Von Albert Wittwer
Nur wenn es die Verwaltung erlaubt.
„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Oder doch nicht? Geht es vielleicht bloß von den Mandataren aus? Von unseren Repräsentanten? Oder noch schlimmer von der Regierung, unseren Angestellten?
Unter Berufung auf die Verfassung hat der Verfassungsgerichtshof die direktdemokratische Volksabstimmung in Vorarlberg praktisch beseitigt. Es sei nicht zulässig, ohne Genehmigung der Gemeindemandatare in Angelegenheiten der Gemeinde durch Abstimmung des Gemeindevolkes zu entscheiden.
Die laut Bundespräsident wunderschöne Verfassung hat ja schon bald ein Jahrhundert auf dem Buckel. Klar wurde diese Kiste ständig und teilweise grundlegend renoviert. Auch Experten wissen nicht spontan, wieviele Nebenbestimmungen in Verfassungsrang, irgendwo in den tausenden Gesetzen und den völkerrechtlichen Verträgen verteilt, es insgesamt gibt. Versteckt wie Nadeln im Heuhaufen.
Gut, damit sind wir bis jetzt ganz gut über die Runden gekommen. Aber das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur Volksabstimmung Ludesch ist demokratiepolitisch katastrophal. Es besagt ja nichts weniger, als daß wir, der Souverän, auf kommunaler Ebene nur entscheiden dürfen, was unsere Repräsentanten, die „Diener des Volkes“, uns erlauben.
Das ist unerträglich.
Schon vor Jahrzehnten bewiesen Studien der Universität Zürich die deutliche Überlegenheit direktdemokratischer Entscheidungen gegenüber einer vollständigen Aushöhlung der Volks-Souveränität durch Abgeordnete oder gar die Regierung. Der Mechanismus ist ganz einfach: Sehr leicht können die Mandatare durch den Lobbyismus und die riesigen Finanzmittel der Superreichen beeinflusst werden.
Ich halte durchaus nicht alle Abgeordneten für käuflich. Aber es gab schon Verurteilungen deswegen, vor allem von nicht mehr aktiv Mächtigen, bis hin zur Ministerebene. Dazu kommen die konzernfinanzierten Thinktanks, die vollständige Dossiers zu jedem Thema liefern. Und die Dankbarkeit der Oligarchen folgt manchen Ex-Ministern oder –Kanzlern über die Abdankung oder Abwahl hinaus.
Warum ist die direkte Demokratie, eingebettet in ein System von „Checks and Balances“, der rein repräsentativen überlegen? Es erweist sich, im Einklang mit den Erkenntnissen jedes unbefangenen Beobachters der Schweiz, wissenschaftlich analysiert etwa von Frey/Stutzer der Uni Zürich, nicht als möglich, die Mehrheit des Stimmvolkes durch „Incentives“ zu gewinnen. Oder wenn doch, kommen die Wohltaten bei der Bevölkerung an. Das Beispiel von Ludesch zeigt, daß u.a. durch Geld viele betroffene Grundeigentümer und die repräsentative Gemeindevertretung von den Argumenten für die Umwidmung in Betriebsgebiet überzeugt werden konnten. Nicht aber das Stimmvolk.
Wo wollen wir hin?
Das Verfassungsrecht soll aus guten Gründen dem tagespolitischen Zugriff entzogen bleiben. Aber es ist, wie schon die zahlreichen Novellen beweisen, auch keine heilige Kuh, kein heiliger unwandelbarer Text. Der vom Verfassungsgerichtshof restriktiv interpretierte Artikel 117 B.-VG stammt aus dem Jahre 1930. Seither gab es den reaktionären Ständestaat, den Anschluß an das Deutsche Reich, die Wiederherstellung der Republik und den Beitritt zur Europäischen Union.
Am Beispiel Ludesch: Die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Umwelt, die Medienlandschaft haben sich dramatisch gewandelt, verändert. Es gibt jetzt global flügelverleihende Energydrinks. Dafür werden Millionen Liter Trinkwasser unentgeltlich aus dem Walgau-Grundwasserreservoir entnommen.
Der Vorschlag der Landespolitik für die „Volksabstimmung neu“ ist ein Placebo. Versagt die Gemeindevertretung der Durchführung die Genehmigung, ist sie als bloße Meinungsumfrage, Brief an das Christkind, zu behandeln.
Anmerkungen:
Art. 1 B.-VG
www.verfassungsgerichtshof.at , G 166-168/2020-15, V 340/2020-15
6. 2020
Gebhard Kirchgässner Direkte Volksrechte und die Effizienz des demokratischen Staates, https://doi.org/10.1515/9783110506129-010