Was wäre Weihnachten ohne die Geburtsgeschichte, die eng mit Bethlehem verknüpft ist. Doch werfen wir einen genauen Blick auf die Lage vor Ort, so sehen die politischen Umstände wenig weihnachtlich aus. Mitte der 1990er Jahre stimmte der Oslo-Prozess viele optimistisch. Als Geste des Friedenswillens übergab Israel Städte wie Bethlehem an die Palästinenser. Dort folgte eine Geschichte der Gewalt, die bis in die Gegenwart reicht.
Aufgrund der Schilderung in zwei von vier Evangelien ist die Stadt Bethlehem als Geburtsort Jesu in aller Welt bekannt. Die biblischen Autoren sprechen dabei von einem Bethlehem „im jüdischen Land“. Vor 25 Jahren, am 21. Januar 1995, übergab der jüdische Staat Israel die Stadt allerdings an die Palästinenser zur Selbstverwaltung – in der Hoffnung auf Frieden. Dieser blieb auf diesem Teil der Erde jedoch nur ein Versprechen: In den Folgejahren entwickelte sich Bethlehem zu einem Zentrum palästinensischer Gewalt.
Die Übergabe vollzog sich im Rahmen des im September vereinbarten Zwischenabkommens zur palästinensischen Autonomie, das auch als Oslo II bekannt ist. Nur das Rahel-Grab blieb unter israelischem Schutz. Jüdischen Israelis ist es bis heute verboten, die Stadt zu betreten – das entsprechende israelische Gesetz hat dabei auch den Schutz der Staatsbürger im Blick. Berichte aus der Zeit der Übergabe schildern protestierende Israelis am Weihnachtstag außerhalb der Stadtgrenzen, jubelnde Palästinenser während der schlicht gehaltenen Übergabezeremonie – und die Skepsis der Christen.
Weihnachtliche Propaganda
Diese speiste sich aus Erfahrung. Die „New York Times“ notierte damals, dass einige Christen die Stadt schon in den Jahren zuvor wegen „Spannungen mit muslimischen Nachbarn“ verlassen hatten. Der christliche Bürgermeister Elias Fridsch, seit 1972 im Amt, bat den damaligen israelischen Premier Jitzchak Rabin, Bethlehem nicht an die Palästinensische Autonomiebehörde abzutreten – aus Sorge um die Zukunft seiner Glaubensgruppe in dieser Stadt.
Wohl um auch die „Toleranz“ der neuen Ära unter Beweis zu stellen, besuchte der Palästinenserführer und Präsident der Autonomiebehörde Jasser Arafat zwei Tage nach der Übergabe die Stadt. Sogar an der Weihnachtsmesse nahm er teil. Tags zuvor hatte er den jubelnden Massen auf dem Krippenplatz verkündigt, wie sie die Bedeutung des Augenblicks zu verstehen hätten: Bethlehem sei die „Stadt des palästinensischen Jesus“, die nun „befreit“ sei.
Seine Rede begann er auf Arabisch mit den bekannten Worten aus dem Neuen Testament: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ – während die am Krippenplatz aufgehängten Banner nicht nur sein Konterfei zeigten, sondern auch das des berüchtigten Hamas-Bombenlegers Jahja Ajasch, „der Ingenieur“. Dutzende Israelis sind in den Jahren zuvor dessen Bomben zum Opfer gefallen. Zwei Wochen später, am 5. Januar 1996, wurde er vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schabak getötet.
Christen im Kreuzfeuer
Wer also wollte, konnte auch damals auf dem Krippenplatz ahnen, dass die Zukunft nicht allzu friedvoll sein würde. Eine Bestandsaufnahme vom September 2020 bestätigt dies. Der Journalist Bassam Tawil sammelte jüngst einige in den Medien berichtete Fälle von Diskriminierung und Gewalt: So verprügelten maskierte Angreifer den Frauenarzt Salameh Kumsije; Polizeibeamte töteten Marian al-Hadschal, als sie das Haus stürmten, um ihren Sohn wegen nicht bezahlter Schulden zu verhaften; ein Richter verweigerte der 76-jährigen Fairus Idscha das Wort in einem Prozess um Land, das Muslime beschlagnahmt haben. Hinzu kommen Todesdrohungen und „Aufforderungen“, zum Islam zu konvertieren.
