Making a murderer – Zweimal unschuldig im Gefängnis

Making a murderer ist eine der sehenswertesten Dokumentationen auf Netflix. Die Produzentinnen Laura Ricciardi und Moira Demos behandeln darin den Fall von Steven Avery aus Manitowoc County, Wisconsin/USA, der 18 Jahre unschuldig im Gefängnis war.

In der ersten Staffel wird der Fall behandelt wie Sheriff Kocourek und seine örtliche Polizei Avery für eine Vergewaltigung ins Gefängnis brachten. Im Juli 1985 wurde Penny Beerntsen am Strand des Michigansees vergewaltigt. Für Sheriff Kocourek war sofort Avery der Schuldige. Der Zeichner des Phantombilds erklärte, dass er das Bild nach den Beschreibungen des Opfers gemalt habe.

Tatsächlich machte er ein Phantombild nach Vorlage eines Bildes von Avery. Die Erstbeschreibungen des Opfers stimmten nicht mit dem Phantombild überein. Obwohl Avery 16 (!!) Alibis hatte und keine physischen Beweise gegen ihn vorlagen, wurde Avery zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

1995 bekam die Polizeibehörde von Manitowoc einen Anruf einer anderen Polizeibehörde. Sie hatten einen Kriminellen, der zugab, einen Überfall in Manitowoc begangen zu haben, wofür ein Unschuldiger in Haft sei. Dies konnte nur Averys Fall sein aber der Sheriff ging dem nicht nach. Der Polizist fertigte nicht einmal einen Bericht an.

2003 wurde aufgrund einer DNA-Analyse von einem Haar der tatsächliche Täter, Gregory Allen, überführt und Avery kam frei. Allen beging in der Zeit nach Averys Verhaftung noch zwei weitere Vergewaltigungen.

Steven Avery

Steven Avery verklagte dann den County von Manitowoc, seinen ehemaligen Sheriff und seinen ehemaligen Bezirksstaatsanwalt wegen falscher Verurteilung und Inhaftierung. Penny Beerntsen entschuldigte sich bei Avery, von Seiten der Polizei oder des Staatsanwaltes gab es hingegen nie eine Entschuldigung. Avery baute sich sein Leben wieder auf und fand auch eine neue Liebe. Die 1. Staffel endet aber leider nicht in einem happy end für Avery.

Am 31. Oktober 2005 kam die 25-jährige Fotografin Teresa Halbach auf Steven Averys Grundstück, um Fotos von einem zum Verkauf stehenden Auto zu machen. Danach verschwand die junge Frau. Am 3. November 2005 wurde sie von ihren Eltern als vermisst gemeldet. Das Auto von Halbach wurde auf Averys Grundstück gefunden und Avery anschließend verhaftet. Zudem wurde Averys Blut in Halbachs Auto und der Autoschlüssel in Averys Schlafzimmer gefunden.

Teresa Halbach

In der Dokumentation geht es darum, wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft ein zweites Mal Avery als Täter ins Gefängnis brachten. Dies ist sehr sehenswert und hervorragend aufgearbeitet.

