Da die beiden Autoren der Geburtslegenden gegen Ende des zweiten Jahrhunderts niemand mehr kannte, gab man ihnen in der jungen Kirche die Namen Matthäus und Lukas. Beide haben beeindruckende Verkündigungsarbeit geleistet. Selbst der Kirche Fernstehende kennen die erhebende Geschichte des Lukasevangeliums von der Geburt Jesu in der Krippe eines Stalles (bei Matthäus in einem Haus). Die Hirten auf dem Feld oder die Magier aus dem Morgenland werden jedes Jahr in Tausenden von Kirchen auf die Bühne gebracht.
Von Ex-Priester Adi Untermarzoner
Ochs und Esel sind dabei romantische Hinzufügungen aus dem Alten Testament: „Ein Ochse kennt seinen Herrn.“ (Jes. 1, 3). Das Weihnachtsevangelium gehört emotional zum Schönsten, was das Christentum zu bieten hat. Weihnachten wird von den Gläubigen und Ungläubigen als größtes Fest empfunden, obwohl theologisch Ostern höher steht. Selbst Taufscheinkatholiken finden zur Christmette einmal jährlich den Weg in die Kirche, auch wenn sie sonst der Institution Kirche bestenfalls als zahlende Mitglieder angehören. Besonders bei uns in den Alpen weiß man mit viel Weihnachtsromantik und dem Lied „Stille Nacht, …“ rührend bis sentimental zu feiern. Kitsch, „Holder Knabe im lockigen Haar…“ und Widerspruch (eine stille Nacht, in der ganze Heerscharen singen) werden in der seligen Stimmung problemlos verdrängt. Realitätsbezogene Historiker können daher mit ihren Einwänden nur als störend empfunden werden. Realität ist aber, dass das Weihnachtsfest jeglicher historischen Grundlage entbehrt und auf den 25. Dezember aus synkretistischen Gründen im dritten Jahrhundert festgelegt wurde. Synkretismus ist Vermischung religiöser Annahmen. Im Falle der Weihnachtsfestes mit dem „Sol Invictus“ unbesiegter Sonnengott.
Religiöser Fundamentalismus
Die verheerenden Religionskriege zwischen Protestanten und Katholiken (ca. 40 % der deutschen Landbevölkerung fielen dem Krieg und den Seuchen zum Opfer) lösten vielfach die Frage nach den Ursachen aus. Man erkannte, dass die Fixierung auf unabänderliche Wahrheiten der eigentliche Grund war, sich jahrzehntelang den Schädel einzuschlagen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann die Abwendung von den religiösen Fundamentalismen und eine Hinwendung zu Vernunft und Toleranz. Diese Prinzipien der Aufklärung beeinflussten auch die Geschichtsschreibung und führten zur historisch-kritischen Methode in der Erforschung der angeblich von Gott inspirierten und daher unabänderlichen Schriften. Die Exegese (Auslegung, Interpretation) des Lebens Jesu begann mit Hermann Samuel Reimarus (1694 – 1768) und David Friedrich Strauß (1808 – 1874). Im 20. Jahrhundert befassten sich Bultmann und Schweitzer mit dem Thema und nun haben die evangelischen Exegeten Gerd Lüdemann, Gerd Theißen und Annette Merz umfangreiche und akribische Arbeiten geliefert. Es gibt weitere Veröffentlichungen von katholischen und evangelischen Theologen. Einige der Exegeten haben sich auf Grund ihrer entlarvenden Forschungsergebnisse von ihrer Kirche getrennt und gaben ihren Glauben auf.
Historisch unerwähnt geblieben
Außerbiblische Quellen für das Kommen Gottes in die Welt gibt es nicht. Gott erschien in der Welt, aber niemand hat etwas davon gemerkt. Kein Historiker der damaligen Zeit erwähnt die Ankunft Gottes. Von Jesus selbst geschriebene Texte gibt es nicht. Ob er schreiben konnte wissen wir nicht, manche meinen, er konnte eventuell lesen. Keiner der Autoren der Evangelien hat Jesus persönlich gekannt, auch Paulus nicht. Moderne Exegeten, katholische und evangelische, sind sich einig, die Evangelien nach Lukas und Matthäus seien frühestens ca. 90 n. Chr. geschrieben worden.[1] Ältestes Evangelium ist das nach Markus, obwohl das Neue Testament mit dem Matthäusevangelium beginnt. Eine Geburtsgeschichte kommt im Markusevangelium nicht vor. „Der Markus-Evangelist ist Sammler, insofern er nachweislich formal und theologisch unterschiedlich geprägte schriftliche und mündliche Traditionsstoffe aufnimmt.“[2] „Markus, der älteste Evangelist beginnt sofort mit Jesu öffentlichem Auftreten und scheint sich für die Vorgeschichte dessen Wirkens nicht zu interessieren. Oder wusste er nichts darüber? Waren die ersten 30 Jahres des Lebens Jesu einfach unspektakulär? Man wird dies annehmen dürfen, doch konnte das auf Dauer nicht so bleiben. Bei Heiligen oder religiösen Führern muss auch die Kindheit schon wunderbar gewesen sein, das ist ein Grundgesetz der Religionsgeschichte und lässt sich vielfach belegen. Auch der Messias muss deshalb eine außergewöhnliche Geburt und Kindheit gehabt haben. So finden sich bei Matthäus und Lukas vor der eigentlichen Wirksamkeit Jesu die Geburtslegenden, von denen Markus noch nichts schreibt. In der Forschung gelten sie für das Leben Jesu, grob gesagt, als völlig wertlos, sagen aber viel über den späteren Glauben der Gemeinde aus. Sie sind Erfindungen der Evangelisten oder ihrer Vorgänger und rein aus theologischem Interesse heraus entstanden.“[3] Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas werden Synoptiker genannt. Sie beschreiben und deuten das Leben und die Lehre Jesu aus einer vergleichbaren Optik. Lukas gilt unter den Synoptikern als der Historiker, weil er behauptete, sich genau erkundigt zu haben. Liest man allerdings die Geburtsgeschichte dieses angeblichen Historikers (Lk 2, 1-21) unvoreingenommen, hinterlässt er eher den Eindruck eines frommen Predigers.
