Im Bezirk Bludenz kennt man Josef Wehinger als „Don Camillo“. Wer ihn näher kennt, der weiß, dass er nicht nur 400 klassische Gedichte und Balladen auswendig kann, sondern auch, dass er ein Jäger und Sammler geschriebener Worte ist.
Von Bandi Koeck
Diese Faszination nach Geschriebenem respektive Gedrucktem rührt beim rüstigen 78-Jährigen nicht von ungefähr. Sobald er Herr über die Buchstaben war und einigermaßen gut lesen konnte, gab es kein Halten mehr bei Josef Wehinger. Er verschlang jeden Text, den er irgendwo fand, las Werbeplakate genauso wie Verbotstafeln und natürlich die Zeitung. „In der Volksschule oder an Muttertagen“ erinnert sich der weißhaarige Bartträger mit runder Brille an frühe Kindheitstage zurück, „da hieß es immer ‚Josef, du bist dran‘“. Zeit seines Lebens habe er bevorzugt Lyrikbände gelesen. „Ich las so lange, bis ich es auswendig konnte“ erklärt Wehinger, dessen Fundus stolze 400 Gedichte und Balladen der Klassik beinhaltet, auf den er themenspezifisch in seinem auf Lyrik gedrilltem Hirn jederzeit zurückgreifen kann. Es sei kein Problem, dass er mit dieser Gabe ohne sich zu wiederholen mehrere Abende gestalten könne. Die Liebe zur Lyrik sei gewachsen wie eine Beziehung. Während eines Spitalsaufenthaltes bekam er von einem Zimmerkollegen „Ein Mensch“ von Eugen Roth. Seitdem zählt der deutsche Dichter, der durch seine humoristischen Werke Bekanntheit erlangte, zu seinen Favoriten. Dass Roths Werke einerseits lebensnah sind, andererseits die menschlichen Schwächen mit Humor aufdecken, findet der passionierte Lyrikfan toll. Wehinger macht es Freude, wenn er die verschiedensten Gedichte in Gesellschaft rezitieren darf. Vor zwei Jahren begann er deshalb Rezitationsabende zu veranstalten, zu denen er Interessierte einlud. Dabei gibt er Klassiker von Goethe, Schiller, Lessing, Eichendorf oder Gryphius zum Besten.
Du bist was du denkst
Das auswendig Lernen und Rezitieren von bereits geschriebener Lyrik ist das eine, denn da gibt es noch die andere Seite: Josef Wehinger verfasst selber Gedichte. Er hat bereits über 1.000 Gedichte, Sonntaten oder Limmericks geschrieben. Darunter befinden sich noch unzählige nicht veröffentlichte. Jedes seiner Gedichte ist aus seinem Alltag entstanden. Da der Pensionist regelmäßig ins Kaffeehaus geht, passiert es öfters, dass er dort vom Nachbarstisch ein Thema aufschnappt. „Es muss alles aus dem Leben gegriffen sein“ betont er seine Intention zum ausgewählten Hauptthema Mensch. „Mich interessiert und fasziniert stets, was der Mensch denkt.“ Das Denken würde uns nämlich ausmachen: „Das, was wir denken, das sind wir.“ Just zu diesem Thema hat der zweifache Vater und sechsfache Opa ein Buch geschrieben. Das Hauptthema habe er in lyrische Zeilen verstrickt: Der Mensch zwischen Physe und Psyche. Ein Ort, wo sich Lyrik sehr wohl fühlt ist auch der Ort, an dem sich der Ludescher besonders gerne aufhält: Das Theater. Wehinger bezeichnet die Bretter, die laut Shakespeare die Welt bedeuten, als sein Leben. 35 Jahre lang bereiste er als Reisekaufmann für Mode ganz Österreich, Oberitalien und Bayern. Der Ludescher war als Vermittler zwischen Erzeuger und Handel tätig und stellte neue Kollektionen den verschiedenen Kaufhäusern vor. Egal wo er sich gerade befand, er ging stets ins Theater, sei es in Kärnten, Wien oder Bregenz. So lag es auf der Hand, dass er dieser Passion auch in der Pension nachgehen musste. Gleich nach seiner Pensionierung im Jahr 2000 trat er der Feldkircher Theaterwerkstatt von Prof. Fidel Schurig bei. „Fünf Jahre lang besuchte ich dort den Kurs und machte anschließend neun Jahre lang alle Produktionen mit.“ Wehinger war nicht nur wegen seines Aussehens (er ist auch als Fotomodell für eine Wiener Agentur tätig) ein gefragter Mann, sondern aufgrund seines schauspielerischen Talents. Das Feldkircher Seniorentheater suchte noch einen Darsteller und warb um ihn. Seitdem spielt er beim Seniorentheater mit und glänzte 2018 im Lustspiel „Die Reise nach Jerusalem“ in der Rolle eines Cholerikers. Aktuell wird für eine neue Produktion fleißig geprobt. „Das Theaterspielen macht mir nach wie vor große Freude, denn ich kann mich in eine Rolle hineinleben und das spielen, was die Rolle verlangt.“ Die Proben im Haus Schillerstraße in Feldkirch seien intensiv, das Niveau hoch. Bei einem neuen Stück wird einmal wöchentlich, drei Monate vor der Premiere bis zu dreimal die Woche geprobt. Beim Seniorentheater gebe es genug Frauen, bei den Männern würde es allerdings mangeln. So seien männliche Rollen schwierig zu besetzen. „Alle männlichen Senioren, die Freude am Theaterspielen haben, sind bei uns sehr willkommen.“
