Am 6. Mai 1945 endete die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Vorarlberg und der Krieg war hier vorbei. Doch damit war für die Vorarlberger nicht alles wieder beim Alten, denn bereits am 29. April desselben Jahres betraten erste französische Soldaten in Hohenweiler das Land, welches sie in den kommenden achteinhalb Jahren besetzten, um das Land erneut aufzubauen und dessen Probleme, wie nationalsozialistisches Gedankengut und Hunger, zu beseitigen. Wie man sich Kindheit und Jugend unter Besatzung vorstellen kann wird in den kommenden Wochen anhand von den Erinnerungen vierer Zeitzeugen illustriert werden.
Von Claudia Wachter
Veränderungen nach dem Einmarsch
Helmut Marent wurde am 15. April 1940 am Tschaggunser Ziegerberg geboren und verbrachte dort auch seine Kindheit. Er erinnert sich daran, wie französische Soldaten nach ihrem Einmarsch Hotels und Privathäuser in Beschlag nahmen und sich dort wohnhaft machten, während die eigentlichen Bewohner anderweitig Unterkunft suchen mussten. Auch die Fortbewegung der Vorarlberger wurde durch ständige Kontrollen der sogenannten „Kennkarten“ (heute vergleichbar mit dem Reisepass) erschwert – wer diese nicht bei sich trug, durfte nicht weiter. Dieser Umstand wurde dem damals Fünfjährigen beinahe zum Verhängnis: Zur Jahreswende erlitt der Junge einen Blinddarmdurchbruch und musste bewusstlos von zwei Nachbarinnen zu einem Arzt nach Schruns gebracht werden. Bis sie diesen erreichten, mussten die beiden drei Kontrollen über sich ergehen lassen, bevor der Erkrankte medizinisch versorgt werden konnte, was sein Leben gefährdete.
Probleme nach dem Kriegsende
Aufgrund der Lebensmittelknappheit mussten Landwirte zum Wohl der Bevölkerung einen Teil ihrer Erträge abliefern. Um dennoch ausreichend für ihre Familie zur Verfügung zu haben, bepflanzte Marents Mutter heimlich einen Acker, von welchem die Behörden nichts wussten, denn obwohl seine Familie eine Landwirtschaft besaß und daher mehr Lebensmittel als in der Stadt wohnhafte Menschen zu Verfügung hatte, hatten auch sie nicht immer genügend: Der Zeitzeuge berichtet mir davon, wie er nach einem Mahl begonnen habe „Jetzt fangan mr bald a essala!“ („Jetzt beginnen wir bald zu essen!“) zu singen, woraufhin seine Mutter verzweifelt in Tränen ausgebrochen sei, da die Pfanne leer war und ihr Kind noch immer Hunger litt.
Doch nicht nur an Lebensmitteln mangelte es der Bevölkerung, auch andere Produkte des täglichen Lebens konnten zur Mangelware werden: Als Erstklässler musste Marent zwei Wochen lang von einem älteren Schüler zur Schule getragen werden, da er keine Schuhe hatte und an kein neues Paar kommen konnte.
Freizeit und Bildung
Helmut Marent besuchte gemeinsam mit 26 Mitschülern die einklassige Volksschule am Ziegerberg und litt als einziger Erstklässler unter der großen Klasse, da sich sein Lehrer nicht ausreichend Zeit für seine Bildung nehmen konnte. „Ich habe dann laufend aufgezeigt, [und gesagt, dass] ich aufs Klo möchte. Ich bin dann aber raus, habe meine Schi angezogen und bin zur Talstation Tschagguns gefahren“, meint der Tschaggunser lachend.
Neben der Schule musste der Junge im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie mitarbeiten und hatte dementsprechend vor allem im Sommer kaum Zeit für Spaß und Spiel. Doch wenn sich die Möglichkeit ergab, spielte er gerne mit Freunden Völkerball, ging wandern und fuhr im Winter Schi.
Erlebnisse mit der Besatzungsmacht
Viel habe Marent nicht mit den französischen Besatzern zu tun gehabt, aber hinter seiner Hauptschule hatten die Franzosen ihren Trainingsplatz, wodurch die Schüler immer wieder an Schokolade und andere Süßigkeiten gelangten, aber auch Zeugen davon werden mussten, wie die Soldaten öffentlich Schweine schlachteten und zum Spaß Krähen fingen.
Eine Begegnung mit Besatzungssoldaten blieb ihm allerdings besonders in Erinnerung: Eines späteren Winternachmittags beobachtete Marent eine Gruppe von Franzosen beim Schifahren, was sie laut dem Tschaggunser nicht sonderlich gut beherrschten. Einer der Soldaten fiel in ein Loch und erschien aus diesem nicht mehr, was von der weiterfahrenden Truppe wohl nicht bemerkt wurde. Der damals Elfjährige lief zur Unglücksstelle, hievte den Mann mithilfe seiner Mutter auf einen Schlitten und fuhr ihn in der Dämmerung zur Talstation, wo die restlichen Soldaten bereits auf den Vermissten warteten. Im darauffolgenden Sommer erhielt der Junge Besuch von einem höheren Offizier und dem Soldaten, welchen er gerettet hatte, und wurde als Dank mit Süßigkeiten beschenkt.
Das Ende der Besatzung
1953 zogen die französischen Besatzungstruppen aus Vorarlberg ab und wurden mit Festzügen verabschiedet. Auch Helmut Marent war bei einem solchen anwesend: „Ich war noch in der Schule und wir Kinder, Volksschüler und Hauptschüler, sind Spalier in Schruns gestanden. Alle hatten Fähnchen in der Hand – die österreichische und die französische. Und als die Franzosen durchmarschiert sind, teils zu Fuß oder in diesen Mannschaftsfahrzeugen […], haben sie gehupt und wir haben sie auf diese Art mit den Fahnen verabschiedet.“
Dieser Artikel ist sehr interessant und lesenswert. Auch wir können uns als Kinder noch vage an einzelne Erlebnisse in der französischen Besatzungszeit gegen Ende der Besatzungszeit erinnern, z.B. die sonderbaren langen Weißbrotstangen (Baguette), von denen sie große Stücke abbrachen und dann aßen, was wir kleineren Kinder staunend beobachteten. Auch an die Süßigkeiten, die sie uns manchmal zusteckten, erinnern wir uns immer noch gerne.
Wir freuen uns schon auf die Veröffentlichung von Teil 2.