Auch wenn Kinder zur selben Zeit geboren wurden, schaut ihr Aufwachsen dennoch unterschiedlich aus; jeder macht verschiedene Erfahrungen und hat unterschiedliche Erlebnisse – auch unter Besatzung. Nach Einblicken in die Kindheit von Helmut Marent in der vergangen Woche, wird das Kindsein während der französischen Besatzungszeit nun aus weiblicher Perspektive beleuchtet.
Von Claudia Wachter
Der Einmarsch der französischen Besatzungstruppen
Als der Zweite Weltkrieg in Vorarlberg endete, war die am 6. Jänner 1941 in Außerbraz geborene Hilde Wachter gerade einmal vier Jahre alt. Aus Angst vor den Besatzungstruppen, über welche besonders in Kriegszeiten noch viele grausame Gerüchte verbreitet worden waren, setzte ihr Vater alle seine sechs Kinder und seine Frau auf einen Heuwagen und fuhr mit ihnen in den Wald, um sie vor den fremden Soldaten zu schützen. Er selbst musste anschließend wieder zu ihrer kleinen Landwirtschaft zurückkehren, da die Kühe der Familie gemolken werden mussten. An die Angst und Ungewissheit, die sie während des langen Wartens auf die Rückkehr ihres Vaters verspürte, kann sich die heutige Bürserin noch immer gut erinnern.
Mit Franzosen unter einem Dach
Während ihres Aufenthalts in Vorarlberg lebten acht französische Soldaten im Haus der Familie, wodurch sich ihre Lebensumstände drastisch änderten. Hilde Wachter denkt an diese Zeit zurück: „Wir Kinder mussten alle aus unseren Schlafzimmern ins Wohnzimmer, man hat unsere Betten heruntergeholt. Die Franzosen haben alle ihre Gewehre gestapelt und wir mussten dort schlafen. Wir hatten solche Angst.“ Während ihres Zusammenlebens stahlen die Soldaten die Hühnereier der Familie, doch solange sie nichts Schlimmeres anstellten, ging das für ihre Mutter in Ordnung.
Wachter fügt lachend über das Zusammenleben hinzu: „Die Franzosen aßen gerne Schokolade und versteckten sie [bei uns im Haus. Wenn die Schokolade weg war], dachten sie zuerst, meine Mutter hätte sie gegessen, aber es waren meine Geschwister.“
Mangelware Kleidungsstücke
Aufgrund ihrer kleinen Landwirtschaft musste die Familie nie wirklich Hunger leiden; es fehlte ihnen dafür an anderen Dingen. Um an diese zu gelangen wurde getauscht: Beispielsweise fuhr ihre Mutter nach Bludenz, um dort mit einer Frau Hühnereier gegen Kleidungsstücke einzutauschen. Diese wurden zuerst von den älteren Geschwistern getragen und anschließend an die jüngeren Kinder weitergegeben.
Schule, Arbeit und Freizeitgestaltung
Gemeinsames Lernen mit den Eltern zuhause und ausführliche Erklärungen durch die Lehrpersonen im Unterricht – so schaut die Schulzeit für viele Schüler heutzutage aus. Doch aufgrund der mehrstufigen und großen Klassen konnten sich Lehrer nicht auf die Bildung einzelner konzentrieren, worunter besonders schulisch Schwächere litten. Viele Eltern konnten keine Zeit für Nachhilfe finden, denn sie waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt. „Wir haben dann halt mit Schulfreunden gelernt, sonst wäre man nicht weitergekommen“, so Wachter.
Von Klein auf musste die gebürtige Brazerin auf dem kleinen Bauernhof ihrer Familie mitarbeiten, aber auch sie konnte Zeit finden, um Kind zu sein: Gemeinsam mit ihrer Schwester frisierte sie sich und sprang Seil. Besonders schöne Erinnerungen hat sie aber an das Spielen mit ihrem Puppenhaus, welches von ihrem Vater für sie gebaut und von ihrer Mutter mit Puppenmöbeln, welche sie auf dem Markt gefunden hatte, ausgestattet worden war. Ihre einzige Puppe wurde ihr jährlich einen Monat vor Weihnachten weggenommen und als Geschenk neu eingekleidet. „Wir waren auch zufrieden; man hatte zwar nicht viel, aber es war auch gut“, meint sie.