Große Sammelleidenschaft
Josef Wehingers bisheriges Leben ist geprägt vom Aufspüren guter Texte. Was viele nicht von ihm wissen ist, dass er zudem ein leidenschaftlicher Sammler von Druckerzeugnissen ist. Als Jugendlicher im Alter von 14 Jahren begann die Leseratte regelmäßig die Zeitung zu lesen. Es war Mai 1955, der österreichischer Staatsvertrag in aller Munde und Wehinger ein Hauptschüler, der sich begann für politische Themen und das Weltgeschehen zu interessieren. „Ein Bekannter sammelte die Vorarlberger Nachrichten von 1947 bis 1955“ erläutert er die Anfänge seiner Sammelleidenschaft. Dieser habe ihm seine Sammlung weitervererbt und er habe sie fortgesetzt. Die ursprüngliche Idee beim Sammeln sei gewesen, nachlesen zu können. Seither sammelt er. „Vor zehn Jahren wuchsen mir die Zeitungen über den Kopf, denn von den Beilagen bis zum Kleinen Blatt habe ich alles gesammelt.“ Der begehbare Dachboden mit über 30.000 einzelnen Russmedia-Ausgaben sei aus allen Nähten geplatzt. Es stand zudem ein Umzug an. Wehinger verkaufte das Haus und zog in eine Wohnung. Die Lösung hieß: Ein Lager zu mieten. Fündig wurde er in einem ehemaligen Mehllager einer Bäckerei. Der Stauraum dort ist besonders trocken und zudem noch isoliert. Mittlerweile unterhält er das Lager seit zehn Jahren. „Es ist ein relativ teures Hobby, denn Mietkosten, Regale, Inserate gehen ordentlich ins Geld“ so der Individualist, der seine Zeitungen für Firmenjubiläen, Geburtstage, Hochzeiten, Todesanzeigen, Unfälle oder sonstiges an Interessierte für einen Unkostenbeitrag weitergibt. Viele Leute seien besonders daran interessiert, was an einem bestimmten Tag geschehen sei. „Mich befriedigt dabei, wenn jemand etwa eine Zeitung von 1966 angefragt hat, dann suche ich diese heraus und lese sie nochmals, bevor ich sie hergebe.“ Dieses Schwellgen in Erinnerungen, an Dinge, die während seiner Lebenszeit passiert sind und gedruckt wurden, gebe ihm genug Freude, mit dieser Freizeitbeschäftigung weiterzumachen. Selbst die VN kaufe alte Zeitungen bei ihm, besonders jene von den 50er Jahren, da aus dieser Zeit nur mehr Mikrofilme aber keine Originale mehr verfügbar wären. „In der Vorarlberger Landesbibliothek gibt es jede Ausgabe, aber man kann sie nicht mitnehmen, bei mir schon.“ Nächstes Jahr wird Josef Wehinger 80 Jahre und wäre nicht abgeneigt, wenn jemand Jüngeres sein Archiv übernehmen würde.
Zur Person
- Josef Wehinger
- Geboren am 30. Juli 1941 in Ludesch
- Beruf: Reisekaufmann
- Familie: verheiratet, zwei Söhne, sechs Enkel
- Hobbys: Deutsche Dichtung insbes. Lyrik vom Mittelalter bis heute
- Buch: Josef Wehinger: Was der Mensch denkt.
Gedichtbeispiele von Josef Wehinger:
Konsequenzen
Wie bequem und friedlich wäre das Leben
Würde es keine Konsequenzen geben.
Man schaut vorbei, an einem Problem
Weil es lästig ist und unbequem.
Ein Problem nur auf die Seite geschoben,
das heißt auch sich selber angelogen.
Wer denkt, dass er davon erlöst sei,
und das Problem damit gelöst sei,
der irrt, weil was ohne Konsequenz geblieben,
wächst als Problem dann übertrieben.
Es ist viel größer noch geworden
Und hat dir auch deinen Ruf verdorben.
Bis du ihm nicht mehr gewachsen bist,
weil es dir – übern Kopf – gewachsen ist.
Drum, überschreitest du auch deine Grenzen,
so zieh daraus die Konsequenzen.
Ziehst du sie nicht – ziehen sie dich mit sich
Drum zieh lieber du sie – als sie dich.
Alles wiederholt sich
Die Habgier hat wohl nie genug,
zum Brunnen geht solang der Krug,
mit Geldkoffer waren einige da
von der Hype-Alpe-Adria.
Die waschen sich ganz sicher rein
Die fürstliche Bank in Liechtenstein.
Vom Heuwender
Zum Treuhänder
Die angebliche Ehrlichkeit, die ist nur Schein!
Klasse Lyrik