Heute ist Weltnierentag: Neues Medikament reduziert Dialysepflichtigkeit deutlich

Symbolbild Dialyse. © Karin Nussbaumer

Im Jahr 2022 fällt der Weltnierentag auf den 10. März. Rund um diesen Tag weisen Fachleute auf dem Gebiet der Nephrologie weltweit auf die Leistung des Organs hin und zeigen die neusten medizinischen Errungenschaften im Kampf gegen Nierenerkrankungen auf. In Vorarlberg sind etwa 500 Menschen auf eine Nierenersatztherapie angewiesen. Derzeit sorgt die Generation der „Babyboomer“ für neue Rekordwerte, denn 70 plus ist das klassische Alter, in dem Patienten, die an einer Nierenerkrankung leiden, dialysepflichtig werden. Doch es gibt auch gute Neuigkeiten: Seit über einem Jahr ist ein neues Medikament zugelassen, das so erfolgsversprechend ist, dass Prim. Prof. Dr. Karl Lhotta, Leiter der Abteilung „Nephrologie und Dialyse“ am Landeskrankenhaus Feldkirch, gar von einem „Gamechanger“ in der Behandlung spricht.

Dieses Medikament, ein „SGLT2-Hemmer“, bremst den Transport von Natrium und Glukose aus dem Harn zurück ins Blut in den Nierenkanälchen und führt zur vermehrten Ausscheidung dieser Substanzen im Harn. SGLT2-Hemmer sind ursprünglich für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt worden. Mit einer äußerst positiven Nebenwirkung: „Groß angelegte Studien zeigen, dass dieser Hemmer nicht nur den Blutzucker senkt, sondern auch Herz und Nieren ganz massiv schützt“, erklärt Primar Dr. Lhotta (Bild unten).

„So viele wie noch nie“

Im Jahr 2021 verzeichneten die drei Dialysestationen des Landes (in Nenzing und Bregenz befinden sich zwei private Außenstellen, die von den Spezialist:innen des Referenzzentrums am LKH Feldkirch mitbetreut werden) insgesamt 219 Patienten. Diese kommen drei Mal in der Woche für jeweils vier Stunden zur sogenannten „Blutwäsche“. Allein am LKH Feldkirch waren es 95: „Wir hatten noch nie so viele Dialyse-Patient:innen bei uns in Feldkirch wie im vergangenen Jahr“, bilanziert der Primar. „Dazu betreuen wir über 270 Menschen, denen eine neue Niere transplantiert worden ist.“

Rund zehn Prozent der Menschen weltweit und auch in Vorarlberg leiden an einer chronischen Nierenerkrankung. Das bedeutet, dass ihre Nieren über einen längeren Krankheitsprozess (Diabetes, Hypertonie, etc.) sukzessive zerstört werden, bis sie nachhaltig nicht mehr funktionieren. „Das Trügerische an einer chronischen Nierenerkrankung ist, dass sich Symptome erst sehr spät bemerkbar machen. Das birgt die Gefahr, dass die Menschen nicht frühzeitig erfasst und behandelt werden. Denn sind die zarten Nierenkörperchen und Kanälchen erst einmal zerstört, dann hilft nur noch eine Ersatztherapie – eine Dialyse oder eine Transplantation.“

Anders verhält es sich bei einem akuten Nierenversagen: Hier besteht durchaus die Chance auf Heilung, wenn das Nierengewebe nicht komplett zerstört worden ist: „Akutes Nierenversagen entsteht durch ein unvermittelt und plötzlich auftretendes Problem – etwa Durchfall, Flüssigkeitsmangel oder Kreislaufschock. Ursachen können auch Blutungen, Herzschwäche, ein Herzinfarkt, gewisse Medikamenteneinnahmen und schwere Infektionen sein“, erklärt Prim. Dr. Lhotta. Die Nieren werden vorübergehend nicht durchblutet und können nicht arbeiten. Oft müssen diese Patient:innen auf der Intensivstation betreut werden. „Auch bei akutem Nierenversagen kann ein gewisser Restschaden zurückbleiben, den man im Auge behalten muss“, so der Nephrologe. 34 Menschen sind in Vorarlberg allein vergangenes Jahr nach einem akuten Nierenversagen mittels Dialyse an der nephrologischen Abteilung behandelt worden.

Nierenwerte im Blick behalten

Risikopatienten sollten regelmäßig auch ihre Nierenwerte im Blut und den Urin kontrollieren lassen. „Die Ärzten können durch diese einfachen Labortests herauslesen, ob die Niere geschädigt ist und wenn ja, in welchem Stadium sich die Schädigung befindet. In einem Frühstadium ist die Nierenfunktion noch normal, aber die Patienten haben bereits das kleine Eiweißmolekül Albumin im Harn nachweisbar. Das ist der früheste Parameter, der nicht nur beim Diabetiker, sondern auch beim Hypertoniker und beim Übergewichtigen eine Nierenerkrankung anzeigt. Solche Messungen erfolgen bei Kontroll-Untersuchung auch bei Risikopatienten nicht immer automatisch. Diese sollten daher gemeinsam mit den behandelnden Fachärzten aus dem niedergelassenen Bereich auch immer daran denken, die Nierenwerte gut im Blick behalten: „Bei Risikopatient:innen sollten diese Tests – Bestimmung des Kreatininwertes im Blut und Albumin im Harn – zumindest jährlich erfolgen.“ Obwohl eine Nierenerkrankung auch eine Erkrankung des Alters ist, geht es bei der Vorsorge nicht so sehr um eine Altersgrenze, als vielmehr um die genannten Risikofaktoren Diabetes, Bluthochdruck und Adipositas. „Wenn jemand pumperlgsund und normalgewichtig ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass die Nieren leiden.“