Die folgende Exegese der Weihnachtsgeschichten orientiert sich an den umfangreichen Arbeiten der bereits erwähnten evangelischen Theologen Gerd Theißen und Annette Merz. Das Buch von Gerd Lüdemann „Jesus nach 2000 Jahren“[4] behandelt den Text ebenfalls.
Motive der Davidstradition
Die Geburtserzählung des Lukasevangeliums ist mit Motiven der Davidstradition ausgestaltet: Josef stammt aus dem Haus und Geschlecht Davids (Lk 2,4). Wegen einer vom Kaiser verordneten Steuerschätzung begab er sich mit Maria in die Davidsstadt, in der nach der Verheißung im Buch des Propheten Michäas 5,1 des Alten Testaments der Messias geboren werden sollte. (Vgl. Lk 2, 11). Der Evangelist erreichte damit die enge Verknüpfung von Welt- und Heilsgeschichte und erklärt zugleich, warum Jesus nicht in Nazareth geboren wurde. Ratzinger glorifiziert diesen Zusammenhang. An die Stelle des Kaiser Augustus und des römischen Weltreiches ist nun Jesus, der universale Heilsbringer mit seiner universalen Heilsbotschaft, in die Welt getreten. Es ist in der Tat „Fülle der Zeit“. Schließlich versteigt sich Ratzinger gar zu der jeder Realität widersprechenden Aussage: „Der ‚Heiland‘ hat der Welt vor allem den Frieden gebracht.“[5]
Umstrittener Geburtsort
In der gesamten evangelischen Überlieferung gilt Nazareth als Heimatort Jesu. Markus und Johannes setzen unausgesprochen voraus, dass Jesus dort auch geboren wurde. Im Markusevangelium heißt Jesus betont „der Nazarener“ (Mk 1,24; 11, 47; 14, 67; 16, 6). Auf Nazareth selbst wird mit der Bezeichnung „seine Vaterstadt“ hingewiesen (Mk 1, 6). Die naheliegende Assoziation, er sei dort auch geboren worden, vermeidet Lukas, indem er Nazareth die Stadt nennt, in der Jesus aufgewachsen ist (Lk 4, 16). Das Johannesevangelium lässt noch erkennen, dass Jesu allseits bekannte Herkunft aus Nazareth in Galiläa die christliche Botschaft von seiner Messianität unglaubwürdig machte: Als Philippus dem Nathanael erzählte, Jesus aus Nazareth, der Sohn Josefs, sei der, von dem Mose und die Propheten geschrieben hätten, antwortete dieser: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?!“ (Joh 1, 45 f) Ähnlich musste sich Nikodemus zurechtweisen lassen: „Forsche und sieh: aus Galiläa steht kein Prophet auf!“ (Joh, 7, 52). Die voneinander unabhängigen Überlieferungen Matthäus 2 und Lukas 2 dagegen vertreten, dass Jesus in der Stadt Davids, in Bethlehem geboren wurde. Die Überlieferung ist in beiden Fällen durchdrungen vom Glauben an die Davidssohnschaft Jesu als der Messias.
Das Matthäusevangelium bietet ebenso Elemente der Davidstradition in der Erzählung von der Huldigung der Magier: das Motiv des Sterns stammt vielleicht aus der messianischen Weissagung im Alten Testament Numeri 24, 17. Die Magier finden den „neugeborenen König der Juden“ am Hof des Herodes nicht. Herodes fragt die Schriftgelehrten, wo der Messias geboren werden sollte. Diese stoßen auf das Prophetenbuch Michäas 5,1 und schicken die Weisen in die Davidsstadt Bethlehem.
