Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken, er starb zwar nicht daran, aber er entartete zum Laster.“[1] Bei den Diskussionen und Kommentaren zu den Skandalen wird meistens an den eigentlichen Ursachen vorbei argumentiert.
Von Adi Untermarzoner
Christliche Ideologie beruht auf der wirklichkeitstheoretischen Position des Dualismus. Der Mensch besteht aus Leib und Seele. Diese philosophische Idee ist schon in der Antike anzutreffen. Geist, geistige Aktivitäten und Gefühle werden als autonome Schichten der Realität vertreten. So unterscheidet noch Descartes res cogitans und res extensa und Kant spricht von mundus sensibilis und mundus intelligibilis. Nach kirchlicher Lehre wird dieser Dualismus schließlich pervertiert. Der Geist ist der Hauch Gottes, ist Teil seiner Heiligkeit und bleibt ewig, der Leib hingegen entstammt der Erde und ist letztlich von Nichts. Solche Differenzierungen sind durch die Forschungsergebnisse der Psychobiologie vielfach widerlegt. Auf die Forschungsergebnisse kann hier nicht näher eingegangen werden. Literatur gibt es dazu zur Genüge. Für den Dualismus ist Materie, Leib, Fleisch negativ besetzt, der Geist hingegen, als Teil Gottes, das absolut Gute. Leibliche, fleischliche Lust, vor allem sexuelle Lust, ist daher negativ besetzt, ist zu meiden und wird tabuisiert. Das Göttliche ist rein geistig und alles, was damit zusammenhängt, ist daher mit leiblicher, fleischlicher, sexueller Lust unvereinbar. Daher haben jene, die mit Gott in besonderem Zusammenhang stehen, rein, keusch, jungfräulich zu sein.
Das Sonderbare aber ist, dass diese Wurzeln der christlichen Leibfeindlichkeit, Lustdiffamierung, Abwertung der Frauen und des Sexualpessimismus in der Antike liegen und von dort in die monotheistischen Religionen eindrangen. In der Antike waren es auch oft medizinische Gründe, die vorgebracht wurden.
1. Xenophon, Platon, Aristoteles und der Arzt Hippokrates sehen den Sexualakt als gefährlich und verausgabend an.
2. Die Stoiker lehnen das Luststreben und die Fleischeslust ab. Die positiv zu bewertende Folge dieser Ablehnung ist die Konzentration der sexuellen Aktivität auf die Ehe. In dem Maße, wie Luststreben und Fleischeslust verdächtig werden, kommt es aber auch zu einer Infragestellung der Ehe und einer Höherwertung der Ehelosigkeit.
3. Aristoteles verlangt von den Frauen die Unterordnung unter den Mann, weil diese den Männern an Geist und Tugend unterlegen seien. Platon: „Ich danke Gott, dass ich nicht als Mädchen geboren wurde.“
4. Der Stoiker Seneca meint, die Geschlechtslust sei dem Menschen nicht zum Vergnügen, sondern zur Fortpflanzung gegeben. Dabei sei es wichtig, nicht vom Gifthauch der Wollust berührt zu werden. Der jüdisch-griechische Philosoph Philo von Alexandrien vertritt die Auffassung, Sinn und Zweck der Ehe sei allein die Zeugung von Nachkommenschaft. Scharf lehnt er die Empfängnisverhütung ab. Jene, die bei der Begattung zugleich die Vernichtung des Samens herbeiführen, sind Feinde der Natur.
5. Wegen der Unfruchtbarkeit ihrer geschlechtlichen Akte verurteilt Seneca auch scharf die Homosexuellen.
6. Das Jungfräulichkeitsideal ist ebenso nicht erst ein christliches Ideal. Der Wundertäter Apollonius habe ein Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt, an das er sich ein Leben lang hielt. Die Jungfräulichkeit war in der griechischen Mythologie ein besonderer Wert. Athene, Artemis und Hestia waren angeblich Jungfrauen. Vestalinen mussten während ihres Priesterdienstes jungfräulich leben. Der Gedanke der Jungfrauengeburt eines Gottes, Heros oder Heilbringers ist außerhalb des Christentums überraschend weit verbreitet. Sogar die Idee von Maria Verkündigung findet man bereits in einer persischen Mythe: „Herrin, sprach eine Stimme, der große Helios hat mich gesandt zu dir als Verkünder der Zeugung, die er an dir vollzieht…Mutter wirst du eines Kindleins, dessen Name ist ‚Anfang und Ende‘.“
Die namenlose Zeugung eines Gottmenschen mit einer Jungfrau hängt mit der moralischen Negativwertung des Zeugungsaktes, der Ehe, der Sexualität, des Koitus zusammen.
7. Diese negative Einschätzung der Geschlechtslust wurde durch den Einbruch der Gnosis noch gestärkt. Die materielle Welt wird als böse Schöpfung angesehen und damit auch der menschliche Leib im Gegensatz zum Geist negativ beurteilt. Die Gnosis vertrat das Ideal der Ehelosigkeit, die Überordnung des ehelosen über das eheliche Leben. Die Urkirche wehrte sich zwar gegen die Gnosis, übernahm und tradierte dennoch einige Ideen der Gnostiker. So übernahm das Christentum die Idealisierung der Virginität, der Jungfräulichkeit, als Gott näherstehend.
