Die Würde des Menschen

ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.

Von Dr. Albert Wittwer

Fall 1

Drei Ärzte haben den fünfzehnjährigen Brian in der Universitätsklinik Zürich dreizehn Tage lang an Armen, Beinen, am Kopf und am Rumpf fixiert. Die Schmerzen sind kaum vorstellbar. Die Behandlung kann nur als Folter bezeichnet werden. Dem verschlägt es nichts, daß der Junge  –  im Schweizer Rundfunk stets als „junger Mann“ bezeichnet – suizidgefährdet und aggressiv war.

Ärzte sorgen sich um unsere Gesundheit. Sie lindern unsere Schmerzen, stellen unsere Unversehrtheit, Bewegungsfähigkeit wieder her. Sie sind die Sachverständigen, die darüber befinden, wie gesund oder arbeitsfähig wir sind, für wieviele Tage wir im Falle einer Verletzung schwere, mittlere oder leichte Schmerzen empfinden. Es mußte ihnen bewußt sein, was sie zufügen.

Das Bezirksgericht Zürich hat die Ärzte vor einigen Tagen freigesprochen.

Fall 2

„Stück Scheisse“, „Sondermüll“, „’Knatter sie doch mal einer so richtig durch, bis sie wieder normal wird!“- Diese Beschimpfungen sind nur drei von insgesamt 22 Beleidigungen, die die Abgeordnete Renate Künast auf facebook über sich ergehen lassen mußte.

Das Landesgericht Berlin befand diese öffentlichen Aussagen in seinem Urteil allesamt nicht als beleidigend. Ein Politiker müsse sich diese Bezeichnungen gefallen lassen, wenn sie einen Bezug zu seiner Politik aufweisen.

Aber wer, wenn nicht die Justiz, kann Menschen vor Beleidigung schützen?

Das Berufungsgericht hat die Entscheidung des Landesgerichtes Berlin aufgehoben. Wie uns wenig überrascht, sind diese Schmähungen deliktisch. Der junge Brian, der während der Fixierung – nicht in Abu Graib, sondern im freien Zürich – den sechzehnten Geburtstag versäumte, geht in die Berufung. Das wird interessant. PS: Ich bin kein Freund der Strafen. Das Urteil allein und soweit möglich die Wiedergutmachung, der Schadenersatz, würde meist genügen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist von den staatlichen Organen zu achten und zu schützen. Die schützenswerte Würde ist das Wesen des Menschen. Für religiöse Menschen mag sie aus dem göttlichen Funken, der in jedem Menschen wohne, ableitbar sein. Immanuel Kant befindet den Menschen als durch Autonomie gekennzeichnet, also in „der Freiheit, sich seine Zwecke“, seine Ziele und Aufgaben, selbst zu setzen. Daher stelle ihre Mißachtung die gröbste Verletzung der Menschenwürde dar. Auch die Würde des Strafgefangenen, des „illegal“ Eingereisten, des geistig Verwirrten ist zu achten. Das ist in der Rechtsordnung detailliert abgebildet, in zahlreichen Gesetzen ausformuliert und könnte sich auch bis in die unteren Gerichts-Instanzen herumsprechen. Welch eine Würde hat ein Richter, der derartige Vorgänge toleriert? Welche Würde hat der Beleidiger, der Folterknecht? Entwürdigen sie sich nicht selbst?

Anmerkungen:

Art 1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland; Art 1 Grundrechtscharta der Europäischen Union: steht in Österreich in Verfassungsrang; Art 7 der Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft. Die Grundrechtscharta der EU gilt in der Schweiz formal nicht, aber die Schweizer Rechtslehre verlangt wissenschaftlich fundiert ihre Einhaltung durch die Behörden, v.a. die Gerichte.

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.

Was hat das mit Österreich zu tun? Die Neigung der Regierung zum Durchregieren ist ungebrochen. Davon zeugen die Ermächtigungen zu Covid-Verordnungen mit  überschießenden, unsere Autonomie beschneidenden Bewegungseinschränkungen. Davor können uns nur die Gerichte schützen. In Österreich wurde 2015 gegen einen Autor, der die 1945 aus dem Konzentrationslager befreiten Überlebenden als „Landplage“, „Kriminelle“ und „Massenmörder“ bezeichnet hat, erst gar nicht ein Strafverfahren eröffnet.

Weitere Texte von Dr. Albert Wittwer finden Sie hier:

https://www.gsi-news.at/2020/08/14/impfen-gegen-covid19/
https://www.gsi-news.at/2020/08/07/overtourismus/
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