Die Kunst des Rücktritts

Von Albert Wittwer

Die Kunst des Rücktritts

Ohne eigene Substanz wird man als hoher Funktionär ein Opfer der Spin-Doktoren. Glaubwürdigkeit, Authentizität können die nicht liefern. Sie horchen ständig aber oberflächlich hinaus, als könnte man eine Symphonie in drei Takten ergründen. Sie hören was in ihren Kram passt. Die Allerweltklügsten im Team setzen sich durch. Besonders, wenn es zu viele sind, verderben sie den Brei wie die sprichwörtlichen Köche.

Ein guter Rücktritt ist für einen jungen Mann, der seine Überzeugungskraft dem Lob der Lohnarbeit und der Diskreditierung der Erwerbsarbeitslosigkeit gewidmet hatte, unerlässlich. Er baut die Brücke zu künftigen Aufgaben – außerhalb des Dunstkreises der Oligarchen und Potentaten, die Ex-Politiker um sich scharen mögen.

Ein guter Rücktritt kann nicht ohne Selbstkritik, ohne ein Mindestmaß an Einsicht gelingen. Die zu liefern war die handverlesene Mannschaft der persönlichen Berater unfähig. Sie glaubten wohl, sie hätten damit sich selbst, ihre tatsächlich fragwürdige Leistung, desavouiert. Bestimmt wollen sie bleiben. Daß ihr Netzwerk zerbröselt, müssen sie erst mühsam begreifen. Seit einigen Jahren sind die alternativen Fakten, sogar die glaubwürdigen Gerüchte, kombiniert mit der Strategie, nie einen Fehler einzugestehen, hoch im Kurs. Aber nicht bei der großen Mehrheit. Und schon gar nicht in den Unternehmen.

Das ist für die Hauptdarsteller keine Entschuldigung. Undenkbar, daß jemand mit der Substanz der Frau Angela Merkel diesen Schmarren übernommen, die Geburt eines Kindes als Vorwand für den unvermeidlichen Rückzug aus der Politik vorgeschoben hätte. Die echte Rücktrittsrede hat ansatzweise der neue Bundeskanzler gehalten. Politisches Kalkül verbot ihm, die Zäsur zum Vorgänger allzu deutlich zu machen.

Was hätte der sagen können?

In einer Abschiedsrede darf man durchaus auf Erfolge verweisen. Für einen Manager ist es Pflicht, dabei auch offene Baustellen und Fehler zu erwähnen. Bei klaren Zielen beruhen Fehler oft auf Fehleinschätzungen. In einer offenen Fehlerkultur, das ist für jedes Lernen und Verbessern Voraussetzung, wird die Sündenbockfrage nicht gestellt. „Wer ist schuld“ ist kontraproduktiv.

Im Staat die richtigen Ziele zu setzen, ist eine Aufgabe der demokratisch legitimierten politischen Führung nach reiflicher Beratung durch Fachleute. Da geht es oft um Abwägung und Gewichtung von nicht nur konkurrierenden, sondern auch sich konterkarierenden Interessen. Das kann der Politik niemand abnehmen. Doch zurück zu den vermeidbaren Fehlern. Dazu hat Churchill drei selbstkritische Feststellungen geprägt:

„Ich hätte es wissen müssen. Meine Berater hätten es wissen müssen, man hätte es mir sagen müssen, und ich hätte fragen müssen.“

Hieraus leitet die Fachliteratur zum Thema Management von Unerwartetem vier Fragen ab: Warum habe ich es nicht gewusst? Warum haben meine Berater es nicht gewusst? Warum hat es mir niemand gesagt? Warum habe ich nicht gefragt?

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