Der Feldkircher Lyrikpreis ist einzigartig in Österreich und erhält auch im benachbarten EU-Ausland Anerkennung. Seit 19 Jahren wird mit diesem Preis der besondere Stellenwert der Lyrik im deutschsprachigen Literaturgeschehen gefeiert.
Eine fachkundige Jury – Marie-Rose Rodewald-Cerha, Schriftsteller Herbert J. Wimmer, Kulturwissenschaftler und Literaturkritiker Klaus Zeyringer und Preisträger des Feldkircher Lyrikpreis 2020, Tobias Pagel -, haben aus 1750 Gedichten deutschsprachiger Lyrik ihre Wahl getroffen.
„In einer unaufdringlichen, reduzierten Sprache werden klare, präzise Momentaufnahmen gemacht und immer wieder die Grenzen zwischen Ich und Welt ausgelotet,“ beschreibt Laudator Tobias Pagel die Lyrik der preisgekrönten Poetin.
Sarah Rinderer ist 1994 in Bregenz geboren und hat „Bildende Kunst – Experimentelle Gestaltung und Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften“ an der Kunstuniversität Linz studiert. Sie lebt als Autorin, Künstlerin und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunstuniversität Linz in Wien, Linz und Hard.
Wie im vergangenen Jahr wird der 3. Preis in der Höhe von Euro 1.000.- als Publikumspreis vergeben. Coronabedingt findet das Publikumsvoting wie im letzten Jahr auch dieses Mal online statt.
Es besteht nun die Möglichkeit über die Saumarkt-Homepage eine Stimme für eine bestimmte Lyrikerin oder einen Lyriker abzugeben.
Publikumspreis Abstimmung auf www.saumarkt.at (ab 22. Nov., 10.oo Uhr)
fluoreszierende streifen
(grün | 25° – 67°)
kursive handschrift der gräser im wind
die wieder und wieder
die neuen buchstaben übt
ich denke so viel
kaum eine ruhepause
länger
als ich ein gedicht sprechen kann
kurz vor dem leuchtturm
überholt mich eine joggerin
an den ärmeln ihrer windjacke
fluoreszierende streifen
am wegrand
die vom regen
aufgeweichte verpackung
eines feuerwerks
fern-orten
(weiß | 67° – 217°)
schläfst du?
frage ich nachts
das displayleuchten
tagsüber
stillelos
schuh an fastinselspitze
höre ich
mit den steinen auf
fern-orte
fingernagelgroße schiffe
im horizontbereich
gefrorener mehl
schnee staub
meersalzschuppen
auf der haut
auf dem gischtrauen verputz
des leuchtturms
von kindern gemalte tiere
eine möwe
trägt ein krokodil
fünfzehn seemeilen in die weite
endalaust
(rot | 217° – 281°)
ich bin besessen von muschelfragmenten
von drei-in-eins-
multifunktion facetten
vom ankommen meiner fußsohlen auf vulkansand
wind der sich an meine ränder lehnt
von trompetenhöhen zwischen kopfhörerschalen
flügel
fädig
lappen
tang
den angespülten wurzeln
fremdartiger gewächse
summend
braun bis purpur
ich nehme alles
auf der ersten silbe beton-end–
los, weiter : mein schatten
eine zukunftsweise
wachsende riesin
o
(grün | 281° – 294°)
ein pastellfarbener fischcontainer
der los-gelöst im wind
in die bucht hinaustreibt
statt der alten zeichen des heimathafens
auf der seite nur
die kontur eines kreises
gróttasong
(dunkelsektor | 294° – 25°)
heute-geschmack
der wärme in meiner isolierkanne
flut
die landverbindung zur leuchtturminsel
unterbrochen
warte auf netzwerk
wieder und wieder
am parkplatz
autos mit ausgeschalteten scheinwerfern
träumen
körnig
mit fern-auslöser
eine uralte geschichte
in den ortsnamen
eine mühle
sich drehende steine
wieder und wieder
knirschen gold
glückseligkeits-schaum zitterte
später feuersignale
salz
immer mehr
zu mahlende wünsche
bis das meer salzig wurde
aus einem minibus mit der aufschrift
happy world
steigen dunkle silhouetten
wie seekönige
und wo der himmel heller ist
sage ich nordlichter voraus
aber es ist nur der leuchtturm
der wieder und wieder
grün aufblinkt
2. Preis: Martin Piekar |
Martin Piekar, ’90 geboren, hat in Frankfurt am Main an der Goethe-Uni Philosophie und der Geschichte auf Lehramt studiert. Lebt und arbeitet von Frankfurt aus. Er war 2010 Stipendiat der Stiftung Niedersachsen. 2012 war er Lyrikpreisträger beim 20. Open Mike. 2014 wurde er World Lyrikwrestling Champion. 2016 bekam er hr2-Literaturpreisträger, sowie den Atta-Troll-Superpreis für radikale Ideologiekritik. 2017 ausgezeichnet mit dem Sonderpreis Lyrik beim Nordhessischen Autorenpreis. 2018 erhielt er den Jurypreis des Irseer Pegasus‘, sowie der Alfred-Gruber-Preis in Meran. 2019 Finalist beim Literarischen März in Darmstadt. 2020 ist er Stipendiat des Hausacher LeseLenz e.V. und des Hessischen Literaturrats.