Zuerst hat man als Zuschauer aber auch seine Zweifel. Vor allem als Avery Neffe, Brendan Dassey, sowohl die Vergewaltigung als auch den Mord an Halbach gesteht. Auf Averys Grundstück wurden Knochen einer verbrannten Leiche gefunden. Brendan Dassey gibt an dies mit Steven Avery gemacht zu haben. Dann wird das Verhör gezeigt und man glaubt kaum was man da sieht. Dassey hat offensichtlich keine Ahnung was er sagen soll und die Ermittler legen ihm jedes Wort in den Mund. Sie fragen ihn was mit dem Kopf des Opfers passierte. Dassey spricht zuerst von Kehle durchschneiden und sogar Haare schneiden. Tatsächlich wurde das Opfer aber erschossen. Erst nachdem die Ermittler ihm dies vorsagen erzählt Dassey dies nach. Die Ermittler sagten bei der Befragung ca. 75-mal, Brendan würde lügen. Erst als Brendan nach Stunden das Schuldgeständnis abgab, lobten sie ihn dafür und sagten, er „hätte endlich die Wahrheit gesagt“. Sie meinten auch nach dem Geständnis dürfe er gehen. Es ist auch komplett klar warum Dassey sich so verhielt. Dassey hat eine geringe Intelligenz und ein sehr naives Wesen. Er glaubte tatsächlich wenn er alles zugibt würde die Polizei ihn in Ruhe lassen und nach Hause gehen lassen. Später gestand Brendan seiner Mutter, alles erraten zu haben, was die Polizisten hören wollten, denn „so würde er es in der Schule auch machen“.

Die Dokumentation zeigt auch wie die Polizei tatsächlich Beweise fälschte. So wurden die Blutspuren im Auto von der Polizei angebracht. Der Autoschlüssel war laut Aussage eines ortsfremden Polizisten zuerst nicht im Schlafzimmer, erst nachdem örtliche Polizisten auch im Schlafzimmer waren wurde dieser dort gefunden! Und so geht es mit allen angeblichen Beweisen. Am 4. November konnte bei einer Durchsuchung des Calumet County Sheriff Departments kein Auto des Opfers auf Averys Grundstück gefunden werden. Am nächsten Tag wurde es dann dort gefunden. Ein Truck-Fahrer sagte er habe das Fahrzeug des Opfers am 4. November auf einer Straße außerhalb des Anwesens der Averys gesehen und dies einem Polizisten noch am selben Tag gesagt. Der gleiche Polizist der den Anruf der anderen Polizeibehörde im Vergewaltigungsfall gegen Avery unterschlagen hatte.

Bleibt das Blut im Auto. Averys Verteidiger entdeckten im Zuge der Ermittlungen, dass an einer Ampulle mit Averys Blut, das im Verlauf des Berufungsverfahrens Avery abgenommen worden war, das Siegel gebrochen wurde und der Deckel der Ampulle ein feines Loch aufweist, offenkundig durch die Nadel einer Spritze. Die Tatsache, dass Avery zum Tatzeitpunkt an seiner Hand eine Wunde hatte, wird von Seiten der Staatsanwaltschaft als Beweis angesehen, dass das Blut im Auto von Teresa Halbach aus dieser Wunde stamme. Die Verteidigung wiederum weist drauf hin, dass zwar Averys Blut, jedoch nicht seine Fingerabdrücke entdeckt wurden. Daraus ergebe sich folgendes Gedankenexperiment: Hätte Avery das Auto betreten, hätte er Fingerabdrücke nicht vermeiden können. Hätte er jedoch Handschuhe getragen, hätte er seine Fingerabdrücke verborgen, dann könnte jedoch kein Blut aus der Wunde ausgetreten sein. Nach dieser Logik kann das Blut nicht von Avery stammen. Im Jahr 2015 machte Averys neue Anwältin Zellner mit Experten neue Untersuchungen. Diese führten zu dem Ergebnis, dass frisches Blut aus seiner Wunde verlaufen wäre, das im Wagen vorgefundene Blut dagegen an einer Stelle geblieben war. Zudem hätte eine frische Wunde für weitaus mehr Blut im Wagen geführt.

Der Gerichtsmedizinerin wurde der Zugang zum Tatort vom Sheriff verweigert. Der Gerichtsmedizinerin wurde sogar mit der Verhaftung gedroht. Die Knochen wurden von einer Antrophologin Eisenberg untersucht. Sie fand verbrannte und unverbrannte Knochen. Alle unverbrannten und einige der verbrannten Knochen konnten dabei als nichtmenschlich identifiziert werden. Eisenbergs Einschätzung nach wiesen die Knochen von Averys Feuerstelle und einem nahegelegenem Steinbruch alle ähnliche Verkohlung und Schnittspuren auf. Die Verteidigung entwickelte darauf aufbauend die Theorie, dass die Knochen nicht auf Averys Grundstück verbrannt wurden, sondern auf einem 5 Minuten Autofahrt entfernten Steinbruch. Anschließend seien die Knochen dann zu seiner Feuerstelle transportiert worden, um Avery zu belasten.