8. Platon spricht vom Leib als Kerker der Seele.
Diese gesamten inhumanen und unwissenschaftlichen philosophischen Ideen sind in die Heilige Schrift eingegangen und gelten als Wort Gottes. Die entsprechenden Schriftstellen werden heute allerdings nicht breit getreten, weil sie selbst bei teilweise aufgeklärten Frommen Befremden hervorrufen würden.
Hier einige dieser Schriftstellen:
In der Offenbarung des Johannes ist von 144 000 Jungfräulichen die Rede, die sich mit Frauen nicht befleckten. (Offb.14, 1- 4)
Völlig durchgesetzt hat sich die Gnosis beim Apostel Paulus, den eigentlichen Begründer der Kirche.
Röm. 8, 6 Denn das Trachten des Fleisches bedeutet Tod….
Röm. 7, 18 Ich weiß ja, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes
wohnt.
Röm. 7, 24 Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich herausreißen aus diesem Leib
des Todes?
Röm. 8,7 Das Trachten des Fleisches ist feindlich gegen Gott….
1 Kor. 9, 27 Ich züchtige meinen Leib und mache ihn gefügig (Das gehört zum
Programm von Opus Dei und Bischof Klaus Küng erklärte im TV, das
mit einem Bußgürtel am Oberschenkel zu praktizieren.)
Gal. 5, 19 Offenkundig sind die Werke des Fleisches; es sind: Unzucht,
Unlauterkeit, Ausschweifung.
1 Kor. 7,1 Es ist für den Mann gut, kein Weib zu berühren.
1 Kor. 7,2 Doch um die Unzucht zu vermeiden, habe jeder seine Frau und jede
ihren Mann.
Die Ehe ist gemäß der Heiligen Schrift eine Institution zur Reduktion des Hormonspiegels. Durch all die christlichen Jahrhunderte hindurch wurden von katholischer Moral als primäre Ziele der Ehe die Generatio Prolis und das Remedium Concupiscentiae, also die Kinderzeugung und das Zurückdrängen der sinnlichen Begierlichkeit verkündet. Welch hehre Auffassung ehelicher Gemeinschaft und Liebe!
Das ist nur ein kleiner Auszug der Diffamierungen der Frauen und der menschlichen Sexualität, die der heilige Apostel Paulus lehrte.
Die heiligen Kirchenlehrer Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Thomas und viele andere haben diese Sexualfeindlichkeit und Lustfeindlichkeit bis zum Exzess weiter entwickelt.
Hieronymus: „Wer ein zu leidenschaftlicher (ardentior = brennender) Liebhaber seiner Frau ist, ist ein Ehebrecher.“
Laut Augustinus sündigen sogar die Eheleute, sobald sie sich der Lust ergeben, weshalb sie danach beten sollen: „Vergib uns unsere Schuld.“
Die Ehe ist gemäß Ambrosius nicht wie eine Sünde zu fliehen, aber doch wie eine Last möglichst zu meiden. Da der eigentliche Zweck der Ehe die Zeugung ist, verbietet er den Verkehr unter älteren Eheleuten.
Auch der engelgleiche, heilige Lehrer Thomas von Aquin vertritt den Gedanken: Die Ehe sei ausgerichtet auf die Erzeugung von Nachkommenschaft, und darum verstoße derjenige, der seine Ehefrau zu leidenschaftlich liebt, gegen das Gut der Ehe und könne als Ehebrecher bezeichnet werden. Johannes Paul II griff den Gedanken vom Ehebruch mit der eigenen Frau in der Generalaudienz vom 8.Oktober 1980 auf und bekräftigte ihn (Der Spiegel, Nr. 47, 1980, S. 9)
Die heute älteren Kleriker haben noch gelernt, dass es nicht sündhafte, leicht sündhafte und schwer sündhafte Körperteile gibt. Theologen, die derart groben Unsinn abschwächen wollten, haben ihn umformuliert in nicht erregende, erregende und schwer erregende Körperteile. Sexuelle Erregung ist natürlich sündhaft.
Wer ist bei uns schon ohne die Indoktrination durch die Eltern, durch den Religionsunterricht und die dadurch zementierte inhumane kirchliche Ideologie durchs Leben gegangen? Man sehe sich einmal die Lehren an, mit denen man als Vorbereitung auf die Erstbeichte, achtjährige Kinder psychisch terrorisierte. (Ich habe Unkeusches gedacht, angeschaut, berührt, berühren lassen, wie oft, mit oder ohne Wohlgefallen.)
Eltern, die bewusst ihre Kinder nicht taufen lassen und vor solch perversen Lehren fernhalten gibt es inzwischen, aber leider sehr wenige.
Heute noch verteidigt das Opus Dei Mitglied Bischof Küng das Verbot des Vatikans, an von Aids bedrohte afrikanische Völker gratis Kondome zu verteilen. Man entferne sich dadurch vom Ideal der Keuschheit und Enthaltsamkeit und verwerfe alle höheren Werte. Es wird immer noch vertreten, dass jede außerhalb der Ehe gesuchte geschlechtliche Lust eine Todsünde der Unkeuschheit sei.
Durch immer striktere Auslegung des sechsten Gebotes, das schließlich mit einem der stärksten Triebe aller Lebewesen verknüpft ist, kann Religion unerhörte Macht über Menschen erringen, aber auch schwere Neurosen erzeugen, wie neuere wissenschaftliche Forschungen in USA und Deutschland beweisen.
[1] Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Bd. II, Buchclub ex Libris Zürich 1977, Sprüche und Zwischenspiele 168, S.73