Die US Wahl aus der Perspektive von US AmerikanerInnen III

Von Melina Heidecker

Teil 3 der Serie um Eindrücke von AmerikanerInnen zur Präsidentschaftswahl 2020.

Jane, New York City, New York:

  1. Wie hast du den Wahltag oder die Wahl erlebt?

Ich habe am Wahltag per „early voting“ abgestimmt. Das funktioniert so, dass diese Wahllokale nur von sechs Uhr morgens bis 12 Uhr mittags offen sind, danach haben wesentlich weniger Lokale geöffnet. Alle, die mit „early voting“ vor dem Wahltag gewählt haben, sind vermutlich in den Warteschlangen gestanden, aber am Wahltag selbst war es nicht allzu schlimm. Ich bin also vor der Arbeit mit dem Uber zum Wahllokal gefahren, ungefähr 20 Minuten angestanden, einfach reingelaufen, ich brauchte keinen Ausweis, ich bin wirklich reinspaziert, habe meinen Namen auf den Wahlzettel geschrieben und abgestimmt.

2. Würdest du du diese Wahl als spannender als die anderen bezeichnen?

Nein, nicht wirklich. Ich würde ehrlich gesagt sogar behaupten, dass es etwas langweiliger als sonst war, da die Stimmenauszählung viel langsamer voranging. Es gab keine Ergebnisse aus den Staaten, die entscheidend sind, also habe ich schnell das Interesse verloren. In der Vergangenheit hast du dir die Wahl angesehen und gewartet, bis die Ergebnisse zu 100% da waren, das ist nicht passiert, also dachte ich mir „oh okay, ich gehe ins Bett“.

3. Würdest du die Zeit vor den Wahlen als spannender als sonst bezeichnen?

Auch nicht wirklich, normalerweise gibt es diese ganzen Debatten und all diese Veranstaltungen. Ich glaube, eine wurde abgesagt und es einfach wieder etwas, das die ganze Zeit hin- und herging und als der Zeitpunkt da war, (Anm.d.V.: als es endlich statt fand) hat es mich nicht mehr interessiert.

4. Hast du ein Ritual für den Wahltag? War der Wahltag dieses Jahr eine andere Erfahrung aufgrund von Corona? Was hat sich verändert?

Normalerweise bleiben mein Partner und ich wach, es ist ein bisschen wie Neujahr, und warten bis das Wahlergebnis verkündet wird, aber dieses Mal haben wir irgendwann beschlossen schlafen zu gehen, da nichts Neues verkündet wurde. Üblicherweise tragen alle am Wahltag Sticker und es ist ein Riesending, es ist ein kulturelles Treiben, bei dem jeder meint „Oh, ich war heute Morgen wählen“ oder „Ich muss zum Wahllokal“ und es ist ein bisschen ein patriotischer Tag. Dieses Jahr kam es mir aber nicht so vor, es war eher, als würde man einen Arztbesuch vor sich hinschieben. Jeder hat zu seiner eigenen Zeit gewählt, an einem anderen Tag, viele haben per Briefwahl abgestimmt, es war eher ein Gefühl von „Ich muss die Sache jetzt erledigen“ als „Es ist Wahltag, wir gehen alle wählen“.

5. Wie ist die Atmosphäre in deiner Gegend? Haben Leute Vorsichtsmaßnahmen getroffen? Haben deine Nachbarn Schilder oder Flaggen angebracht?

