Von Dr Albert Wittwer
Ich kenne niemand, der nicht gerne reist. Früher, als es noch Dias gab und abgedunkelt wurde – oh schlechte alte Zeit – bin ich dann bei der Neuseeland-Reise bei Bildern von Pferden und Schafen eingeschlafen und wieder bei Bildern von Schafen und Pferden auf der Weide erwacht. Im Hintergrund der Pazifik. Eine Fähigkeit, die mir sehr zustatten kam.
Inzwischen waren alle überall. Obwohl es früher natürlich viel besser war. Vor allem waren wir jünger, verliebt, das erste Mal in Rimini. Vermutlich haben wir uns selber bis zum nächsten Besuch mehr verändert als die Destination.
Dazu kommt: Ich neige dazu, den österreichischen Diplomatischen Dienst, in Zeiten der Europäischen Union und der permanenten Kommunikation der Regierenden untereinander, mit und ohne Twitter, als überflüssig zu empfinden. Die „Traveller“ belehren mich eines Besseren. Sie präsentieren Episoden, wie der österreichische Gesandte für die in der Mongolei gestrandete Primarärztin einen Rettungskonvoi organisiert. Ich verstehe, der Diplomatische Dienst als Reisebüro-Extension für Kurzzeit-Minister (Originalton, klagend: „Wurde am Flughafen von Dubai nicht abgeholt“) oder sonst Betuchte mit dem, was sie für Beziehungen halten. Da lobt man sich den oft geschmähten Massentouristen, der sich von TUI betreuen lässt.
Nehmen wir als Beispiel Venedig, statt Salzburg, der Wachau oder Hallstadt. Ein als Italienerin verkleideter Amerikaner, Pseudonym Donna Leon, die gefühlt dreihundert Kriminalfälle in Venedig beschrieben hat, beschwert sich bei jedem Massenmedium, das ihr zuhört, daß sie am Canal Grande, am Rialto und auf der Piazza San Marco nicht mehr allein ist. In Venedig ist seit mehr als hundert Jahren niemand mehr eines unnatürlichen Todes gestorben. Wer einen ihrer außer dem Kolorit fantasielosen Romane gelesen hat, kennt alle. Die Beschreibungen der neudeutsch Location füllen das halbe Buch. Ein weiteres Viertel ist der italienischen Küche gewidmet. So kann man sowohl von der Schönheit schmarotzen als auch von ihrem vermeintlichen Verlust. Tatsächlich ist man selbst während der Biennale nach wenigen Schritten abseits der Hauptattraktionen ziemlich allein, in einem sozusagen ortsüblich natürlichen Ambiente.
Alle beklagen auch die Kreuzfahrschiffe, die wie die UFOs zwischen der Giudecca und Santa Croce zwischen die Palazzi navigieren. Das könnte Venedig jeden Tag verbieten, aber es geht ja ums Geschäft. Ähnlich auch die Reisebusse in den Altstädten Österreichs.
An dieser Stelle möchte ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, reisebedingt mit den sonst für mich typischen volkswirtschaftlichen Kennzahlen verschonen. Es ist uns sowieso klar, Lech oder Brand in Vorarlberg wären traurige Hungerdörfer ohne Tourismus. Warum soll die Schönheit der Architektur, der Landschaft, der Museen und Galerien nicht in demokratischer Weise allen zugänglich sein, allenfalls gegen Anmeldung? Bei meinem ersten Besuch des letzten Abendmales in Mailand spazierte ich in kleiner Gruppe ins Refektorium der Santa Maria delle Grazie. Bei meinem letzten wurde ich zuerst in einer Gesellschaft von fünfzig Personen entfeuchtet. Es gefiel uns trotzdem. Auf den Ayers Rock dürfen nur noch die Frommen mit Stammbaum. Da werden wir uns jetzt verkleiden müssen.
Ich wünsche Euch – spätestens nach der demnächst eintreffenden Corona-Impfung – viel Vergnügen beim Reisen.
Auf Grund von Hinweisen liebenswürdiger Leserinnen möchte ich mich verbessern. Es ist völlig in Ordnung, wenn man Vergnügen an den Krimis von Donna Leon empfindet. Das ging mir früher auch so. Und ich habe mich vielleicht sattgelesen. Und über ihre arrogante Touristen-Kritik geärgert. Ohne Touristen müßte sie dort ausziehen, weil es nichts mehr gäbe.
Außerdem haben die Konsulate vorbildlich die Rückreise von Österreichern während des Corona-Lockdowns aus dem Ausland organisiert. Das könnte allerdings auch ein von den Mitgliedsländern bestelltes EU-Corps Diplomatique.