Heute fange ich mit einem Wort aus der Bibel an: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Ihr kennt diesen Satz alle und ich finde ihn auch sehr wichtig – ABER lest ihn genau – „wie dich selbst“ steht da – nicht MEHR als dich selbst.
Auf diese Gedanken hin stütze ich meinen heutigen „Brief von Gerd“. Selbstachtung (Self-compassion) bezeichnet eine Richtung der Psychologie, die davon ausgeht, dass man sich selbst mögen muss, um Depressionen, Angstgefühle und Krankheiten zu überwinden. Wir laden in der Nacht unsere Handys..und zwar Nacht für Nacht…WO und WIE laden wir aber unsere eigenen Akkus? – Wast tun wir für uns selbst?
Vielen von uns fällt es leicht, ein Wort des Trostes für andere zu finden, wenn etwas schiefgeht. ABER bei uns selbst? DA sind wir überkritisch, da neigen wir zu Selbstkritik und Schwarzseherei.
Anderen verzeihen wir Fehler leichter als uns selbst – wenn in unserem Leben etwas schiefläuft, wir einen Fehler im Beruf oder im Straßenverkehr machen, unser Partner uns verläßt oder irgend was anderes Schlimmes passiert – dann reagieren viele von uns beschämt. Wir fühlen uns wertlos und klein und drehen uns in unserer eigenen Spirale unserer Selbstvorwürfe.
Sogar bei kleinen Missgeschicken, die wir allen anderen freundlich verzeihen, empfinden wir bei uns selber als riesige Katastrophe. WARUM ist das so?
Weil wir oft denken, dass es nur für Leistung Liebe gibt – UND diese Einstellung stammt fast immer aus unseren Kindertagen. (Eltern die überkritisch waren, immer nur Leistung forderten UND es viel zu selten Lob gab)
DIE LÖSUNG – UNS SELBER mit Verständnis und Liebe zu begegnen – auch und gerade dann, wenn das Leben nicht perfekt läuft. Akzeptieren, wie wir wirklich sind, nämlich unperfekt, menschlich, mit Schwächen, Macken und ganz lästigen Eigenschaften. – Einfühlsam sein zu anderen – ABER gleichzeitig auch zu uns selbst!– Sich selbst ein guter Freund zu sein, ist das Gegenteil von Egoismus!– Von anderen UND von sich selbst nicht zu verlangen, immerzu perfekt funktionieren zu müssen!– Anderen UND sich selbst öfter mal ein nachsichtiges Lächeln zu schenken!– Bewusst einen Schritt zurücktreten und die Sache von weiter weg betrachten!– Aus etwas weiterer Entfernung wird aus einem Elefanten bald eine Mücke!
Also nocheinmal – macht es wie es in der Bibel steht – „Liebt euren Nächsten wie euch selbst“ – ABER liebt eueren Nächsten NICHT mehr als euch selbst. Ihr wisst, dass ich sooo gerne schreibe und auch DAS hilft – mir jedenfalls – ein Tagebuch führen und sich selber aus der Perspektive eines einfühlsamen Freundes ein paar Zeilen schreiben. Denn ein Freund kennt eure Schwächen, er vergibt und er hat große Sympathien für euch. Lasst eure eigenen, positiven Worte für euch selber wirken – Tut gut – probierts mal aus.
Wie können wir aufrecht, kraftvoll, wertbezogen duch die Welt gehen, wenn wir uns selbst nicht mögen. Wie etwas schaffen, wenn wir nicht an uns selbst glauben. Jeder Mensch hat seine EIGENEN Fähigkeiten, seine EIGENEN Stärken…der eine ist künstlerisch begabt, der andere handwerklich, der andere kann ein paar Worte aneinanderreihen und andere gut mit Tieren umgehen. ABER JEDER hat etwas …JEDER… Warum kann ein Elefant nicht fliegen?…es ist so einfach…weil er keine Möwe ist…umgemünzt auf uns…es ist völlig egal, wenn wir Dinge nicht können. Der Schöpfer weiß, wie er dich haben wollte…vertrauen wir darauf..und gehen wir unseren EIGENEN Weg.
Habe noch was gefunden – da schreibt Bernhard von Clairvaux vor 875 Jahren an seinen ehemaligen Schüler, der zwischenzeitlich Papst geworden ist, folgenden Brief. Er schreibt ihn, weil er Angst um seinen „Schüler“ hat, der in seiner Aufgabe als Papst vor lauter Arbeit und Verantwortung „unterzugehen“ droht. Wie wahr sind diese Worte für viele Menschen von uns auch heute noch. GÖNNE DICH DIR SELBST Bernhard von Clairvaux schreibt an seinen früheren Mönch Papst Eugen III:
„Wo soll ich anfangen? Am besten bei deinen zahlreichen Beschäftigungen, denn ihretwegen habe ich am meisten Mitleid mit dir. Ich fürchte, dass du eingekeilt in deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest; dass du dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst.
Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als daß sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht landen willst. Wenn du dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für Besinnung vorsiehst, soll ich dich da loben? Darin lob ich dich nicht.
Ich glaube, niemand wird dich loben, der das Wort Salomons kennt: „Wer seine Tätigkeit einschränkt, erlangt Weisheit.“ (Sir 38,25) Und bestimmt ist es der Tätigkeit selbst nicht förderlich, wenn ihr nicht die Besinnung vorausgeht.
Wenn du ganz und gar für alle da sein willst, nach dem Beispiel dessen, der allen alles geworden ist (1 Kor 9,22), lobe ich deine Menschlichkeit – aber nur, wenn sie voll und echt ist. Wie kannst du aber voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst verloren hast? Auch du bist ein Mensch.
Damit deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für dich selbst ein aufmerksames Herz haben. Denn was würde es dir nützen, wenn du – nach dem Wort des Herrn (Mt 16,26) – alle gewinnen, aber als einzigen dich selbst verlieren würdest?
Wenn also alle Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum sollest einzig du selbst nichts von dir haben? Wie lange bist du noch ein Geist, der auszieht und nie wieder heimkehrt (Ps 78,39)? Wie lange noch schenkst du allen anderen deine Aufmerksamkeit, nur nicht dir selber!
Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sag nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.
BERNHARD VON CLAIRVAUX Zum Ende meines Briefes – vielleicht hilft auch ein Blick in euren eigenen Lebensspiegel, ein Blick in euch Selbst..versuchts mal..
In Gedanken – euer G. Ender (Briefeschreiber) – I write not only for your smile
Wo du recht hast, hast du recht, aber leider ist es leichter gesagt als getan.