Dass Christen unter diesen Umständen die Stadt verlassen wollen, wird niemanden wundern. Hinzu kommt ein Mangel an Bildungs- und Wirtschaftschancen. Viele Christen zog es nach Chile, aber auch nach Nordamerika. Das genaue Ausmaß des „Exodus“ zu ermitteln ist schwierig. Nach der Übergabe sorgte Arafat etwa dafür, dass angrenzende Ortschaften mit muslimischer Mehrheit, darunter auch Flüchtlingslager, in die Stadt eingebunden wurden, was die Bevölkerungsverhältnisse verschob.
Im Jahr 2016 bezifferte die damalige Bürgermeisterin Vera Babun den Anteil der Christen auf unter 12 Prozent. Die israelische Armee stellte 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg einen Anteil von 46 Prozent fest, während es zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch weit mehr als 80 Prozent waren. Bis Anfang der 1990er Jahre schien sich wieder eine christliche Mehrheit etabliert und gehalten zu haben, die dann in den Folgejahren aber schwand. Zugleich hat sich die Gesamtzahl der Einwohner stetig erhöht: 1967 waren es rund 14.400, im Jahr 2017 waren es 28.300, für das Jahr 2020 nennt das Palästinensische Statistikamt etwa 30.900 Einwohner.
Ein Faktor für die Abwanderung der Christen war auch die „Zweite Intifada“ von 2000 bis 2005. Bethlehem liegt nur wenige hundert Meter südlich der Stadtgrenzen Jerusalems. Von dort gingen immer wieder Terrorakte aus, die die israelische Hauptstadt trafen; insbesondere kam der Ortsteil Gilo unter Maschinengewehrfeuer. Palästinensische Terroristen nutzten dabei auch christliche Wohnhäuser und Kirchen im Nachbarort Beit Dschalla als Stellungen, aber auch die Geburtskirche als Rückzugsort. Im April 2002 kam es dort zu einer fünfwöchigen Belagerung, in der 40 Kleriker und Nonnen als Geiseln genommen wurden.
Eingeschränktes Leben
Christen versuchen es in dieser Gemengelage auch mit „Pragmatismus“. Im Jahr 2005 öffnete sich der Bürgermeister – der per Gesetz immer ein Christ sein muss – der Zusammenarbeit mit der Hamas: bei den Kommunalwahlen kamen fünf Mitglieder der Terrorgruppen von Hamas und Islamischer Dschihad in den 15-köpfigen Stadtrat. Wenn christliche Geistliche über die Ursache der Misere sprechen, prangern sie oftmals die „Besatzung“ oder die „Sicherheitsmaßnahmen“ Israels an. Das klingt erstaunlich nach dem, was palästinensische Machthaber hören wollen.
Ausnahmen sind herbei aber auch zu finden, wie etwa Naim Chury, der offen für Israel eintritt. Drei Anschläge auf sein Leben hat der Baptistenprediger hinter sich, auf seine Kirche wurden mehr als ein Dutzend Bombenanschläge verübt. Er hat Verständnis für Christen, die wegziehen, und ist dankbar für diejenigen, die trotz allem bleiben. „Der Preis dafür ist hoch. Sehr hoch. Doch trotz des Preises, oder gerade deswegen, scheint ihr Zeugnis für Jesus so hell.“ Der eine oder andere jüdische Israeli – wie der Publizist Barry Shaw – beobachtet diese Umstände und stellt sich die Frage, warum Kirchen zu den Lebensbedingungen der Christen in Bethlehem so oft schweigen.
Freundlich zur Verfügung gestellt von www.israelnetz.com. Autor: Daniel Frick