Liechtenstein reicht Staatenbeschwerde gegen die Tschechische Republik ein

© Bandi Koeck

Die liechtensteinische Regierung hat in ihrer Sitzung vom 18. August 2020 beschlossen, eine Staatenbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg einzureichen, um die Souveränität des Landes sicherzustellen. Die Regierung sieht die Souveränität des Landes in der Tschechischen Republik derzeit als nicht ausreichend respektiert an.

Hintergrund ist ein aktuelles höchstgerichtliches Urteil, in welchem erneut liechtensteinischen Staatsangehörigen bestehende Grundrechte mit der Begründung entzogen wurden, sie hätten bezüglich der Anwendung der Präsidialdekrete von 1945 als Deutsche zu gelten. Diese neuerliche Anwendung im Jahr 2020 entspricht einer offensichtlichen Missachtung der Souveränität Liechtensteins und der Identität seiner Staatsangehörigen. Um dies zu bekämpfen und damit die Souveränität Liechtensteins zu unterstreichen, wird das Rechtsschutzinstrument der Staatenbeschwerde ergriffen, welches in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist.

Die unzulässige Zuordnung liechtensteinischer Staatsangehöriger als Personen deutscher Nationalität wird seit 1945 in der tschechischen Rechtsprechung immer wieder als Basis für Urteile zu Ungunsten liechtensteinischer Staatsangehöriger angewandt. Anlass für die aktuelle rechtliche Auseinandersetzung sind Urteile und Massnahmen tschechischer Verwaltungsbehörden und Gerichte, die seit 2014 ergriffen wurden. Damals wurde der Fürst von Liechtenstein Stiftung eine Klage eines tschechischen Amtes zugestellt, die letztlich zur Löschung von seit Jahrhunderten bestehenden, erst 2013 bestätigter Eigentumseintragungen im Grundbuch führte. Begründet wurden diese Vorgänge mit der – nachweislich falschen – Behauptung, Fürst Franz Josef II. hätte sich zur deutschen Nationalität im Sinne der tschechischen Präsidialdekrete bekannt. Für die Aufnahme des urkundlich vorliegenden Beweises, dass dem nicht so war, erklärten sich die tschechischen Gerichte als unzuständig.

Die abschliessende Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts vom 20. Februar 2020 führte zu keiner Korrektur der inakzeptablen Vorgangsweise, liechtensteinische Staatsbürger als Deutsche zu behandeln. Damit wurden die falsche Anwendung der Präsidialdekrete von 1945 und die irrtümliche Zuordnung von liechtensteinischen Staatsbürgern zur deutschen Volkszugehörigkeit im Jahr 2020 bestätigt.

Das Verhalten und Vorgehen der tschechischen Behörden und Gerichte führt dazu, dass in über zwei Dutzend weiteren Verfahren einer Reihe von liechtensteinischen Staatsangehörigen ebenfalls entgegen gehalten wird, sie könnten keine Ansprüche in Zusammenhang mit Besitztümern in der Tschechischen Republik aus der Zeit vor 1945 in Anspruch nehmen, da die Klassifikation liechtensteinischer Staatsangehöriger als Deutsche feststehe.

Mit anderen neutralen Staaten, so etwa der Schweiz, war die Tschechische
Republik in den vergangenen Jahrzehnten bereit, bilaterale Lösungen in ähnlichen vermögensrechtlichen Fragen auszuhandeln. Mit Liechtenstein wurden jedoch nie Gespräche über die offenen vermögensrechtlichen Fragen geführt. Die Gesprächsverweigerung geht zu Lasten der Rechtsnachfolger aller 29 liechtensteinischen Staatsangehörigen, denen auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik rechtswidrig Vermögen entzogen und Entschädigungen verweigert wurden.

Die liechtensteinische Regierung geht mit der Staatenbeschwerde gegen die
Verletzung von Grundrechten durch die tschechischen Behörden, insbesondere jene auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens (einschließlich des individuellen Rechts auf die Bestimmung der eigenen ethnischen Zugehörigkeit), den Schutz vor Diskriminierung und den Schutz des Eigentums vor. Die liechtensteinische Regierung kann wegen allfälliger Präzedenzwirkungen nicht hinnehmen, dass die tschechischen Behörden und Gerichte systematisch Liechtensteiner Staatsbürger weiterhin entgegen klarer Fakten als Deutsche klassifizieren. Liechtenstein ist seit 1806 ein souveräner Staat.

Die Regierung ist zur Gewährung des bestmöglichen Rechtsschutzes für ihre Staatsangehörigen verpflichtet. Liechtenstein stellt mit der Staatenbeschwerde nicht die Präsidialdekrete von 1945 an sich in Frage, sondern deren fälschliche Anwendung auf liechtensteinische Staatsangehörige.

Mit Erhebung der Staatenbeschwerde unterstreicht Liechtenstein den Willen, alle offenen Fragen in den Beziehungen mit der Tschechischen Republik auf der Basis des Rechts zu lösen. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der Aussenpolitik Liechtensteins, die sich traditionell für Rechtsstaatlichkeit einsetzt.

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