Tamara Kaufmann hat noch lange keine Langeweile

© TATJANA SCHNALZGER

Eine volle Agenda, kaum ein Abend zuhause, stets drei, vier neue Projekte gleichzeitig in der Pipeline: Tamara Kaufmann kannte jahrelang nichts anderes – bis vor kurzem. Die temperamentvolle Liechtensteinerin ist unsere „Gsibergerin der Woche“.

Von Heike Montiperle

Trotz Corona war das Jahr 2020 ein Arbeitsjahr für die Tänzerin und Choreografin aus Balzers: mit einzelnen kleinen Projekten, die aber auch oft wieder abgesagt wurden. „Seit einem Monat läuft gar nichts mehr,“ erzählt Tamara Kaufmann. „So langsam realisiere ich, dass ich daheim bin und nicht mehr gebraucht werde. Vorher war ich überflutet mit so vielen Dingen. Jetzt bin auch ich im Lockdown angekommen.“ Doch anstatt Trübsal zu blasen, sieht sie die neue Situation als Chance: „Es geht mir trotzdem gut, ich hatte noch nie so eine stressfreie Zeit wie jetzt. “

Bewegung spielt nach wie vor eine grosse Rolle in Tamara Kaufmanns Leben: Skitouren, Langlaufen, Snowboarden, Snowkiten – das alles in der wunderbaren Natur direkt vor der Haustür, das ist ein Luxus, den sie sehr zu schätzen weiss. „Bei schlechtem Wetter räume ich meinen Computer auf oder die Wohnung. Das habe ich im ersten Lockdown verpasst“, ergänzt die Luftakrobatin schmunzelnd. Zu ihrer handwerklichen Leidenschaft – dem Nähen – ist sie noch gar nicht gekommen. „Ich weiss nicht, wie lange der Lockdown dauern müsste, bis mir tatsächlich einmal langweilig ist. Mir fällt immer etwas ein, das ich noch tun könnte.“

Vor rund drei Jahren ist sie erst wieder ganz nach Balzers gezogen – in eine wunderschöne Wohnung mit herzlichen Vermietern und einem tollen Garten. Nur geniessen konnte sie ihre vier Wände lange Zeit nicht wirklich. Durch ihre internationale Tätigkeit war Tamara Kaufmann ständig unterwegs. „30 Jahre habe ich mehr oder weniger durchgearbeitet. In intensiven Phasen auch Tag und Nacht. Es ist für mich ganz neu, einfach daheim zu sein und nichts zu tun. Ich zünde jeden Abend Kerzen an und geniesse mein Zuhause. Und ich habe sogar Zeit zum Fernsehen.“

Doch wovon lebt die Künstlerin derzeit? „Ich habe ein paar Ersparnisse und werde vom Staat unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin.“ Als die Massnahmen gelockert waren, durfte sie auch ein paar kleine Projekte machen. „Zum Glück bin ich kein Mensch, der viel Geld braucht“, erklärt Tamara Kaufmann, „ich bin sehr sparsam aufgewachsen und musste als Erwachsene erst lernen, dass man Geld ausgeben und sich etwas gönnen darf.“ Dass sie sehr genügsam ist und von Natur aus kein Geld für unnütze Dinge ausgibt, kommt ihr in der aktuellen Situation sehr zugute. „Mir geht nichts ab. Ich bin daheim, da brauche ich wenig.“ Ihr persönlicher Reichtum ist die Zeit für sich selbst, die sie gewonnen hat.

Bei aller Dankbarkeit für diese geschenkte Auszeit macht sich Tamara Kaufmann aber auch existentielle Gedanken über ihre Zukunft: „Da bin ich ein bisschen hin- und hergerissen. Ich durfte ja immer in meinem Traumberuf arbeiten. Aber was mache ich, wenn ich noch länger nicht arbeiten kann?“ Von dieser Frage sind natürlich auch viele Kolleginnen und Kollegen aus der Kunst- und Eventszene betroffen: „Die eine macht eine Sprecherausbildung, die andere hat einen Bürojob gefunden, andere heiraten und kriegen Kinder, viele unterrichten jetzt. Wiederum andere werden depressiv, und auch den einen oder anderen Suizid hat es im Künstlerkreis schon gegeben – zum Glück nicht in meinem direkten Bekanntenkreis. Aber solche Meldungen machen mich sehr betroffen.“

„Ich kann gut im Jetzt leben und die Situation annehmen, wie sie ist.“

Tamara Kaufmann

Tamara Kaufmann nutzt die viele freie Zeit deshalb auch, um ihre Fühler auszustrecken: „Eine Sprecherausbildung würde mich schon interessieren. Ich habe ja eine deutsche Mutter und deshalb gerade in unserer Region den Vorteil der Zweisprachigkeit – Dialekt und Hochdeutsch“, bemerkt sie mit einem Augenzwinkern. Daneben hat sie die Fotografie für sich entdeckt, speziell die verschneiten Winterlandschaften haben es ihr angetan. „Und auch das bewegte Bild“, ergänzt die vielseitige Künstlerin, „für meine Choreografien habe ich immer schon die Musik selbst geschnitten. Viele Performances habe ich mit Videos inszeniert und auch diese für meine Zwecke geschnitten.“ Die Technik dazu hat sie sich selbst angeeignet: Learning by doing. Aber wer weiss? Vielleicht holt sie eine professionelle Ausbildung in diesem Fach noch nach und nutzt diese ganz andere kreative Leidenschaft künftig für berufliche Zwecke.

