Von Mag. Wolfgang Türtscher
Ende 2021 erschien der neue Nationale Bildungsbericht. Auf mehr als 500 Seiten listet das Bildungsministerium auf, wie es um die Bildung in Österreich bestellt ist. Sichtlich unter dem Einfluss der APA meldeten einige österreichische Zeitungen „Bildungsbericht: Herkunft entscheidet stark die Schullaufbahn“. Es handelt sich dabei nicht nur um einen medialen Schnellschuss, sondern auch um einen „ideologischen Ladenhüter“, der einfach nicht stimmt. Die vielen Zahlen werden meines Erachtens „sehr einseitig“ interpretiert.
Natürlich ist ein bildungsaffines Elternhaus ein Startvorteil für deren Kinder. Kinder, denen vorgelesen wird, mit denen man spricht und singt, haben es besser. Die Meldung, dass 53 % der Akademikerkinder in die AHS-Oberstufe wechseln, interessiert nicht so sehr. Sie erscheint sogar gering, denn das hieße, dass 47 % der Akademikerkinder in die BMHS, in die Polytechnische Schule oder die Berufsschule wechseln. Das wäre nach „geltender Lehre“ ein Bildungsabstieg, was es natürlich in der Praxis nicht ist. Wirklich interessant wäre die Darstellung, wie sich eine typische AHS-Oberstufenklassen sozioökonomisch darstellt.
Österreich ist ein Land der Bildungsaufsteiger. Dafür spricht, dass nur 30 % der Erstsemestrigen an den Universitäten und Fachhochschulen zumindest einen akademischen Elternteil haben; bei 18,7 % der Erstsemestrigen sind beide Eltern Akademiker, d.h., dass 70 % der Erstsemestrigen echte „Bildungsaufsteiger“ sind. Das ist ein europäischer Spitzenwert: Von 19 europäischen Ländern lag Österreich 2016 auf Platz 4: Nach Malta, Italien und Rumänien war Österreich damals mit 67 % der Erstsemestrigen ohne akademische Eltern auf dieser Position.
Ich selber habe 37 Jahre an einem Gymnasium unterrichtet und die Zahl der akademisch gebildeten Eltern war in der Oberstufe nie höher als 20 %. Als ich 1966 ins Gymnasium gekommen bin, hatte unsere Klasse 44 Schülerinnen und Schüler, fünf davon hatten einen akademisch gebildeten Vater, das sind 11,4 %.
Eine besondere Stärke des österr. Bildungssystems ist die duale Ausbildung – sie sichert ein gutes Wirtschaftswachstum und eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Es ist bekannt, dass die Länder mit wenig Maturanten und Akademikern, dafür vielen Absolventen der dualen Ausbildung, wirtschaftlich besser dastehen: Vorarlberg, Tirol, Ostschweiz, Baden-Württemberg, Bayern, etc. Viele Untersuchungen weisen darauf hin, dass Österreich ein sehr leistungsfähiges System der Berufsbildung aufweist, dem es gelingt, die Anzahl der Jugendlichen ohne Ausbildung („early school leavers“) vergleichsweise gering zu halten. Das gut ausgebaute System an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen ermöglicht vor allem Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten einen Weg zur höheren Bildung.
Wenn man die Zahlen richtig liest, weisen sie nämlich eine sehr hohe Aufwärtsmobilität quer durch fast alle Bildungsschichten nach, eine relativ ausgewogene soziale Zusammensetzung der Studienanfänger sowie eine gute Repräsentation von Studierenden aus bildungsfernen Schichten an den österreichischen Universitäten und Fachhochschulen.