von Dr. Albert Wittwer
Der gesellschaftliche und der wissenschaftliche Diskurs und freie, unabhängige Medien sind Lebenselixier der gelebten Demokratie. Und sie sind doch zu wenig. Greifen zu kurz.
Oft ist in den letzten Monaten die Rede vom künstlerischen Prekariat. Vom Wegbrechen der Existenzgrundlage, der Einnahmen aus Kartenverkauf und Eintrittsgeldern. Wie verkauft man ein Bild, wenn die Galerie geschlossen hält? Vom Verlust des Austausches mit dem Publikum und den Kolleginnen und Kollegen.
Kunst öffnet die Augen. Wer sehen kann, sehe. Wer hören kann, höre.
Im Joch des Tagwerkes, eingespannt zwischen Homeoffice und Maskentragen in Baustelle und Büro, in Sorge am das Naheliegende, Gesundheit und Existenzsicherung für unsere Lieben und uns. Wie bleibt da noch Kraft und Muße zum selber Sehen und Hören?
Sehen und Hören: Es darf uns nicht vergehen. Wir müssen es pflegen. Die Künstler öffnen für uns die Türen und Fenster. Die Welt strömt herein.
Aber Kunst ist gefährlich. Wer daran zweifelt, bedenke die unzähligen Zensoren, die in großen Teilen der Welt verbieten, löschen, anklagen, was den Diktatoren gefährlich werden kann. In Dubai (Stadt) war es mir nicht möglich, eine Buchhandlung zu finden. Außer Bildbänden gab es im Kiosk des Burj Kalifa nur die „Weisen Worte des Kalifen“, derzeit wegen Einkerkerung seiner Tochter in internationalem Verruf. Der Strafrahmen gegen Verstoß gegen die Beleidigung des türkischen Staates, zuvor „Herabwürdigung des Türkentums“, wurde 2009 auf zwei Jahre Kerker reduziert. Kunst mag nicht nur die Herren, auch uns beunruhigen, man bedenke die Anfeindungen großer Töchter und Söhne, von Thomas Bernhard bis Stefanie Sargnagel. Aber wir wissen, die Unruhe ist heilsam. Wir lassen uns nicht beirren.
„If musik be the food of love, give me exzess of it!“ Was berührt uns so unmittelbar wie die Kantaten von Bach, die Arien von Mozart, die Lieder der Beatles oder von Cat Stevens oder der Holstounarmusig? Gemälde, Skizzen und Skulpturen: Ingmar Alges Vorarlberger Einfamilienhäuser oder die Heilige Agnes aus der Renaissance im Vorarlberg Museum? Zwar „hot des wehtau“, aber es tröstet und stärkt.
Besuchen wir das Vorarlberg Museum. Nirgends sonst habe ich so ein verblüffendes Nebeneinander von alter und neuer Kunst gefunden, Demaskierung älterer Irrtümer zur Vermeidung neuer, unter Vermeidung jeder heimatkundlichen Nostalgie.
Anmerkungen:
Die Bibel, Markus 8,18: „Ihr habt Augen, und sehet nicht, und habt Ohren, und höret nicht“
„If music be the food…“ Wenn Musik die Speise der Liebe ist, gib mir davon im Überfluß“. Shakespeare
Vorarlberg Museum, Bregenz. Unter den üblichen Sicherheitsmaßnahmen wieder offen!