Von Cicero
„Quo usque tandem…“
Wir leben in schwierigen Zeiten. Wir haben eine Pandemie, von der Viele nicht wahrhaben wollen, dass sie existiert, eben weil die ergriffenen rigorosen Maßnahmen wirken. Jaaa – wir sind gegen das Vorschreiben von Balkonbrüstungen in der Bauordnung, weil in den letzten Jahren kaum wer von einem Balkon gefallen ist…
Die Lage ist kompliziert, weil wir aus guten Gründen eine Verfassung haben, die eine maximale persönliche Freiheit mit möglichst wenig Raum für (staatliche) Willkür zum Ziel hat.
Aber wie figura zeigt, ist eine erhebliche Anzahl von Menschen nicht willens oder nicht fähig, sich so zu verhalten, wie es die Situation erfordert. Sie sind „auf jeden Fall dagegen“, wenn ihnen was vorgeschrieben wird. Und weil die Auswirkungen davon vermutlich gefährlich sind (wer riskiert die Probe aufs Exempel, wie in der Lombardei?), ist die Regierung genötigt, rigorose Maßnahmen vorzuschreiben.
Da steuert also der junge Odysseus mit seiner Truppe unser Staatsschiff nach besten Kräften durch das Chaos zwischen Scylla Corona und Charybdis Verfassung… und etliche Schreiberlinge finden nur was zu meckern…
Für manchen Federfuchser („gekrönt“ – aber auch andere) muss die Zeit ja paradiesisch sein: Verfügt die Regierung tatsächlich wirksame Maßnahmen, kommen sicher aus irgendeiner Ecke Meldungen, die Maßnahmen seien unnötig, überzogen,… weil es gebe eh nur ein paar Hundert Tote (aber: im fernen Hinterarlberg denkt man ernsthaft daran, LKW das Rechts-Abbiegen zu verbieten, weil im vorigen Jahr ein junger Bursche die uralte – aber nirgends festgeschriebene – Regel missachtet hat, dass man den toten Winkel des Blickfelds eines LKW-Lenkers von sich aus meidet, und so im Wortsinn „unter die Räder gekommen“ ist. Man beachte: EINER!!!). Und „zum Drüberstreuen“ kommen dann noch Verfassungsrichter und erklären Verfügungen der Regierung als verfassungswidrig. Na klar muss manches verfassungswidrig sein, weil die Verfassung ja völlig andere Ziele hat(te)! Aber weil die Opposition ja auf jeden Fall und unbedingt gegen die Regierung ist, würde sie auch nie die nötigen entsprechenden Verfassungsänderungen mitbeschließen!
Da genießt man lieber die großartige Gelegenheit, der Regierung risikolos vorzuwerfen, ihre Maßnahmen seien entweder wirkungslos oder verfassungswidrig. Und wenn die Regierung Verordnungen vor der Veröffentlichung noch gründlich redigieren und überprüfen lässt, wird gemotzt, die Regierung sei „paralysiert“ … (dass mancher Kritikaster sich auch noch rühmt, dutzende falsch gesetzte Beistriche als „Fehler“ in der Verordnung zu klassifizieren, zeigt nur, dass er den Boden des Ernsthaften längst unter seinen Füßen verloren hat).
Ernsthaft und ohne Ironie gesagt:
Das Dilemma ist unlösbar!
Wir haben aus guten Gründen seit 100 bzw. 70 Jahren eine Verfassung, die auf maximale Freiheit der Menschen unter den damals bekannten Rahmenbedingungen im Lande ausgerichtet ist.
Jetzt haben wir aber eine Situation (eine Infektionskrankheit, die von Menschen verbreitet werden kann, die noch Tage später keinerlei Symptome zeigen – die aber eine nicht unerhebliche Anzahl von Befallenen unter schlimmen Umständen sterben lässt), die nach derzeitigem Wissensstand (vorläufig) nicht anders bekämpft werden kann, als dass man die persönliche (Kontakt)Freiheit aller Menschen einschränkt.
Derzeit gibt es nur die Möglichkeit, dass Maßnahmen entweder unwirksam sind, oder (leider) der Verfassung und anderen Gesetzen widersprechen
Es verwundert, dass die Verfassungsrichter (oder Gesetzgeber) noch nicht zur Möglichkeit gefunden haben, die „Verfassungswidrigkeit“ von Vorschriften für eine überschaubare und begründete Zeit einfach zuzulassen.
Dass eine ganze Reihe von des Schreibens Kundigen und (derzeit glücklicherweise un-mächtigen) Politikern alles „aus dem Hut ziehen“, womit man auch nur irgendwie auf die Regierung hinschlagen kann, ist eigentlich Grund genug, diesen Leuten beim nächsten Mal die Stimme zu verweigern. Aber auch wieder ein gutes Zeichen, dass sie keine besseren Argumente finden.
Unter der Rubrik „Kolumne“ haben unsere Gastkommentatoren Raum für ihre persönliche Meinung. Diese muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Gsi.News übernimmt auch keine Gewähr für Richtigkeit, Korrektheit und Vollständigkeit des jeweiligen Inhaltes.
Grundsätzliche Zustimmung zum Inhalt und zur Aussage, allerdings warne ich vor der „zeitweisen“ erlaubten Verfassungswidrigkeit von Maßnahmen. Lieber die Verfassung anpasse, auch wenn das schwer ist. Allein das generelle Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sollte freiheitsbeschränkende Maßnahmen verfassungsmäßig sauber rechtfertigen.
Notstandsgesetze setzen verfassungsmäßige Rechte teilweise außer Kraft. Diese Einschränkungen müssen dem Gleichheitssatz entsprechen, d.h. sachgerecht sein. Ein 7×24-Betretungsverbot des öffentlichen Raumes kann das im Lichte der derzeitigen Erfahrungen unmöglich leisten.
Jenseits der Verfassung, mit Notverordnungen zu regieren, das hat es hier schon gegeben.
Auch Gesetze gegen den Defaitismus, die frivole Kritik an der Weisheit der Regierung, war schon einmal obsolet.