Feldkircher Lyrikpreis 2021 geht an Sarah Rinderer

© Petra Rainer

Der Feldkircher Lyrikpreis ist einzigartig in Österreich und erhält auch im benachbarten EU-Ausland Anerkennung. Seit 19 Jahren wird mit diesem Preis der besondere Stellenwert der Lyrik im deutschsprachigen Literaturgeschehen gefeiert.

Eine fachkundige Jury – Marie-Rose Rodewald-Cerha, Schriftsteller Herbert J. Wimmer, Kulturwissenschaftler und Literaturkritiker Klaus Zeyringer und Preisträger des Feldkircher Lyrikpreis 2020, Tobias Pagel -, haben aus 1750 Gedichten deutschsprachiger Lyrik ihre Wahl getroffen.


„In einer unaufdringlichen, reduzierten Sprache werden klare, präzise Momentaufnahmen gemacht und immer wieder die Grenzen zwischen Ich und Welt ausgelotet,“ beschreibt Laudator Tobias Pagel die Lyrik der preisgekrönten Poetin.

Sarah Rinderer ist 1994 in Bregenz geboren und hat „Bildende Kunst – Experimentelle Gestaltung und Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften“ an der Kunstuniversität Linz studiert. Sie lebt als Autorin, Künstlerin und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunstuniversität Linz in Wien, Linz und Hard.

Wie im vergangenen Jahr wird der 3. Preis in der Höhe von Euro 1.000.- als Publikumspreis vergeben. Coronabedingt findet das Publikumsvoting wie im letzten Jahr auch dieses Mal online statt.
Es besteht nun die Möglichkeit über die Saumarkt-Homepage eine Stimme für eine bestimmte Lyrikerin oder einen Lyriker abzugeben.

Publikumspreis Abstimmung auf 
www.saumarkt.at (ab 22. Nov., 10.oo Uhr)

fluoreszierende streifen

(grün | 25° – 67°)

kursive handschrift der gräser im wind

die wieder und wieder

die neuen buchstaben übt      

ich denke so viel

kaum eine ruhepause

                            länger

        als ich ein gedicht sprechen kann

kurz vor dem leuchtturm

überholt mich eine joggerin

an den ärmeln ihrer windjacke

                   fluoreszierende streifen

am wegrand

die vom regen

aufgeweichte verpackung

eines feuerwerks

fern-orten

(weiß | 67° – 217°)

schläfst du?

frage ich nachts

das displayleuchten

tagsüber   

stillelos

schuh an fastinselspitze

höre ich

            mit den steinen auf

fern-orte

fingernagelgroße schiffe

im horizontbereich

gefrorener mehl

             schnee staub

meersalzschuppen

auf der haut

auf dem gischtrauen verputz

des leuchtturms

von kindern gemalte tiere

eine möwe

trägt ein krokodil

fünfzehn seemeilen in die weite

endalaust

(rot | 217° – 281°)

ich bin besessen von muschelfragmenten

von drei-in-eins-

multifunktion facetten

vom ankommen meiner fußsohlen auf vulkansand

wind der sich an meine ränder lehnt

von trompetenhöhen zwischen kopfhörerschalen

flügel

fädig

                                   lappen

tang

den angespülten wurzeln

fremdartiger gewächse

summend

braun bis purpur

ich nehme alles

auf der ersten silbe beton-end–

los, weiter : mein schatten

eine zukunftsweise

wachsende riesin

o

(grün | 281° – 294°)

ein pastellfarbener fischcontainer

            der los-gelöst im wind

in die bucht hinaustreibt

statt der alten zeichen des heimathafens

auf der seite nur

die kontur eines kreises

gróttasong

(dunkelsektor | 294° – 25°)