Ich habe nicht wirklich gesehen, wie NachbarInnen Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Jedoch haben viele aus der Nachbarschaft von meinem Dad, auf der Upper West Side, die Stadt verlassen und sind zum Beispiel in die Hamptons oder in die Vorstädte von New York gefahren. Es waren nicht mehr viele Menschen da. Ich habe auch die Stadt verlassen, da wir während den ganzen Protesten und Demos hier waren. Je näher die Wahl gerückt ist, umso mehr Leute haben Feuerwerke angezündet, egal, zu welcher Tages- und Uhrzeit. Das ist nicht nur illegal sondern auch sehr gefährlich, weil es so viele Gebäude und Menschen hier gibt. Ich konnte nicht schlafen, weil die Leute die Feuerwerke um elf Uhr abends, um zwei Uhr morgens und auch um elf Uhr vormittags angezündet haben und sie sind direkt vor unserem Fenster losgegangen. Eigentlich habe ich mehr Feuerwerke in NYC erwartet anstatt den Feiern. Feierlichkeiten sind in Ordnung, es ist aber extrem heuchlerisch, aber total okay, macht euer Ding und habt Spaß. Ehrlich gesagt bin ich froh zu sehen, wie die Leute Spaß haben und aktiv werden, vor allem da es ein schreckliches Jahr durch die Isolation war. Ich mag es, die Leute glücklich zu sehen, aber ich mag es wirklich nicht, wenn Feuerwerke vor meinem Wohnzimmerfenster explodieren, daher habe ich die Stadt verlassen.

6. Wie beurteilst du das Wahlergebnis?

Totaler fake. Es hat mich definitiv das Vertrauen in unser Wahlsystem verlieren lassen. Nicht nur wegen den ganzen Problemen mit den Stimmen und den Anschuldigungen. Es war auch irgendwie komisch zu sehen, dass die Wahlhelfer in Pennsylvania und Nevada einfach aufhörten zu zählen, dann eine Weile nichts taten und plötzlich war das Ergebnis da. Ich denke, dass es ziemlich vorbestimmt war (Anm.d.V.: wer der Wahlsieger ist), denn mehr als 96% der Leute in Washington DC haben Biden gewählt, was mich glauben lässt, dass jeder, der an der Macht ist, für das Gleiche gestimmt hat, aber wie auch immer. Ich bin glücklich über die Fortschritte, ich finde es ist eine gute Zeit, um People of Color im Amt zu haben, und eine Frau, was ich großartig finde, denn das wäre nicht von selber passiert, wenn es nicht irgendwie erzwungen gewesen wäre. Aber es hat mich auf jeden Fall dazu gebracht, dass ich das Vertrauen in den Prozess verloren habe. Die Medien hier sind voreingenommen, das Zählen der Stimmen hat so lange gedauert .. das System funktioniert nicht, denn wenn alle Swing-Staaten plötzlich eingefroren sind und keine Fortschritte machen, heißt das, dass unser System nicht funktioniert. Das hat mich irgendwie auf den Gedanken gebracht, dass es keinen Sinn macht, wählen zu gehen. Es ist einfach so abhängig davon, auf welcher Seite du stehst… Es scheint so, als wäre die einzig gute Seite die von Biden, was einfach nicht ehrlich ist. Die Medien in den USA sind sehr tendenziös und einseitig, es gibt keinen investigativen Journalismus mehr. Es läuft nicht mehr so, dass die Nachrichten eine Geschichte publizieren, und du dir danach dein eigenes Bild machen kannst, es ist eher die Einstellung: „Das ist richtig, das ist falsch“. So bin ich nicht aufgewachsen und das ist das, was viele Leute einfach nicht mehr verstehen. Ich weiß noch, dass es früher so war, dass die Medien den Sachverhalt neutral dargestellt haben und du dir danach deine eigene Meinung bilden konntest, aber das ist heute nicht mehr der Fall.

7. Gibt es noch etwas anderes, das du gerne noch erwähnen möchtest?

Ja, bei uns wurde beispielsweise der Vorfall mit Samuel Paty in Frankreich nicht in den Nachrichten erwähnt, ich habe erst von dir davon erfahren. Das zeigt erneut, dass die Medien hier so tun, als wäre das Problem mit dem IS und dem Terrorismus nicht mehr vorhanden, wir haben Syrien erobert und das ist das Ende der Geschichte.

Die mobile Version verlassen