Von Gabriel Remarque
Eigentlich ist es in Österreich undenkbar, dass Kinder ihren Eltern durch Behörden entzogen werden können, ohne dass die Rechtmäßigkeit eines solchen Vorganges minutiös abgeklärt, detailliert belegt und sorgfältig kontrolliert würde.
Eigentlich hält der Oberste Gerichtshof ganz unzweideutig fest:
„Ob ein bestimmter Sachverhalt die Entziehung der Obsorge rechtfertigt, ist eine immer aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu treffende Ermessensentscheidung; sie kann nur auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage getroffen werden.“
(OGH-Urteil vom 30.8.2016 / Geschäftszahl 1Ob99/16i)
Doch die einzige unbestreitbare Tatsache, die sich in den gesamten Akten der MA11 (also des „Jugendamtes“) zum hier beschriebenen, schier unfassbaren Fall findet, ist die Folgende:
Die beschuldigten Eltern sind von einem Österreichischen Strafgericht bereits im selben Jahr restlos von all jenen schwerwiegenden Vorwürfen (Gewalt in der Familie) entlastet worden, die zuvor dazu geführt hatten, dass ihnen zwei ihrer drei Kinder Ende Mai 2017 abgenommen worden waren.
Man muss kein Jus-Student sein, um anzunehmen, dass damit die ursprüngliche (und einzige!) Begründung für die erfolgte Abnahme und Isolierung der beiden Buben weggefallen ist. Eine, wie vom OGH geforderte, „ausreichende Tatsachengrundlage“ existiert somit nicht.
Dennoch durften die beiden Jungs nicht mehr zu ihrer Familie zurück. Sie wurden daraufhin sogar noch entschiedener von Eltern und Bruder, aber selbst von ihren Großeltern sowie allen anderen Verwandten, schließlich sogar von Freunden und Bekannten, isoliert. Sollte es nach dem erklärten Willen der Wiener MA11 gehen, so würden die Beiden wohl heute noch in einer fernen Einrichtung „betreut“ und weiter von ihren Eltern entfremdet werden. Also rund drei Jahre nach der entlastenden Entscheidung eines österreichisches Strafgerichtes vom Oktober 2017.
Dabei sind die gesetzlichen Vorgaben für eine Kindesabnahme umfangreich und strickt:
Bevor Kinder von ihren Eltern getrennt oder gar isoliert und fremduntergebracht werden können, muss zwingend der genaue Sachverhalt abgeklärt, Anträge gestellt, die dafür vorgegebenen Fristen eingehalten und eine Vielzahl wohldurchdachter Richtlinien befolgt werden. So schreibt es das österreichische (wie auch das internationale) Recht unmissverständlich vor. Dass zudem Amt und Gericht im Interesse des Kindeswohls angehalten sind, sämtliche Abklärungen und Entscheidungen so schnell wie möglich zu treffen, versteht sich nicht nur von selbst, sondern ist ebenso deutlich festgehalten. Als wichtigstes Ziel einer jeden Obsorgemaßnahme muss – gemäß Jugendhilfegesetz! – vom ersten Tag an bereits an der Rückführung in die Familie gearbeitet werden.
Eigentlich ist dieses gesamte gesetzliche Regelwerk klug und sinnvoll konstruiert worden. Tatsächlich bleibt es vollkommen nutzlos, wenn sich die agierende Behörde darüber hinweg setzen kann, ohne von irgend einer unabhängigen Stelle dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Eigentlich wäre genau das die Aufgabe des fallführenden Gerichtes, welches im sogenannten „Außerstreitverfahren“ über die entsprechenden Anträge zu entscheiden hätte. Dies müsse „tunlichst innerhalb von vier Wochen“ geschehen.
Tatsächlich ist die fünfköpfige Wiener Familie Kelemen* über quälend lange zwei Jahre zerrissen geblieben. Dabei wurden sowohl fundamentalste Rechtsgrundsätze verletzt, als auch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes übergangen. Urteile, die vom OGH exakt darauf zugeschnitten worden sind, um ein derart rechtsvergessenes Tun ein für allemal zu unterbinden.
Es ist bezeichnenderweise keiner österreichischen, sondern einer ungarischen Behörde zu verdanken, dass sich Geschwister und Eltern nach traumatisierenden 26 Monaten, also erst im Sommer 2019, wieder in Wien in die Arme schließen konnten. Das österreichische „Außerstreitverfahren“ dagegen, welches „tunlichst“ innerhalb eines Monates abgeschlossen sein sollte, ist selbst drei Jahre nach der entlastenden Entscheidung durch das Strafgericht weiterhin in der Schwebe.