heute-geschmack

der wärme in meiner isolierkanne

                                    flut

die landverbindung zur leuchtturminsel

unterbrochen

warte auf netzwerk

wieder und wieder

am parkplatz

autos mit ausgeschalteten scheinwerfern

träumen

                  körnig

mit fern-auslöser

eine uralte geschichte

in den ortsnamen

eine mühle

        sich drehende steine

wieder und wieder

       knirschen           gold                                 

glückseligkeits-schaum zitterte

später feuersignale

                                 salz

immer mehr

zu mahlende wünsche

bis das meer salzig wurde

aus einem minibus mit der aufschrift

happy world

steigen dunkle silhouetten

wie seekönige

und wo der himmel heller ist

sage ich nordlichter voraus

aber es ist nur der leuchtturm

der wieder und wieder

grün aufblinkt

2. Preis: Martin Piekar



Martin Piekar, ’90 geboren, hat in Frankfurt am Main an der Goethe-Uni Philosophie und der Geschichte auf Lehramt studiert. Lebt und arbeitet von Frankfurt aus. Er war 2010 Stipendiat der Stiftung Niedersachsen. 2012 war er Lyrikpreisträger beim 20. Open Mike. 2014 wurde er World Lyrikwrestling Champion. 2016 bekam er hr2-Literaturpreisträger, sowie den Atta-Troll-Superpreis für radikale Ideologiekritik. 2017 ausgezeichnet mit dem Sonderpreis Lyrik beim Nordhessischen Autorenpreis. 2018 erhielt er den Jurypreis des Irseer Pegasus‘, sowie der Alfred-Gruber-Preis in Meran. 2019 Finalist beim Literarischen März in Darmstadt. 2020 ist er Stipendiat des Hausacher LeseLenz e.V. und des Hessischen Literaturrats.
Sein erster Gedichtband „Bastard Echo“ erschien im Frühjahr 2014 beim Verlagshaus Berlin, bereits in zweiter Auflage. 2016 erschien gemeinsam mit Jan Kuhlbrodt „Überschreibungen“ im Verlagshaus Berlin. 2018 erschien sein zweiter Gedichtband „AmokperVers“. Er arbeitet an seinem dritten Gedichtband „livestream & schizofrenia – ein spazier“ sowie an seinem Romanprojekt „Vom Fällen eines Stammbaums“.

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i am sic – sagt sie & zieht sich einen scheifen haut vom unterarm

flickwerk will sie heißen & baue theseus‘ schiff

einmal die woche betäube sie sich zur klarheit

& tausche einen hautlappen gegen einen anderen

sie will wissen, wie häufig sie ihre haut wechseln muss

um sich in einer neuen zu fühlen

sie fragt, ob ich es kenne

in diesen fallenden traum geboren zu werden

hier unter einer brücke, immer unter einer brücke

sehen wir dem blut gerinnend zu

sie schneidet sich von der wade ein weiteres stück

ich suche nichts unter der haut, sagt sie

die autorität von gewebe erkennst du beim bloßen anblick

sagt sie & nadel & faden

wir faszinieren uns bis ich durchs nadelöhr gehe

viele denken, ich suche wanzen oder chips

doch mir geht es nur um haut

sie lehnt an dem pfeiler, ästhetisch wie ausgelaugte vom sport

& vernäht sich, i am sic, sagt sie

weißt du, ich bin aus keinem traum je aufgewacht

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& ich falle als würde ich mit jedem schritt nur weiter fallen

als würden die steine unter meine füßen fallen

& weiter ins pflaster

ich habe nicht den eindruck, dass es richtung gibt

der fall ist frei von jeglichem du, & ich

befürchte, dass tränen nach oben fallen

& manchmal würd ich gern

beim fallen händchenhalten

im freien fall schnellt alles gleich: schuld, scherben, snacks

ich möchte gern wieder jemand lachen hören – aber fröhlich

kennst du dieses lachen

dies lachen, bei dem man nur innerlich hört

wie etwas zerbrach & irgendwie verbleibt der ton

es zerbricht, bricht, es zerbricht

ich kann es nicht mehr hören & weiß: ich kann es doch

ich falle an tausenden laternen vorbei & sehe nur eine

das leben filmt sich, zittert den richtigen moment herbei

falle tiefer, noch tiefer, der schmutz bin auch immer ich

ich falle & sehe immer wieder scherben glitzern

ich frag mich, ob ich auch für andere wie schmutz schmecke

ich falle & würde gerne weinen, lachen, händchenhalten

ich will das leben nicht als loch begreifen & das du

nicht als stopfen – oder tapete – oder snack

sanft sprechen, laut lachen, hart ficken

schamlos weinen & unschuldig bleiben

ich gebe bescheid, wenn ich auf den boden komme

kopf hoch, den grund kenne ich schon, auf, auf fällt es

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ein leerer blick läuft stracks in mich hinein

