Die Marischka-Trilogie aus den 50er Jahren mit Romy Schneider in der Rolle der Kaiserin Elisabeth (genannt „Sisi“) und Karlheinz Böhm als Kaiser Franz-Josef kann durchaus als Kitsch-Klassiker bezeichnet werden und gehört für viele Österreicher wie andere Schnulzen mit Peter Alexander, „The Sound of Music“ zum hiesigen Kulturgut. Nun hat Regisseur Sven Bohse sich an einer umstrittenen Neuverfilmung gewagt, in der die Welschschweizerin Dominique Devenport und der Deutsche Jannik Schümann überzeugen.
Von Bandi Koeck
In der RTL/RTL Plus und ORF-Co-Produktion geht es von der ersten bis zur letzten Minute gleich voll zur Sache. Das schnulzige „Sisi-Franzl“ mitsamt dem Schönbrunn-Kitsch ist ausgeblendet. Gleich zu Beginn sieht man die junge und nicht aufgeklärte Elisabeth im Bett liegend masturbieren. Sie entwendet Kamasutra-Karten von ihrem Vater und träumt vom ersten Mal. Im ersten Teil der sechsteiligen TV-Produktion stattet der Kaiser aus Wien mitsamt Erzherzogin Sophie der bayrischen Prinzessin und ihrer Familie (Erzherzog Max und Gattin Ludovika) einen Besuch ab – und begibt sich nur kurze Zeit nach angetretener Rückreise ins Bordell. Sisi lauert ihm auf und bezahlt die Prostituierte, sie in die Geheimnisse der Verführung einzuweihen. So etwas wäre in den 50er Jahren undenklich gewesen und der staatlichen Zensur zum Opfer gefallen. Dort sind alle lieb und fromm und der Kaiser kein ständiger Fremdgeher und Hitzkopf.
Betrachtet man nun die Geschichtsschreibung, so weiß man heute vieles, das auch in der gerade gestern ausgestrahlten ersten Staffel (zweite Staffel ist bereits geplant!) auf RTL und ORF vorgekommen ist: Sisi war bisexuell, Franz-Josef seiner Mutter hörig, arrogant und größenwahnsinnig (wäre seine Gattin nicht zuvor von einem Attentäter am Genfer See ermordet worden, so hätte sie ihn vielleicht auch vor der wahnsinnigen Entscheidung der Kriegserklärung an Serbien – und indirekt Russland – und dem Beginn des Ersten Weltkriegs und Massenmorden abhalten können). Auch wenn die Kritiken an der neuen Produktion sehr negativ ausfallen, so sind sich alle einig, dass die neue Sisi zeitgemäßer und selbstbestimmter ist: Sie ist eine starke Frau, die weiß, was sie will, die sich nicht im goldenen Käfig in Schönbrunn einsperren lassen will, die nicht will, dass ihr Gemahl ihr die kalte Schulter zeigt und sich mit seiner Mätresse auf Schloss Laxenberg vergnügt, an der Front kämpft und das Leben seines Volkes und sein eigenes aufs Spiel setzt.
Sisi gelingt es, den geplanten Aufstand in Ungarn mit einem Friedensvertrag beizulegen und selbst als Napoleon die norditalienischen Gebiete für sich beansprucht und dass Österreich alle Schulden für den Krieg übernimmt, kann sie einlenken. Es ist wie so oft, dass starke Frauen die Geschicke der Geschichte lenken und im Hintergrund die Politik betreiben, die ihre Gemahle dann machomäßig auf der Landkarte austragen.
Fazit:
Eine äußerst gelungene und ansprechende Neuverfilmung, denn es war längst an der Zeit, dass dieser Stoff endlich cineastisch überarbeitet wird und wir uns von den Märchenbildern der 50er lösen. Natürlich ist es für so manche harter Tobak – gerade für nostalgische Sisi/Romy Schneider-Fans wohl ein No-Go. Es ist weniger eine Einladung zum Träumen denn eine Realitätswatsche, bei dem sich keiner ein Blatt vor den Mund nimmt und es sehr menschelt. Kurzum: Viel Sex, Macht, Intrigen und Attentate. Es wird endlich gezeigt, wie es damals im ach so sauberen Österreich-Ungarn war, nämlich gar nicht fromm, sondern brutal, blutig und ambivalent. Und ja, wer „Bridgerton“ auf Netflix gesehen hat, der weiß, warum, denn „Sex sells – always“. Schön, dass es eine Fortsetzung gibt, denn die lange Geschichte der Habsburger hat noch einige spannende Geschichten, die verfilmt gehören!