Wir freuen uns einen weiteren weiblichen Zugewinn in unsere Kolumnistenfamilie bekanntgeben zu dürfen: Es handelt sich um eine gebürtige Vorarlbergerin mit serbischen Wurzeln, die heute in Wien lebt. Vesna Lazar schreibt offenherzig und ehrlich darüber, wie sie während des Lockdowns und danach gedacht und gefühlt hat.
Mein Name ist Vesna, 41 Jahre, bin fünffache Mutter, arbeitete zuletzt als U-Bahn-Fahrerin in Wien inTeilzeit.
Im Jänner 2020 las ich von einem gefährlichen Virus namens COVID-19. Ich recherchierte tagelang und fasste den Entschluss, mich darauf vorzubereiten. Aber wie? Zuerst sprach ich mit meinem Mann über meine Gedanken, Ängste und den Wunsch, mich vorzubereiten. Zwar hörte er mir zu, aber er versuchte mir auch weis zu machen, dass das uns nicht betreffen würde und ich mich nicht verrückt machen soll. Als ich mit meinen Freunden und Bekannten darüber sprach, wurde ich hauptsächlich belächelt. Anfang Februar war für mich klar, dass wir einen Vorrat anlegen müssen. Statt einen Familienausflug ins Grüne, fuhren wir zum Metro. Als wir genug Vorrat hatten, konnte ich beruhigt schlafen und zusehen, wie die Welt immer mehr verrücktspielt.
Im März war es dann soweit: Am 16. kam der Lockdown. Kinder durften nicht mehr in die Schule und meine Kinder hatten Fernunterricht. Es wurde gesagt, dass die arbeitenden Eltern durch einen Sonderurlaub unterstützt werden würden. Da ich einen systemrelevanten Beruf ausübe, fürchtet ich mich schon vor der Antwort. Am Telefon meinte der Diensteinteiler, dass er auch ein Kind habe. Und ich sicher nicht drei Wochen Sonderurlaub bekomme. Nach langem Hin und Her bekam ich einen Tag die Woche, insgesamt fünf Tage, Sonderurlaub. Bei der Arbeit verlor ich mit jedem Tag mehr die Motivation. Es war wie, als ob ich in einer Geisterstadt lebte und einen Geisterzug fuhr. Wenn ich Glück hatte, fuhren bis zu fünf Menschen mit, in einem Zug in dem um die 900 Fahrgäste Platz haben. Anschließend musste ich mich um das Homeschooling kümmern. Am Anfang hat es richtig Spaß gemacht, da es für die Kinder aufregend war und sie dadurch auch sehr motiviert waren. Mit der Zeit kamen der Frust, der Zorn und die Unlust. Die Streitereien und Aggressionen wurden mit der Zeit größer und häufiger.
Mein Mann und ich versuchten unser Bestes zu geben, aber er musste auch arbeiten, da er ebenfalls in einem systemrelevanten Beruf als Sozialarbeiter in der Obdachlosenbetreuung tätig ist. Er bekam noch zusätzliche Arbeitsstunden, da die Obdachlosen von der Straße weg mussten und dafür die Nachtquartiere jetzt auch als Tagesstätte fungierten. Meine älteste Tochter (17) verfiel in Antriebslosigkeit und konnte gar nichts mehr für die Schule machen, geschweige im Haushalt etwas beitragen. Mein Jüngster entwickelte Aggressionen und Provokationen, die uns alle zur Weißglut trieben. Ich hätte mir gerne Hilfe geholt, aber das war zu der Zeit nicht möglich, außer telefonisch. Ein Ausflug im Wald würde uns sicher Entspannung bringen, dachten wir. Die Polizei fuhr in den Wald und gab uns die Anweisung per Lautsprecher, sofort nach Hause zu gehen! Unglaublich, ich kann es bis heute nicht fassen. Für die Kinder war das ein enormer Stress und mir wurde klar, dass man sich zwar mit Vorrat eindecken kann, aber gegen die permanente Überwachung keine Chance hat dem zu entkommen. Die sozialen Kontakte bestanden nur noch aus Memes über Corona und deren Folgen die per Social Media versandt wurden. Aber auch jede Menge Verschwörungstheorien, die mich mit der Zeit immer mehr aufwühlten.
Endlich kamen die Sommerferien, ich musste gerade sehr lachen, während ich das hier schreibe. Wir bekamen für die Sommerferien viel Material für die Kinder zum lernen. Meine Älteste musste eine Nachprüfung machen. Aber wo soll es überhaupt hin gehen in den wohlverdienten Urlaub? Es war alles so ungewiss, dass wir uns schließlich für Österreich entschieden haben. Der erste Sommer in Österreich – ist auch nicht schlecht. Nur Österreich ist sehr teuer und mit fünf Kindern kaum machbar, außer man verdient genug. Es waren letztendlich sechs wundervolle Tage in Vorarlberg in unserer alten Heimat.
Nach dem Urlaub wieder zurück zur Arbeit, meine drei jüngeren Kinder konnten trotz Corona in den Sommercamp organisiert von der Stadt Wien fahren. Das hat uns zu der Zeit sehr geholfen. Trotz allem entwickelte ich eine Schlaflosigkeit und verlor mit jedem Tag den Antrieb. Ängste bezüglich Schulanfang steigerten sich in Panikgefühle. Ich konnte mich beim U-Bahnfahren nicht mehr konzentrieren, hinzu kamen noch Schwindel und Tinnitus. Meine Ärztin schrieb mich krank und ich sollte für eine längere Zeit Medikamente einnehmen, die meine Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen. Nach einigen Wochen wurde mir schmerzlich klar, dass ich den Job aufgeben musste. Da ich nicht gekündigt werden wollte, vereinbarte ich mit meinem Chef einen Termin, um ihm meine Situation zu erklären. Ich wusste, dass es schlussendlich auf eine einvernehmliche Kündigung lief. Zwar wünschte ich mir in der Firma zu verbleiben und eventuell in einem anderen Bereich tätig zu sein, nur wurde das nicht so praktiziert, wie man das uns vermittelt. Aber ich brauchte auch die Zeit, los zu lassen und für meine Kinder da zu sein. Denn wir wissen nicht, was diese Zeit mit unseren Kindern angestellt hat. Für mich ist es klar ein Trauma, denn ich hatte noch nie in meinem Leben so eine anstrengende psychische sowie physische Zeit. Wie es weiter geht, wissen wir alle noch nicht. Aber was ich weiß, ist, dass es noch lange nicht vorbei ist. Die Überwachung und die Impfpflicht werden ein Thema sein, das mir jetzt schon genug Stoff zum Denken geben.