Das Schließen aller Schulen in Österreich durch die Bundesregierung wird von allen Seiten als großer Fehler gesehen. Die Oppositionsparteien, Eltern- und Interessensvertreter, beinahe jede und jeder in Österreich, ja selbst Lehrpersonen, sind dagegen. „Die Bildungslücke, die der Lockdown hinterlässt, ist nie mehr aufholbar“, ist die konsensuale Meinung.
Von Michael Weber
Dabei werden allerdings wesentliche Fakten bewusst übersehen, weil andere Interessen durch die Diskussion über den Präsenzunterricht verschleiert werden sollen. Natürlich möchte kein Arbeitgeber, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Kinderbetreuung zuhause bleiben. Keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer will Lohn- oder Gehaltseinbußen in Kauf nehmen. Manch ein Elternteil würde gern seine Kinder in die Schule abschieben. Und für Lehrpersonen ist Distance-Learning mit seinem hohen Anteil an individueller Betreuung ein massiver Mehraufwand gegenüber einer Unterrichtsstunde in der Klasse.
In der Diskussion bleiben aber die eigentlichen Fragen unbeantwortet: „Was muss ein junger Mensch heute lernen und können, um auf die Welt von morgen gut vorbereitet zu sein? Geht es wirklich um das Durchpauken von Stoff und Faktenwissen aus überholten Lehrplänen? Sollten nicht lieber zukunftsträchtige Kompetenzen geschult werden?“
Was werden der Urban Matcha, der Digital Creative oder der Golden Mentor, wie das Zukunftsinstitut die wichtigsten Repräsentanten der zwölf Megatrends bezeichnet, brauchen? Sie brauchen Kompetenzen in Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritischem Denken, also den 21st Century Skills. Und das alles auf Basis einer fundierten digitalen Bildung. Kompetenzen, die man nirgends so gut erwerben kann, wie im eigenverantwortlichen Distance-Learning.
Und auch im Distance-Learning unterrichten – wie es in Österreich schon immer üblich war – ausgebildete Lehrpersonen und nicht die Eltern. Unterrichtseinheiten, Arbeitsblätter und Hausaufgaben sind immer so konzipiert, dass die Schülerinnen und Schüler die gestellten Anforderungen selbstständig bewältigen können. Die Eltern müssen lediglich für geeignete Rahmenbedingungen sorgen.
Natürlich gibt es auch Ausnahme und Sondersituationen. Volksschüler zum Beispiel müssen in der Klasse unterrichtet und nicht nur betreut werden. Vereinzelt werden Schülerinnen oder Schüler auch psychische Probleme haben. Hier muss sichergestellt sein, dass entsprechende Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen. Hier hapert es in Österreich aber an allen Ecken und Ende. Der Handlungsbedarf ist groß.
Warum also ein so großer Aufschrei? Als Ex-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer 2003 für alle Schülerinnen und Schüler in jedem Schuljahr, nur um das Budget zu sanieren, das Unterrichtsausmaß um zwei Wochenstunden kürzte, ging ein Jubelruf durch ganz Österreich. „Endlich eine Entlastung für unsere Schülerinnen und Schüler“, applaudierte man. Dabei hat niemand bedacht, dass das bis zur Matura zwischen 24 und 26 Wochenstunden, also ein durchschnittliches Schuljahr sind, die den Kindern und Jugendlichen an Ausbildung genommen wurden.
Jetzt im Lockdown haben wir es mit einigen wenigen Wochen zu tun, in denen unsere Kinder und Jugendlichen zuhause sind, aber nicht auf Bildung verzichten müssen. Denn alle Schulen arbeiten im Distance-Learning weiter und lernen im besten Fall mehr für ihr Leben im 21. Jahrhundert als in der Schule.
Mag. Michael Weber ist Direktor an der hak has in Feldkirch
Lieber Schuldirektor, Sie glauben wirklich, daß man „Kommunikation, Kollaboration (gemeint vermutlich Kooperation), Kreativität und kritisches Denken“ über Notebooks oder noch schlimmer Tablets vermitteln kann? Vielleicht werden diesfalls die rd. 16.000 Pädagogen schrittweise durch Lehr-Bots und Avatare ersetzt. Die Silikon-Valley-Größen schicken ihre Kinder in Schulen, in denen der PC nur eine Stunde pro Woche angeschaltet wird.