Auf die Anträge der Eltern zur Rechtmäßigkeit und zur Klärung all dieser verstörenden Vorgänge, welche die Familie beinahe zerstörten, reagiert die fallführende Richterin nicht nur im Zeitlupentempo, sondern verblüffend offensichtlich an der gesamten Aktenlage vorbei:
Sie hält in ihren Bescheiden stoisch an jenen Vorwürfen fest, die vom Strafgericht bereits im Oktober 2017 verworfen wurden und präsentiert sie erneut als Tatsache. Und zwar ohne dass seitdem auch nur der Versuch unternommen worden wäre (wie schon vorher und währenddessen nie!), endlich seriöse Beweise für die schwerwiegenden Anschuldigungen zu finden oder auch nur einen Einzigen der zahlreichen Zeugen zu vernehmen. Das geschah weder von Seiten der MA11, noch von Seiten des Bezirksgerichtes jemals.
Dieses Vorgehen wirft schwerwiegende Fragen nach grundsätzlicher Rechtsstaatlichkeit auf. Insbesondere, wenn die fallführende Richterin sich diese einfach selber bescheinigt, die entlastende Entscheidung des Strafgerichts aber dennoch ignoriert. Der begründete Verdacht des Amtsmissbrauchs und der Verleumdung steht im Raum.
Pikantes Detail dabei: Die fallführende Richterin des BG Döbling ist sogar dem Nationalrat schon seit Jahren bekannt. 2014 wurde ihr in einer parlamentarischen Anfrage an den Bundesjustizminister, in einer Sachwalterschaftsangelegenheit, vorgeworfen, dass „diese ihren Pflichten… nicht ordnungsgemäß nachkomme“.
Die Details dieser Anfrage klingen merkwürdig vertraut: Dieselbe Art der Verzögerung und Verschleppung, die schon vor dem Parlament aufgegriffen wurde, sollte sich für die Familie Kelemen verheerend auswirken.
Mit jedem weiteren Monat musste es den Behördenvertretern noch schwerer fallen, sich die eigenen Fehler und Versäumnisse einzugestehen, welche diese Tragödie verursacht hatten. Vermutlich wurde gerade deshalb umso verbissener versucht die Eltern zumindest nach der Trennung von ihren Kindern in genau jenes schlechte Licht zu rücken, in welchem das behördliche Einschreiten zumindest legitim erscheinen musste. Mit jeder belegten Verdrehung der offiziellen Akten, mit jedem zusätzlichen Versuch, die Eltern unter Druck zu setzen, wiegt der Verdacht schwerer, dass die MA11 sich damit auf ein fatales Vabanquespiel eingelassen hat, welches nur noch durch ein falsches Schuldeingeständnis der Eltern hätte beendet werden können.
Der Fall Kelemen hat über drei Jahre hinweg ein Ausmaß angenommen, das sowohl in rechtlicher, zeitlicher, behörden- und länderübergreifender Hinsicht jeden Rahmen sprengt, den sich ein staatstreuer Steuerzahler noch irgendwie vorzustellen vermag. – Gerade auch in Anbetracht der verschwendeten Ressourcen und Geldmittel!
Dieser Fall sprengt auch den Rahmen eines einzelnen Artikels. Aus diesem Grund müssen wir die einzelnen Aspekte und Teilabläufe in gesonderten Serienbeiträgen behandeln. Diese werden interessierten Lesern noch während einiger Zeit weitere Gründe liefern, sich ungläubig die Augen zu reiben.
Eigentlich sollten österreichische Behörden und Gerichte über jeden Zweifel erhaben sein. Tatsächlich wissen gerade Vorarlberger (seit dem Auffliegen des Testament-Skandals um das „System Dornbirn“ vielleicht sogar noch besser als jeder Wiener), dass der blinden Justitia ein paar wachsame Augen nicht schaden können.
Lesen Sie in der nächsten Folge, wie es zur Abnahme der beiden Buben kam.
- auf die Verwendung anderer Namen zum Persönlichkeitsschutz wird, in Absprache mit allen Mitgliedern der Familie Kelemen, verzichtet, da der ORF in einer „Thema“-Sendung von 2018 die Namen aller Beteiligten sowieso schon preisgegeben hatte.
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