Das hochdynamische Infektionsgeschehen macht eine Aufstockung der Krankenhauskapazitäten für Corona-Patient:innen erforderlich. Damit ist wie schon im Vorjahr eine Leistungseinschränkung verbunden. Anders lassen sich der Regelbetrieb und die Versorgung von Covid-19-Erkrankten mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr bewerkstelligen.
Die Lage ist alarmierend, die Aussichten für die Krankenhäuser düster. Angesichts der Wucht der vierten Welle ist davon auszugehen, dass in den kommenden Tagen und Wochen eine hohe Zahl an Covid-19-Erkrankten stationär aufgenommen werden muss. Dabei sind die verfügbaren Kapazitäten in den Spitälern, wo bislang Normalbetrieb herrschte, schon jetzt knapp. „Derzeit sind insgesamt 95 Betten mit Covid-19-Patient:innen belegt, 15 von ihnen benötigen intensivmedizinische Betreuung“, berichtet Direktor Dr. Gerald Fleisch, Geschäftsführer der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebsgesellschaft.
Schwierige Ausgangssituation
Es ist ein einziges Déjà-vu, allerdings unter anderen, schlechteren Vorzeichen. So galten bis zum neuen Lockdown für Ungeimpfte keinerlei Kontaktbeschränkungen, überdies ist die vorherrschende Delta-Variante weitaus ansteckender. Zudem haben andere Atemwegsinfekte heuer ungewöhnlich früh um sich gegriffen und füllen nun schon seit Wochen Arztpraxen wie auch Spitäler. Zwar gibt es die Impfung, aber die niedrige Impfquote reicht nicht aus, um die Infektionsdynamik auszubremsen. „Die Ausgangssituation ist ungleich schwieriger als im vergangenen Herbst“, fasst Fleisch zusammen. „Umso wichtiger ist jetzt, dass wir die erforderlichen Schritte setzen, um die Akutversorgung und alle anderen dringlichen Behandlungen im Land sicherstellen zu können.“
Zurück im Krisenmodus
In den Vorarlberger Spitälern werden zunächst die für Corona-Fälle verfügbaren Normalbetten von 112 auf 205 stufenweise aufgestockt. Zur intensivmedizinischen Behandlung aller Patient:innen stehen derzeit insgesamt 68 Betten bereit. Im Bedarfsfall können die Intensivkapazitäten stufenweise erhöht werden.
Gleichzeitig schränken die Vorarlberger Krankenhäuser ab sofort ihren Regelbetrieb ein und konzentrieren sich verstärkt auf Notfallmedizin und die Versorgung von Covid-19-Erkrankten. „Der Umfang des OP-Programms wird kurzfristig an die verfügbaren Kapazitäten angepasst“, geht Fleisch ins Detail. Planbare, nicht dringliche Operationen würden reduziert. „Welche Eingriffe schlussendlich verschoben werden müssen, wird von einem Ärzt:innenteam in den Häusern abhängig von den Belegungsprognosen und der jeweiligen Personalsituation festgelegt.“
Darüber hinaus sind in Abstimmung mit dem Betriebsrat wie schon im Vorjahr flexible Dienstpläne eingeführt worden, um über die regulär vereinbarten Dienstzeiten hinaus bedarfsgerecht auf die Krise reagieren zu können. Dies ist umso wichtiger, als personelle Ausfälle die Situation in den Spitälern zusätzlich erschweren. Insgesamt 124 Mitarbeitende können im Augenblick coronabedingt nicht arbeiten, 113 von ihnen wurden positiv getestet.
Der KHBG-Direktor zum Ernst der Lage: „Wir sind aufs Neue an jenem Punkt angelangt, an dem es schwierig wird, die gewohnte Regelversorgung für die Vorarlberger Bevölkerung aufrecht zu halten. Beispielsweise nach einem Unfall in den Spitälern die gewohnte Behandlung zu erhalten. Wir werden alles daran setzen, die Gesundheitsversorgung so gut wie möglich aufrechtzuerhalten.“
„Alle Verstorbenen in vierter Welle ungeimpft“
Waren es diesen Herbst zunächst die Normalstationen, die erhöhten Zulauf verzeichneten, geraten nun auch die Intensivstationen immer mehr unter Druck. „Allein in der vergangenen Woche hat sich die Zahl der Intensivpatient:innen mit Covid-19 verdoppelt“, verdeutlicht OA Dr. Wolfgang List vom LKH Feldkirch. Für den Koordinator für die intensivmedizinische Behandlung von Corona-Erkrankten in Vorarlberg sind die Vorteile der Schutzimpfung eindeutig: „Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Alle Patient:innen, die in der vierten Welle an Covid-19 verstorben sind, waren ungeimpft.“ Insgesamt seien auf den heimischen Intensivstationen in diesem Herbst bislang zu 83 Prozent Ungeimpfte behandelt worden. „Das bedeutet, nur 17 Prozent waren vollständig immunisiert, fast alle hatten Vorerkrankungen.“
Harter Weg zurück ins alte Leben
Im Vergleich zum Vorjahr ist auch der Altersschnitt auf der Intensivstation gesunken. Die Mehrzahl der behandelten Covid-19-Patient:innen ist aktuell jünger als 60 Jahre. Im Herbst 2020 waren noch drei Viertel aller Corona-Erkrankten auf den ICU über 60 Jahre alt. Die Altersgruppen mit hoher Durchimpfung zeigen sich deutlich besser geschützt. „Unter jüngeren Patient:innen gibt es zwar weniger Todesfälle. Allerdings bedeutet eine Intensivtherapie immer eine extreme Belastung für die Betroffenen“, betont List. „Zurück ins alte Leben zu finden, ist ein langer Weg und äußerst schwierig. Und für manche auch gar nicht mehr möglich.“
„Diese Welle ist viel schlimmer als alle vorhergegangenen“, hält List fest, „denn die Solidarität in der Gesellschaft ist gewichen.“ Die Leistungen, die nunmehr in den Spitälern erbracht werden müssten, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, sei nur durch Mehrarbeit bewältigbar.
