Von Dr. Albert Wittwer
Nur noch schnell die Welt retten. Vom individuellen CO2-Fußabdruck.
Kaufen wir die schrumpeligen Bio-Äpfel oder doch lieber die knackigen, aus dem pestizierten und dauerbewässerten Zwergbaum-Groß-Spalier? Von den geklonten, achtundzwanzigtägigen Hühnern und mit vier zusätzlichen Zuchtrippen verlängerten Schweinen, den mais-soja-kraftfuttergemästeten Rindern und dem antibiotikagebadeten Zuchtlachs wollen wir sowieso nichts wissen. Kaufen beim Bauern und vom lokalen Fischteich. Wenn’s geht. Das hilft sicher dem Bio-Landwirt und dem Schnifner Bädle. Und verschafft ein gutes Gefühl.
Die langen Flugreisen sind gestrichen. Es fällt mir älteren Weitgereisten leicht, auf alle bisher unbesuchten Destinationen in Diktaturen und aktiv klimaschädlichem Regime, etwa Australien, zu verzichten. Also bin ich gut unterwegs?
Leider nützt es nichts. Ich hatte vier Bienenvölker, davon starben jährlich zwei. Pech für die Bienen: Ich lebe am Land. Rundum alles voller glyphosatgepflegter Maisfelder. Die dummen Bienen halten Maispollen für nahrhaft – und finden vergiftet nicht zum Stock zurück. Mein ökologisch korrekter Fußabdruck ist viel zu gering, um die Welt zu retten.
Gut, wäre ich reich und klug wie Bezos oder Zuckerberg, dann könnte ich was bewirken? Leider haben die Milliardärs-Philantropen, die zugleich sehr steuervermeidend agieren, technologiefokussierte Visionen. Sie wollen nach ihrer Firmen-Message, also einer Art höherem humankapitalistischem Auftrag, jedenfalls eine gloriose Zukunft. Leider im bemannten Weltraumflug. Sechshundert Weltraumtouristen haben sich bei Musk‘s SpaceEx schon angemeldet, demnächst werden sie die 1,5 Millionen Dollar für das Ticket anzahlen. Musk will in fünf Jahren eine Kolonie auf dem Mars errichten.
Die Raketen sind wie der Flugverkehr kerosinbefeuert. Die Riesenfrachter und die meisten Kreuzfahrschiffe fahren mit Bunker C, einem extrem dreckigen, erdölbasierten Abfallprodukt. Sie stoßen pro Kilometer und Tonne mehr Schadstoffe aus als der gesamte Landverkehr. Das „Mining“, die Rechenoperationen für Kryptowährungen verbrauchen pro Jahr mehr Strom als etwa die Schweiz, Österreich oder Belgien. Das Streaming von Serien und Filmen liegt im Energieverbrauch noch darüber. Tschau Netflix, Sky, DisneyChannel?
Bill Gates läßt durch seine Stiftung Kinder impfen, aber er will die Klimakrise mit tausenden Mini-Atomreaktoren aushebeln. Inzwischen werden die Atommüllfässer seit dreißig Jahren zwischengelagert und das Fukushima-Abwasser in den Pazifik geleitet.
Angeblich finanzieren die Erdölstaaten und die Ölkonzerne – nach dem Vorbild der Tabakindustrie – teure Kampagnen, die uns ermutigen, individuell umweltbewußt einzukaufen, immer das Kleingedruckte zu lesen und derweil die Politik nicht weiter mit fridays for future zu belästigen.
Also kann nur die demokratiegetriebene Politik die Welt retten.
In Österreich beschäftigen sich Regierungsmitglieder zwar im Ergebnis kompetent mit der Coronakrise, sonst aber zu sehr mit ihren Auftritten in Turnschuhen, perfekter Frisur und salbungsvollen, inhaltsleeren Worthülsen, Warnungen, Prognosen, Beschwichtigungen. Es müssen auch Kontakte mit milliardenschweren Investoren gepflegt und Aufsichtsratsposten an ihre Gattinnen zugeteilt werden. Derweil ist die Beurteilung des österreichischen Rechnungshofes hinsichtlich der Einhaltung des Klimazieles in Ziffernnote ein klarer Fünfer. „Während der Treibhausgasausstoß im EU-Schnitt zwischen 1990 und 2017 um ein knappes Viertel gesunken ist, stieg er in Österreich um fünf Prozent an.“ Nach seiner Expertise werden die wirtschaftlichen Schäden jährlich von 4,2 auf 5,2 Milliarden Euro, ohne Kompensationszahlungen, ansteigen. Die Klimaziele der Regierung sind unbestimmt und haben kein erkennbares Erledigungsdatum. CO2-Bepreisung (in Deutschland schon eingeführt)? Fehlanzeige. Lieferkettengesetz (lästig für die Konzerne)? Fehlanzeige.
Wir müssen mal wieder warten, bis die Gerichte und die EU uns retten.
Anmerkungen:
Rechnungshofbericht: Klimaschutz in Österreich:
Michael Mann: »Propagandaschlacht ums Klima: Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen« erschien im März im Verlag Solare Zukunft
EU-Klimaziele: https://orf.at/stories/3209983/