& entschuldigt sich; er könne die augen nicht

vom ersten photo des schwarzen loches abwenden

& in seinen pupillen lauter fülle

am rande des universums

knistern plastikflaschen, sie knistern &

q-tips stranden neben asteriodengürteln

strohhalme, ganze felder strohhalme

letzte boarding pässe schweben kometen hinterher

abgelebte wattepads & ungenossene nackenkissen

kassenbons knutschen zigarettenstummel im nebel

wimmernde gardinenstangen, kurz vorm bruch

getränkedosen heulen monde an

kotztüten schwirren, streikende kotztüten

notizen streiten über sinn von teilchen

& antiteilchen segnen & schänden das vakuum

einkaufslisten fallen in ohnmacht, sprühdosen im burnout

kaputte lesebrillen buhlen um einschweißfolie

einmalhandschuhe belästigen eingeschweißte, harte gurken

reifenreste mit lidstrich blinzeln aus dem dunkel der pupille

der fehler, das denken, das leben im all

würde unser leben verändern

ich habe angst überallhin

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wie kann man auf offener straße keine prügelei beginnen

bei der absprache der menschenrechte

an diesem sonnigen tag, weitab vom meer, verkündet er

:& schließlich gehöre das meer uns – verneine ich

wie kann man da nicht zuschlagen bei seinem duft

nach salami, schnaps & wunsch

nach identität mit sich selbst

wie kann man da nicht einem lied ohne leid misstraun

wie kann man da nicht, wenn die negation von stacheldraht

nicht regenbogen, sondern trotzdem nationalstaat heißt

wie kann man da nicht, wo menschenwert bepreist wird

wie können wir nicht zuschlagen

wenn menschliche entbindung 

immer auf offener straße stattfindet

wie können wir nicht, wenn wir leichen nach gründen fleddern

wie können wir nicht, wenn unsere mahlzeit

jemand brechen wird & keiner verhungern will

wie können wir nicht unsern müll verteufeln

wenn müllabfuhr wie fortschritt vorfährt

wie können wir nicht, wenn wir die wahl haben?

wie kann ich nicht zuschlagen an einem sonnigen tag

an dem ich glaube, es bleibt sowieso alles gleich

wie kann ich nicht, wenn meine gedanken

immer eine schaufel bei sich tragen

& denkmäler sich lüstern lippen lecken

weil sie wissen, grenzen sind nicht im denken

grenzen sind ausgedacht

wie kann ich nicht, wenn mir jede schönheit

wie vandalismus begegnet

wie kann ich nicht, da unsere träume toxisch werden

im cocktailshaker der verwirklichung

manche tage sind sonnig & tragen opferkonkurrenz

wie kann ich nicht auf offener straße eine prügellei beginnen

wenn ich weiß, dass es falsch ist

dass er ohnehin verletzt ist, so wie ich bereits

dass wir gegeneinander kämpfen

aber nicht an derselben front

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immer, wenn ich dir ein hauptwort abschlage, google

poppen zwei neue auf & jede faser meines körpers

wird glas, meine undinge werden sichtbar wie dinge

sieh dich an, google, geh auf bildersuche

sieh dich an

ein registrum des weltwunderns

ich schlage dir mehr wunden vor

wie du trage ich auch ein unding, das schön macht

trag deine wunden schlagwörter

offen wie niemand, google

wie früher das staunen

von innen gegen die blicke pochte

kann es heute ins auge stürzen, ohne zweifel

ich sitze auf einer bank & führe mein unding spazieren

& jedes mal, wenn ich dir wieder etwas abschlage, google

meine ich, dass du wie ich

einst aus einer wunde hervorgekrochen

komm, setzt dich zu mir

& lass mich dich nutzen, lass mich

sesamernte googlen, friedensnobelpreisträgerin

hanna arendts zigarettenmarke(n?)

dann polnische wurst, anarchistisches kochbuch

dinosaurierpyjama will ich googlen

tindern in minsk, zebras auf zebrastreifen

sternenkonstellation: luftpumpte googlen, dann #, dann

brackwasser versus abwasser

strich in der landschaftsetymologie

dann mojitorezepte, dann

steueroptimierung von konzernen googlen

dann ultramoderne, & dann warten

bis du dich fragst, google, wer du bist

Ich will, dass du dich fragst, wer du bist

geschlagen schön, wie du aussiehst

ich will dein spiegel sein

ich möchte jeden spiegel des universums

mit meinem unding verhängen & drüberschreiben

: scheißdrauf, du bist wunderschön

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