Fazit: Jesus stammt aus Nazareth. Die Verlagerung des Geburtsortes nach Bethlehem ist ein Ergebnis religiöser Phantasie und Vorstellungskraft: Weil der Messias nach der Schrift in Bethlehem geboren werden musste, wurde Jesu Geburt dorthin verlegt.
Eine weiteres Problem ist, dass der Zensus (Zählung, Steuerschätzung) in Galiläa, wo Nazareth liegt, gar nicht stattfand, weil Galiläa nicht unter der unmittelbaren römischen Verwaltung stand.[6]
Bedenklich ist auch folgendes: „Indem Lukas Maria in Vers 5 als Josephs Verlobte bezeichnet, stellt er eine Verbindung her zur Geschichte der Verkündigung des Engels Gabriel an Maria, dass sie vom heiligen Geist geschwängert werde (1, 26 – 38). Vom Kontext her muss aber Maria bereits die Ehefrau des Joseph sein. Denn als Verlobte würde sie noch zum Haus ihres eigenen Vaters zählen und weder mitreisen können noch dürfen.“[7]
In Vers 8 – 13 verkünden Engel den Hirten die Geburt des Retters. Die Begriffe „verkündigen“ und „Retter“ sprechen für eine Entstehung der Legende im hellenistischen Christentum. Auch die Motive der Verkündigung der Geburt an die Hirten weist in diese Richtung. Denn im Judentum galten Hirten keineswegs als besonders fromm; ihr Beruf wurde vielmehr geradezu verachtet. Man hatte sie in Verdacht, es mit Mein und Dein nicht zu genau zu nehmen. Darum blieben sie auch von der Zeugenaussage vor Gericht ausgeschlossen. Dagegen nahmen Hirten in orientalischen und vor allem in griechischen Sagen eine herausgehobene Stellung ein. Hier übt der Hirt einen der Gott genehmen Berufe aus.
Verfehlt und historisch missbraucht
Die Synoptiker, also die Evangelisten, Mathäus, Markus, Lukas, und Johannes wollten unbedingt nachweisen, dass Jesus der im Alten Testament den Juden versprochene Messias sei. Der Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums, Gerd Lüdemann, schreibt dazu: „Die historische Kritik hat den Gebrauch des Alten Testaments durch das Neue Testament ad absurdum geführt, denn an keiner Stelle standen den alttestamentlichen Verfassern die Personen und Geschehnisse vor Augen, die sie den neutestamentlichen Autoren zufolge im Blick hatten. Die oft vertretene These, man könne die Legitimität dieses Gebrauchs wissenschaftlich weder beweisen noch widerlegen, trifft daher nicht zu. Vielmehr steht fest: Das Neue Testament hat das Alte Testament in seinen Intentionen verfehlt und historisch missbraucht. Im Interesse besserer Kommunikation sollte die Theologie darüber ebenso aufklären, wie die Naturwissenschaft über die Unhaltbarkeit des ptolemäischen Weltbildes aufgeklärt hat.“[8]
Kritische katholische Exegeten sind in ihren Analysen viel zurückhaltender als ihre evangelischen Kollegen, denn sie wissen um die Gefahr, mit Lehrverbot belegt zu werden. Ihre Erkenntnisse werden den Gläubigen vorenthalten. Stattdessen wird in der katholischen Welt die seichte Jesusliteratur Ratzingers massenhaft aufgelegt. In seinem Jesusbuch „Die Kindheitsgeschichten“ nimmt er nur zur oben erwähnten erfundenen Erzählung über den Geburtsort Jesu Stellung. „Ich sehe nicht, wie man diese Theorie quellengemäß begründen könnte. Denn über die Geburt Jesu haben wir nun einmal keine anderen Quellen als die Kindheitsgeschichten von Lukas und Matthäus.“[9] Auf die anderen Einwände geht er nicht ein. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig, als alle unwiderlegbaren Argumente der historisch kritischen Exegese zu verdrängen. Seine Jesusliteratur zeigt dieselbe Mentalität wie die der Evangelisten. Sie sind nichts anderes als fromme Geschichten, um Menschen für den Glauben zu gewinnen und die indoktrinierten Frommen im Glauben zu halten.
Quellen und Textnachweise:
[1] Gerd Theißen, Annette Merz, Der historische Jesus, Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S. 47 -49
[2] Ebd. S. 43
[3] Heinz–Werner Kubitza, Der Jesuswahn, Tectum Verlag 2011, S. 85
[4] Gerd Lüdemann, Jesus nach 2000 Jahren, Verlag zu Klampen 2012, S.337 – 340
[5] Vgl. Josef Ratzinger, Jesus von Nazareth, Herder 2012, S. 69 – 71
[6] Gerd Lüdemann, Jesus nach 2000 Jahren, S. 86
[7] Hans Concelmann, Geschichte des Urchristentums, Vandenhoeck § Ruprecht 1989, S. 19
[8] Gerd Lüdemann, Altes Testament und christliche Kirche, Verlag zu Klampen 2006, S. 195
[9] Josef Ratzinger, Jesus von Nazareth, S. 75