhere Strafdrohung verhindern, bei Obrigkeit und dem gesunden Volksempfinden beliebt. Aber wenn es um den großen Betrug, die hohe Veruntreuung, Unterschlagung geht, die ja oft Staatseigentum (staatseigene oder nahe Betriebe) betrifft, sehr unangenehm. Obwohl in der Geschichte der Republik kaum jemals ein konservativer hoher Funktionär verurteilt wurde, wird den Korruptionsstaatsanwälten ideologische Verirrung vorgeworfen. Klar, die Privatunternehmer passen schon auf, daß ihnen nichts geklaut wird. Aber wer paßt auf das Eigentum der Republik auf?

Kommt das wirklich so gut an, das Durchregieren? Österreich ist nach vielen Kriterien eines der lebenswertesten, erfolgreichsten Länder der Welt. Was wird daraus, wenn man das alles durchkrempelt? Ok, die Zementierung einer Regierungsmehrheit.

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