Pflege an der Belastungsgrenze
Dabei ist das Pflegepersonal längst am Anschlag. Dies bestätigt auch Pflegedirektor Bertram Ladner vom Krankenhaus Dornbirn: „Die Mitarbeitenden hatten in 20 Monaten Pandemie noch keine Zeit zum Durchatmen, da zwischen den Corona-Wellen die aufgeschobenen Operationen nachgeholt wurden.“ Auch herrsche mit Blick auf die dramatischen Infektionszahlen und die hohe Belegung auf den Normalstationen große Anspannung: „Die Frage ist, wieviele dieser Patient:innen auf die Intensivstation müssen.“ In den vergangenen
Wellen traf es etwa eine:n von fünf. Inwieweit die Impfung darauf Einfluss nimmt, ist aktuell noch nicht bekannt.
Denn fast die Hälfte der Hospitalisierten ist inzwischen vollimmunisiert. „In der Regel sind es Menschen, die früh geimpft wurden und die dritte Impfung noch nicht erhalten haben“, berichtet Ladner. Doch die Impfung zeige Wirkung: „Wenn Sie als gesunder, geimpfter Mensch an Covid-19 erkranken, haben Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit keine oder nur milde Symptome. In den seltenen Fällen, in denen ein schwererer Verlauf eine Spitalsaufnahme erforderlich macht, müssen Sie auf der Normalstation für wenige Tage mit Sauerstoff versorgt werden.“ Der Pflegeaufwand sei relativ gering und nicht zu vergleichen mit jenem für Ungeimpfte mit schweren Verläufen, die auf die ICU verlegt werden müssen.
Vermeidbare Todesfälle
Bei der Versorgung von Covid-19-Patient:innen sind die Belastungen für die Intensivpflegekräfte unverändert hoch. Das Anlegen der umfangreichen Schutzausrüstung ist zeitaufwändig, die stundenlange Arbeit im Schutzanzug körperlich fordernd. Vor allem aber ist es die psychische Belastung, die dem Intensivpersonal immer mehr zu schaffen macht. „Die Erkenntnis der vergangenen Wochen ist, dass auf den Intensivstationen zu 99,9 Prozent Ungeimpfte sterben“, so der Pflegedirektor. Intensivpfleger:innen seien es gewohnt, um jedes Leben zu kämpfen – und auch, dass sie nicht jeden Kampf gewinnen. „Doch diese Todesfälle sind für unsere Mitarbeitenden äußerst schwer zu verkraften, weil sie durch die Impfung eigentlich vermeidbar wären.“
Drittimpfungen in Spitälern sehr gefragt
Die angekündigte Impfpflicht in Gesundheitsberufen wird von Seiten der Vorarlberger Krankenhäuser daher grundsätzlich begrüßt, „zum Schutz unserer Patient:innen, unserer Mitarbeitenden und deren Familie.“ Der Direktor der KHBG verweist zugleich auf die hohe Impfquote von 86 Prozent unter den Krankenhausbediensteten im Land: „Unsere Mitarbeitenden sind ihrer Sorgfaltspflicht bereits in extrem hohem Maße nachgekommen – und tun dies nach wie vor, wie die hohe Beteiligung an den aktuell in allen Häusern angebotenen Drittimpfungen beweist.“
Einmal mehr appellieren alle Vertreter der Spitäler an die Gesellschaft: „Wir brauchen einen hohe Durchimpfung, um aus diesem Teufelskreis der Pandemie auszubrechen. Mit Ihrer Impfung schützen Sie nicht nur sich selbst und Ihre Mitmenschen, sondern auch unsere Gesundheitsversorgung.“