Derweil hält die Tänzerin ihren Körper fit. „Lustigerweise weniger mit beruflichen Disziplinen wie Ballett, sondern lieber mit Wintersport.“ Im Sommer durften es auch mal Volleyball, Biken oder Kitesurfen sein. „Mir ist bewusst, dass ich langsam in ein Alter komme, in dem nicht mehr alles so einfach geht“, gibt Tamara Kaufmann zu. Für ihr bisheriges Leben war ihre körperliche Fitness ihr wertvollstes Kapital. „Wer dem Körper viel abverlangt, muss ihm auch etwas zurückgeben. Der Körper spricht mit einem. Das kann manchmal recht schmerzhaft sein“, verrät die Balznerin, „vor allem, wenn man seinem Körper nicht viele Dehnungs- und Massageeinheiten zurück schenkt, wie ich es leider jahrelang versäumt habe. Zwischen der Arbeit und dem Muttersein blieb keine Zeit mehr fürs Training.“

Bis sie wieder auf die Bühne darf, zehrt Tamara Kaufmann von wunderschönen Erinnerungen an ihre letzten Projekte und gerät ins Schwärmen: „Die 300-Jahre-Liechtenstein-Feier im Scheidgraben, das war schon ein besonderes Highlight für mich, im wahrsten Sinn des Wortes. Eine Inszenierung mit Leuchtstäben zusammen mit Bewegung war eine geniale Idee von Liechtenstein Marketing und trug zur grossen Freude aller Beteiligten und Zuschauer bei. Wenn ich die Freude in die Herzen der Menschen durch Kunst verbreiten kann, habe ich mein persönliches Ziel erreicht.“ Aber nicht nur Menschen tanzten nach ihrer Choreografie, sondern auch Bagger: „Die tanzenden Kaiserbagger an der Bauma in München werde ich sicher nie vergessen“, blickt die Künstlerin auf dieses einzigartige Projekt zurück. Aber auch der Gala-Abend bei „Vaduz Classic“ mit ihrer Inszenierung von Tanz und Luftakrobatik, die Choreografien für die Operetten und die Schaubühne in Balzers oder ihre Auftritte als Luftakrobatin, für die sie in der Welt herumreisen darf, freuen Tamara ganz besonders. „Jedes Projekt, und sei es noch so klein, ist eine Herzensangelegenheit mit schönen Begegnungen, Teamwork und Adrenalin. Egal, wie lange es noch dauert. Wir werden das hoffentlich wieder erleben.“

© Maeva Kaufmann

Wordrap mit Tamara Kaufmann:

Wo möchten Sie leben?

Da wo ich jetzt bin.

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? … welche nie?

Am ehesten, wenn ich merke, dass etwas nicht aus Boshaftigkeit gemacht oder gesagt worden ist. Lügen kann ich nicht gut entschuldigen.

Ihre Lieblingsfigur in der Geschichte?

Charly Chaplin – und hier im Land Fürstin Gina

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei anderen am meisten?

Herzlichkeit

Ihr grösster Fehler?

(lacht) Gott, do git’s a paar. Dass ich mir selber Stress mache und mich verzettle, somit auch oft nicht ganz klar für andere bin.

Was wäre für Sie das grösste Unglück?

Wenn meiner Tochter etwas zustossen würde, oder aktuell, wenn die Menschen unglücklich und dadurch depressiv oder aggressiv werden.

.. das grösste Glück?

Wenn man das Glück und die Freude in den Herzen der Menschen spürt und die Energie sozusagen hoch ist. Dann geht es mir oft auch gut. Und umgekehrt: Wenn ich Menschen zu ihrem Glück verhelfen kann, macht es mich glücklich.

Was verabscheuen Sie am meisten?

Hass, Respektlosigkeit, wenn man einander nicht wertschätzt, Aggressivität

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?

Die Fähigkeit, ausserhalb meines Verstandes mich und andere Leute mehr zu erkennen und zu spüren.

Was sind Ihre grössten Tugenden?

Ehrlichkeit würde ich sagen. Und Offenheit.

Ihr Motto?

Goht net, git’s net. Man kann viel mehr, wenn man will.

Wie ist Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?

gut

Was mögen Sie?

Zeit haben, schöne, tiefsinnige Gespräche, Leidenschaft, Kreativität, schöne Momente, Natur, Sonne, das Tummeln im Schnee

Was würden Sie nie tun?

Alleine im dunklen Wald spazieren, jemanden mutwillig verletzen

Wofür würden Sie gratis werben?

Für etwas Neues, das ich noch nicht kenne

Was würden Sie gern abschaffen?

(lacht) Corona. Dass Leute Uneinigkeiten mit Streit austragen wollen.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Dass ich gelernt habe, dass durch Annehmen und Loslassen viel mehr Gutes entstehen kann als durch Festhalten und dass ich meinen Beruf immer mit Leidenschaft machen konnte. Woraus viele Sachen entstanden sind, auf die ich stolz sein darf.

Wofür geben Sie unverhältnismässig viel Geld aus?

Da fällt mir grad nichts ein. Mein Beruf hat es mit sich gebracht, dass ich immer auf Geld schauen musste. Ich übe mich gerade eher, meinen Mitmenschen und mir mehr zu gönnen.

Was würden Sie gern arbeiten?

Gute Frage!!! In der heutigen Zeit ein grosses Fragezeichen für mich. Bisher hatte ich das Glück, dass die Jobs immer auf mich zugekommen sind. Jetzt frage ich mich, gibt es etwas anderes, was ich mit Leidenschaft machen kann, wenn ich das Beste doch schon hatte? Gleichzeitig interessieren mich viele Sachen. Aber bisher hat mein Brainstorming noch nicht zu einer neuen Entscheidung geführt.

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