Über den Luxus, sich für oder gegen eine Impfung entscheiden zu können

Von Martin Fellacher

Im Frühjahr 2021, als in Europa so langsam die Covid-Impfkampagne Fahrt aufnahm, erzählte uns mein Schwager, der in Mexiko lebt, von Bildern aus dem dortigen Fernsehen: Der 70jährige Sohn schob die 90jährige Mutter in der Schubkarre 20km weit zu ihrer Impfung. Es war Ausdruck der Dankbarkeit für die Möglichkeit, eine Impfung zu bekommen – in einem Land, das wesentlich schlechtere medizinische Intensivversorgungskapazitäten hat, als wir das in Mitteleuropa für selbstverständlich erachten. In Mexiko schienen die Menschen einfach froh zu sein, sich selbst schützen zu können.

Heute argumentieren bei uns immer noch viele, dass dies das alleinige Kriterium für die Impf-Entscheidung sei: Man müsse für sich selbst entscheiden dürfen, ob man sich schützen will oder nicht. Dabei verlässt man sich aber auf ein Gesundheitssystem, das ein Sicherheitsnetz bietet, das der absolute Großteil der Menschen auf dieser Welt nicht zur Verfügung hat – und missachtet, dass nicht nur die Zahl der nicht geimpften Menschen auf den Intensivstation entscheidend höher ist, als jene der geimpften Menschen, sondern dass auch die Virenlast bei Geimpften geringer ist, und damit das Ansteckungsrisiko. Nicht der Einzelfall scheint den Unterschied zu machen, sondern die Masse der immunisierten Menschen kann das Infektionsgeschehen offensichtlich bremsen.

Nun wurde in weiten Teilen in Österreich die 2G-Regel eingeführt. Ich bin nicht glücklich darüber, gleichzeitig stimmt es mich nachdenklich, dass dieser Druck zu Schlangen vor den Impfstationen führt. Viele werden es so interpretieren, dass nur mit Druck die nötige Durchimpfungsrate erreicht wird – aber eigentlich ist es Ausdruck eines Kommunikationsdesasters. Im Radio habe ich heute Stimmen gehört von Menschen aus diesen Schlangen, die unter Protest impfen gingen. Sie würden ja jetzt gezwungen, da sie ja sonst nicht mehr zur Fußpflege, in die Restaurants und Cafés gehen oder am Nachtleben teilnehmen können. Ich denke an Freunde in Papua-Neuguinea und frage mich, wie sie diesen „Zwang“ interpretieren würden. „Fußpflege? Café? Wie meinst du das?“, würden sie mich wohl fragen.

Und ich denke an Menschen, die sich auch hier in Österreich nicht impfen lassen können. Deren Immunsystem das bspw. nicht mitmachen würde, bei gleichzeitigem Wissen, dass eine Infektion mit Covid19 wahrscheinlich ihr Todesurteil wäre.All diese Menschen, in Österreich, Mexiko, Papua-Neuguinea und sonstwo auf der Welt, sind für mich der Grund, dass ich die Impfung gegen Covid19 auch als eine Frage der Solidarität erachte. Und auch die Tatsache, dass weitere Lockdowns, wie sie plötzlich wieder im Gespräch sind, wesentlich größere Schäden anrichten würden, als es diese Impfkampagne tun kann, das wissen wir bereits. Wir können es verhindern (hätten es verhindern können?), mit einer entsprechenden Durchimpfung.

Das ist meine Sicht der Dinge. Man kann es anders sehen – aber dann hoffe ich, dass man sich bewusst ist, dass man es auf Basis absolut privilegierter Lebensumstände tut.

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