Sein erster Gedichtband „Bastard Echo“ erschien im Frühjahr 2014 beim Verlagshaus Berlin, bereits in zweiter Auflage. 2016 erschien gemeinsam mit Jan Kuhlbrodt „Überschreibungen“ im Verlagshaus Berlin. 2018 erschien sein zweiter Gedichtband „AmokperVers“. Er arbeitet an seinem dritten Gedichtband „livestream & schizofrenia – ein spazier“ sowie an seinem Romanprojekt „Vom Fällen eines Stammbaums“.
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i am sic – sagt sie & zieht sich einen scheifen haut vom unterarm
flickwerk will sie heißen & baue theseus‘ schiff
einmal die woche betäube sie sich zur klarheit
& tausche einen hautlappen gegen einen anderen
sie will wissen, wie häufig sie ihre haut wechseln muss
um sich in einer neuen zu fühlen
sie fragt, ob ich es kenne
in diesen fallenden traum geboren zu werden
hier unter einer brücke, immer unter einer brücke
sehen wir dem blut gerinnend zu
sie schneidet sich von der wade ein weiteres stück
ich suche nichts unter der haut, sagt sie
die autorität von gewebe erkennst du beim bloßen anblick
sagt sie & nadel & faden
wir faszinieren uns bis ich durchs nadelöhr gehe
viele denken, ich suche wanzen oder chips
doch mir geht es nur um haut
sie lehnt an dem pfeiler, ästhetisch wie ausgelaugte vom sport
& vernäht sich, i am sic, sagt sie
weißt du, ich bin aus keinem traum je aufgewacht
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& ich falle als würde ich mit jedem schritt nur weiter fallen
als würden die steine unter meine füßen fallen
& weiter ins pflaster
ich habe nicht den eindruck, dass es richtung gibt
der fall ist frei von jeglichem du, & ich
befürchte, dass tränen nach oben fallen
& manchmal würd ich gern
beim fallen händchenhalten
im freien fall schnellt alles gleich: schuld, scherben, snacks
ich möchte gern wieder jemand lachen hören – aber fröhlich
kennst du dieses lachen
dies lachen, bei dem man nur innerlich hört
wie etwas zerbrach & irgendwie verbleibt der ton
es zerbricht, bricht, es zerbricht
ich kann es nicht mehr hören & weiß: ich kann es doch
ich falle an tausenden laternen vorbei & sehe nur eine
das leben filmt sich, zittert den richtigen moment herbei
falle tiefer, noch tiefer, der schmutz bin auch immer ich
ich falle & sehe immer wieder scherben glitzern
ich frag mich, ob ich auch für andere wie schmutz schmecke
ich falle & würde gerne weinen, lachen, händchenhalten
ich will das leben nicht als loch begreifen & das du
nicht als stopfen – oder tapete – oder snack
sanft sprechen, laut lachen, hart ficken
schamlos weinen & unschuldig bleiben
ich gebe bescheid, wenn ich auf den boden komme
kopf hoch, den grund kenne ich schon, auf, auf fällt es
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ein leerer blick läuft stracks in mich hinein
& entschuldigt sich; er könne die augen nicht
vom ersten photo des schwarzen loches abwenden
& in seinen pupillen lauter fülle
am rande des universums
knistern plastikflaschen, sie knistern &
q-tips stranden neben asteriodengürteln
strohhalme, ganze felder strohhalme
letzte boarding pässe schweben kometen hinterher
abgelebte wattepads & ungenossene nackenkissen
kassenbons knutschen zigarettenstummel im nebel
wimmernde gardinenstangen, kurz vorm bruch
getränkedosen heulen monde an
kotztüten schwirren, streikende kotztüten
notizen streiten über sinn von teilchen
& antiteilchen segnen & schänden das vakuum
einkaufslisten fallen in ohnmacht, sprühdosen im burnout