Gesunde Lebensweise beugt vor

Neben der Vorsorgeuntersuchung mit einer Kontrolle der Nierenwerte ist es vor allem eine gesunde Lebensweise, die einer schweren Schädigung der lebenswichtigen Organe vorbeugt. „Übermäßig viel zu trinken ist dabei übrigens nicht der Schlüssel zum Glück. Im Gegenteil: „Es ist eine Mär, dass übermäßig viel Flüssigkeit einen positiven Effekt auf die Nieren hat. Ausreichend zu trinken wäre das Ziel – und da ist man als durchschnittliche erwachsene Person mit anderthalb bis zwei Litern Flüssigkeit pro Tag gut dabei“, fasst der Nephrologe zusammen.

Um die Nieren zu schützen, empfehlen Diätologen, die Ernährung gesund und simpel zu halten, täglich zwei Hände voll Obst und mindestens drei Hände voll Gemüse einzuplanen. Die Nieren freut es zudem, wenn beim Kochen von ausgewogener Vollwertkost statt Salz besser Gewürze und Kräuter verwendet werden und im Menü wenig tierisches und mehr pflanzliches Eiweiß enthalten ist. Fertiggerichte, Knabbereien und Wurstwaren sollten die Ausnahme bleiben. Rauchen ist tabu. Wenn der Körper dazu noch regelmäßig in Bewegung gesetzt wird – etwa fünf Mal pro Woche für etwa 30 Minuten – dann hat man bereits viel für die Gesundheit der Niere und aller anderen Organe getan.

SGLT2-Hemmer blockieren den „Natrium-Glukose-Transporter“

Nierenerkrankte haben ein hohes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall – die Gefahr ist wesentlich höher noch als bei Diabetikern. Die Kombination aus beidem ist dementsprechend brisant. Ein neues Medikament kann dieser Gefahr nun einiges an Wind aus den Segeln nehmen. Seit über einem Jahr sind „Natrium-Glukose-Transporter (SGLT2)“ -Hemmer zugelassen. Sie haben in groß angelegten und damit repräsentativen Studien mit mehreren Zigtausend Patienten äußerst vielversprechende Resultate gebracht. Das Medikament ist ursprünglich zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt worden, weil durch die Ausscheidung von Zucker über den Harn auch der Blutzuckerspiegel sinkt. Doch es schützt offensichtlich ganz massiv auch die Nieren und das Herz. „Noch ist nicht abschließend erforscht, warum das so ist“, zieht Primar Lhotta eine Zwischenbilanz. „Es dürfte wohl mit vermehrter Flüssigkeits- und Natriumausscheidung sowie einem gesenkten Blutdruck zusammenhängen.“ Wir verwenden diese Medikamente heute routinemäßig zusätzlich zur bisherigen Standardtherapie einer konsequenten Blutdrucksenkung.

„Gamechanger“ in der Behandlung

Diese positive Wirkung ist seit einigen Jahren durch die Studien belegt und wird inzwischen auch bei Herzinsuffizienz sowie bei fast jeder Form einer Nierenerkrankung genutzt. Das Medikament verhindert nicht nur das Auftreten einer Nierenschädigung bei Diabetikern, sondern verlangsamt auch das Fortschreiten einer bereits aufgetretenen Nierenerkrankung. „Es reduziert damit unter anderem die Dialysepflichtigkeit um 30 bis 50 Prozent, Herzschwäche um 40 Prozent und es senkt das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko zu 20 Prozent.“ Das Medikament wird einmal täglich eingenommen und ist laut Primar Lhotta „ausgezeichnet verträglich. Wir bezeichnen es als Gamechanger, setzen es seit Monaten breit ein: Bei uns in der Ambulanz wird es täglich neu verschrieben“.

Und auch hier gilt: je früher gehandelt wird, desto besser. Sprich: je früher ein Nierenleiden erkannt und medikamentös behandelt wird, desto eher kann eine fortgeschrittene Nierenschädigung oder gar Dialysepflichtigkeit verhindert werden. Die Vorsorge kann Entscheidendes abfedern. Bis sich die Auswirkungen des neuen SGLT2-Hemmers auch in den Zahlen und Statistiken des LKH Feldkirch niederschlägt, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern. Nierenerkrankungen verlaufen über Jahrzehnte. „Die positiven Effekte des Medikaments werden wir wohl in fünf bis zehn Jahren deutlicher spüren – die Studien, die über mehrere Jahre gelaufen sind, zeigen und untermauern das“, ist Prim. Prof. Dr. Karl Lhotta zuversichtlich.

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