Helden und Mörder

Von Dr. Albert Wittwer

Der Mörder, der in Wien vier Personen getötet und mehr als zehn schwer verletzt hat, ist gesichtslos. Nur die Polizei und die Justiz kennt seinen Namen. Ein Vorbild für diese Unsichtbarkeit war vielleicht Neuseeland, wo ein junger Mann vor einem Jahr in einer Moschee einundfünfzig Menschen erschoß. Dieses Schweigen über den Namen und das Aussehen, über einen Teil dessen, was die Person bezeichnet und unverwechselbar macht, ist überaus stilvoll. Es spricht für uns, für Österreich, daß wir das hinkriegen. Warum soll man der Verbrecher gedenken – statt der echten Helden.

Die Identität des Massenmörders von Norwegen, Breivik, ließ sich nicht verheimlichen. Die Denkmäler von staatstragenden Rassisten und Ausbeutern stehen vielfach noch. Strassen sind nach ihnen benannt. Für die Opfer gibt es allenfalls Stolpersteine. Für die Helden gibt es auch die Bäume und Plaketten im Garten der Gerechten unter den Völkern in Israel.

Ich möchte nicht in einer Straße wohnen, die nach einem bekennenden Judengegner benannt worden ist. Da müßte ich immer, wenn man mich fragt, wo ich wohne, Erklärungen zur Distanzierung abgeben. „Ich wohne zwar am Karl Lueger-Ring, aber ich bin kein Antisemit usw.“ Dann bekommt man die Antwort:  „Aber er hat auch Gutes getan“. Klar, seit Hanna Arendt wissen wir, sie und auch die Mitläufer, Bürokraten und Büttel, die das System der Schurken am Laufen halten, sind vielfach banale Kleinbürger, die ihre Kinder in den Schlaf singen und auch im Kirchenchor. Mit den Denkmäler wäre es einfacher, man könnte sie irgendwie konterkarieren, also wie vorgeschlagen die Statue leicht schräg stellen, dann fragen die Kinder, „wie kommt das?“ und bekommen eine Lektion in Zeitgeschichte.

Am unsichtbarsten und unverzichtbar sind die Helden des Alltages. Mindestens fünfzig Frauen und Männer leisteten während des Anschlages in Wien erste Hilfe, boten Schutz, versorgten Verletzte. Zu solcher Gemeinschaft fühlt man sich gerne zugehörig, da braucht man keinen Geheim- oder Männerbund. Die wahren Helden sind unspektakulär. Auf die Frage, warum sie, manchmal unter Lebensgefahr, andere gerettet haben, Bedrängten beigestanden sind, antworten sie oft sinngemäß, weil es sich gehört, weil es das Richtige ist.

Aber die Schurken faszinieren uns. Wollen wir uns zur Unterhaltung gruseln? Für das Böse – das angeblich in jedem von uns wohne – gibt es einige Erklärungsversuche. Nach Anschlägen sind auch die Qualitätsmedien voll davon. Das muß man wohl auch fragen, um Nachahmungstäter, weitere Verbrechen zu verhindern. Das vorsorgliche Wegsperren von Tätern kann ja nicht funktionieren, solange uns der Blick in die Zukunft und in die Herzen der Finsternis verwehrt bleibt.

Ich möchte auf zwei vielleicht zusammenhängende Thesen hinweisen.

Wilhelm Stekel:  

„Das Kennzeichen des unreifen Mannes ist, daß er für eine Sache nobel sterben will, während der reife Mann bescheiden für eine Sache leben möchte.“

Klaus Theweleit:

Die der Deprivation ausgesetzte Kindheit des Täters. „Das Nicht-Zu-Ende-Geboren-Sein“.


Anmerkungen:

1)

Oben meine Küchenübersetzung von „The Mark of the Immature Man Is That He Wants To Die Nobly for a Cause, While the Mark of the Mature Man Is That He Wants To Live Humbly for One“;

2)

Kinder-Psychoanalyse: „Würde man einen Menschen als Baby und Kleinkind anbrüllen oder gar schlagen und würden dessen Bedürfnisse nicht adäquat beantwortet, etwa indem man es schreien lässt und ihm zu wenig Körperkontakt gibt (also exakt das, was auch die Top-Nazi-Pädagogin Johanna Haarer den deutschen Müttern empfahl, deren Tipps noch lange nach 45 befolgt wurden), dann ziehe es sich nach innen zurück und baue keine Beziehungen auf.“ T

„Statt Beziehung wird ein Panzer ausgebildet, um realitätstüchtig zu werden und das angsterfüllte, instabile Innere im Zaum zu halten. Dadurch kann die Ich-Struktur nicht entstehen, also dass ich weiß, wo ich anfange und wo ich aufhöre. Deswegen findet der soldatische Mann Drill und Hierarchien so wichtig. Weil sie ihm Körpergrenzen verpassen. Er muss wissen, wo oben und unten ist, und wenn sich da was ändert, fühlt er sich bedroht, und im schlimmsten Fall fordert er, dass das, wovon er sich bedroht fühlt, entfernt wird. Faschismus ist primär keine Ideologie, sondern ein Körperzustand. Die Ideologie ist Schwachsinn und als solcher auch leicht identifizierbar. Die ist nur draufgeklebt.“

Zitate: J.D.Salinger in The Catcher in the Rye, der das Zitat dem Wiener Arzt Stekel zuschreibt;  Teweleit: Die Zeit, Ausgabe v. 26.2.2020

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