„Die letzten Europäer – Jüdische Perspektiven auf die Krisen einer Idee –
Die Familie Brunner. Ein Nachlass.“ So lautet der vielversprechende Titel der neuen Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems (JMH), welche von 4. Oktober 2020 bis 3. Oktober 2021 während den Öffnungszeiten zu besuchen ist.
Jüdische Perspektiven auf die Krisen einer Idee
75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist Europa von einem Rückfall in nationalistische und fremdenfeindliche Ideologien bedroht. Der europäische Imperativ „Nie wieder!“ wird von Vielen in Frage gestellt, auch hier in Österreich. Zugleich entdecken Europas Nationalisten ihre eigene Fantasie vom „christlich-jüdischen Abendland“ – als Kampfbegriff gegen Zuwanderung und Integration. Die Werte der Aufklärung, die die Grundlage europäischer Verständigung nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts bildeten, werden in ihr Gegenteil verkehrt und so zum Mittel der Abschottung und der Ausgrenzung.
Während der Corona-Pandemie ist die Europäische Gemeinschaft weiter auseinander statt näher zusammengerückt. Nationale Interessen werden gegen europäische Lösungen ausgespielt.
Vor diesem Hintergrund blickt das Jüdische Museum Hohenems auf jüdische Individuen, die angesichts der Zerstörungen Europas und der versuchten Vernichtung der europäischen Juden im 20. Jahrhundert nationale und kulturelle Grenzen überschritten und die universelle Geltung von Menschenrechten erneut vehement einforderten. Anhand ihres Engagements für ein geeintes und friedliches Europa erkundet die Ausstellung gleichzeitig dessen neuerliche Bedrohung.
Die Familie Brunner. Ein Nachlass
Eine umfangreiche Dauerleihgabe an das Jüdische Museum Hohenems ermöglicht einen vergleichenden Blick auf ein europäisches Jahrhundert anhand individueller und familiärer Geschichte. Denn Ausgangspunkt für die Ausstellung „Die letzten Europäer. Jüdische Perspektiven auf die Krisen einer Idee“ ist eine private Sammlung, bestehend aus Briefen und Dokumenten, Memorabilia und Alltagsgegenständen der Hohenemser Familie Brunner, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Triest aufmachte, um zu der rasanten Entwicklung der habsburgischen Mittelmeermetropole beizutragen. Ihr steiler sozialer und kultureller Aufstieg endete mit der Entwicklung Europas zu einem Kontinent des gegenseitigen Hasses und in den Verheerungen zweier Weltkriege, die Teile der Familie in alle Welt zerstreute.
The Very Central European University
Parallel dazu wird das Museum ein Jahr lang Ort einer offenen Debatte über die Zukunft Europas sein, indem es zum Diskurs über die reale und die ideelle Substanz der Europäischen Union aufruft, über Gefährdungs- und Chancenpotentiale, über zukunftsweisende und überkommene Konzepte. Über die europäische Aufklärung wird hier ebenso zu streiten sein wie über ihre Kinder: Säkularisierung und Moderne, Emanzipation und Partizipation, Nationalismus und Gegenaufklärung, Kolonialismus und Kapitalismus. Auch die Europäische Sommeruniversität für Jüdische Studien, die seit 2009 jedes Jahr in Zusammenarbeit mit sechs Universitäten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz in Hohenems stattfindet, wird 2021 im Zeichen der „letzten Europäer“ stehen. Ein Jahr lang wird Hohenems so zu einer „Very Central European University“.