kaputte lesebrillen buhlen um einschweißfolie
einmalhandschuhe belästigen eingeschweißte, harte gurken
reifenreste mit lidstrich blinzeln aus dem dunkel der pupille
der fehler, das denken, das leben im all
würde unser leben verändern
ich habe angst überallhin
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wie kann man auf offener straße keine prügelei beginnen
bei der absprache der menschenrechte
an diesem sonnigen tag, weitab vom meer, verkündet er
:& schließlich gehöre das meer uns – verneine ich
wie kann man da nicht zuschlagen bei seinem duft
nach salami, schnaps & wunsch
nach identität mit sich selbst
wie kann man da nicht einem lied ohne leid misstraun
wie kann man da nicht, wenn die negation von stacheldraht
nicht regenbogen, sondern trotzdem nationalstaat heißt
wie kann man da nicht, wo menschenwert bepreist wird
wie können wir nicht zuschlagen
wenn menschliche entbindung
immer auf offener straße stattfindet
wie können wir nicht, wenn wir leichen nach gründen fleddern
wie können wir nicht, wenn unsere mahlzeit
jemand brechen wird & keiner verhungern will
wie können wir nicht unsern müll verteufeln
wenn müllabfuhr wie fortschritt vorfährt
wie können wir nicht, wenn wir die wahl haben?
wie kann ich nicht zuschlagen an einem sonnigen tag
an dem ich glaube, es bleibt sowieso alles gleich
wie kann ich nicht, wenn meine gedanken
immer eine schaufel bei sich tragen
& denkmäler sich lüstern lippen lecken
weil sie wissen, grenzen sind nicht im denken
grenzen sind ausgedacht
wie kann ich nicht, wenn mir jede schönheit
wie vandalismus begegnet
wie kann ich nicht, da unsere träume toxisch werden
im cocktailshaker der verwirklichung
manche tage sind sonnig & tragen opferkonkurrenz
wie kann ich nicht auf offener straße eine prügellei beginnen
wenn ich weiß, dass es falsch ist
dass er ohnehin verletzt ist, so wie ich bereits
dass wir gegeneinander kämpfen
aber nicht an derselben front
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immer, wenn ich dir ein hauptwort abschlage, google
poppen zwei neue auf & jede faser meines körpers
wird glas, meine undinge werden sichtbar wie dinge
sieh dich an, google, geh auf bildersuche
sieh dich an
ein registrum des weltwunderns
ich schlage dir mehr wunden vor
wie du trage ich auch ein unding, das schön macht
trag deine wunden schlagwörter
offen wie niemand, google
wie früher das staunen
von innen gegen die blicke pochte
kann es heute ins auge stürzen, ohne zweifel
ich sitze auf einer bank & führe mein unding spazieren
& jedes mal, wenn ich dir wieder etwas abschlage, google
meine ich, dass du wie ich
einst aus einer wunde hervorgekrochen
komm, setzt dich zu mir
& lass mich dich nutzen, lass mich
sesamernte googlen, friedensnobelpreisträgerin
hanna arendts zigarettenmarke(n?)
dann polnische wurst, anarchistisches kochbuch
dinosaurierpyjama will ich googlen
tindern in minsk, zebras auf zebrastreifen
sternenkonstellation: luftpumpte googlen, dann #, dann
brackwasser versus abwasser
strich in der landschaftsetymologie
dann mojitorezepte, dann
steueroptimierung von konzernen googlen
dann ultramoderne, & dann warten
bis du dich fragst, google, wer du bist
Ich will, dass du dich fragst, wer du bist
geschlagen schön, wie du aussiehst
ich will dein spiegel sein
ich möchte jeden spiegel des universums
mit meinem unding verhängen & drüberschreiben
: scheißdrauf, du bist wunderschön