Bleibt noch der Staatsanwalt Ken Kratz und seine Schweißtheorie:

„Sweat in and of itself doesn’t have our DNA. Dazu entgegnete Averys Verteidiger Strang: Obviously in its native state, a car hood wouldn’t have Steven’s DNA or anyone’s DNA on it — it’s a piece of metal. The sweat argument was an argument Mr. Kratz made repeatedly in the trial. There was no evidence of sweat. All they knew was they got Steven Avery’s DNA from the hood latch area on Teresa’s car.
Schweiß an sich hat nicht unsere DNA. Offensichtlich hätte eine Motorhaube in ihrem ursprünglichen Zustand weder Stevens DNA noch irgendjemandes DNA darauf – es ist ein Stück Metall. Das Schweißargument war ein Argument, das Herr Kratz im Prozess wiederholt vorgebracht hat. Es gab keine Anzeichen von Schweiß. Alles, was sie wussten, war, dass sie Steven Averys DNA aus dem Bereich der Motorhaube von Teresas Auto bekommen haben.“

Ken Kratz süffisante Art stösst wohl jeden Zuschauer der Serie ab. Er wirkt geradezu glücklich als er Dasseys Geständnis bekanntgibt. Er selbst überhöht sich moralisch immer wieder. Interessant ist dann was später bekannt wurde. Kratz hat jahrelang Frauen sexuell belästigt. Ein Opfer machte dies 2010 dann publik. Er drohte damit den Fall des Opfers aufzugeben wenn sie nicht auf seine sexuellen Avanchen reagieren würde. Katz schrieb Nachrichten wie „“Are you the kind of girl that likes secret contact with an older married elected DA … the riskier the better?“ und „I’m serious! I’m the atty. I have the $350,000 house. I have the 6-figure career. You may be the tall, young, hot nymph, but I am the prize!“. Im Disziplinarverfahren gegen ihn bekannte er sexsüchtig, medikamentensüchtig und ein Narzisst zu sein.

Interessant ist auch die Frage wer Halbach getötet hat und auch in diesem Punkt kommt die Dokumentation sehr weit.

Es lohnt sich dies anzusehen. Wir spoilern hier:

Bobby Dassey

Die neue Anwältin von Avery bringt jede Menge Beweise auf. Diese gehen klar in Richtung von Bobby Dassey, Averys Neffe. Auf Bobby Dasseys PC wurden Videos und Fotos von ermordeten sowie ertrunkenen jungen Frauen gefunden. Offensichtlich ein Interesse des Mannes. Weiterhin war er zur vorgeblichen Tatzeit in der Nähe. Es gibt in der Dokumentation dann noch weitere interessante Vorkommnisse wie einem Meineid von Bobby Dassey. 2021 – also nach Ausstrahlung der 2. Staffel – meldete sich ein Zeuge namens Sowinski. Er gab zu Protokoll am 5.11.2005 Zeitungen an Avery geliefert zu haben. Dabei habe er Bobby Dassey und einen weiteren Mann gesehen. Diese hätten Halbachs dunkelblauen RAV-5 die Avery Road hinunter in Richtung Averys Autofriedhof geschoben. Dassey habe versucht, sein Auto zu blockieren. Sowinski musste in einen Graben fahren, um wegzukommen. Dies habe er alles der Polizei gesagt. Die reagierte wie schon im ersten Fall von Avery: „Wir wissen bereits, wer es getan hat.“

Die mobile Version verlassen