Als im zwanzigsten Jahrhundert die moderne Demokratiebewegung entstand und das erwachende Bürgertum für Menschenrechte und Religionsfreiheit kämpfte, war das für die Mehrzahl der Kirchenfürsten noch ein Werk des Teufels. Die katholische Lehre geriet mit ihrem Absolutheitsanspruch in immer größere Diskrepanzen zu dem von ihr verteufelten, durch Wissenschaft und Aufklärung bestimmten Zeitgeist. Dies war der Anlass zur Einberufung des Zweiten Vatikanums. Ziel war das „Aggiornamento“ (Verheutigung), also biblische Lehren, katholische Moral und Dogmen dem heutigen Menschen akzeptabel zu vermitteln.
Von Adi Untermarzoner
Aus heutiger Sicht kann man sicher sagen, dass dies gründlich misslang. Die Kirche kann der Zeit vor dem Konzil nur noch wehmütig nachtrauern. Massen verlassen die Institution, an einen Gott glauben gerade noch knapp 50%, nur noch 12% besuchen regelmäßig den Gottesdienst, der Priesternachwuchs ist fast zum Erliegen gekommen, der Klerus total überaltert. Die Kirchenbeitragszahler sind meist reine Taufscheinkatholiken, die von der Glaubenslehre wenig wissen und das, was sie wissen, weder glauben noch sich daran orientieren.
Schon der Beginn des Konzils war gekennzeichnet von der Kluft zwischen Konservativen und Reformern. An der Macht blieben eindeutig die Reaktionären. Realisiert wurde vor allem die Liturgiereform, aber gerade sie war kontraproduktiv, denn nun verstanden die Menschen in ihrer Landessprache die christlichen Wahrheiten. Mit Entsetzen vernahmen die Menschen bei der Taufe, aus ihrem Kind solle der Teufel ausfahren, oder bei der Karfreitagsliturgie, Gott möge auch den Gottesmördern, den Juden, verzeihen usw. Auf völliges Unverständnis und zur inneren Absentierung führte bei vielen Gläubigen die Enzyklika „Humanae Vitae“. Der reaktionäre Papst Paul VI. hatte sich, gegen die Empfehlung seines Beratergremiums und wider die Erkenntnisse der Wissenschaft, gegen jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung entschieden. Durch seine beiden Nachfolger, Wojtyla und Ratzinger, wird die konservative Doktrin abgesichert, indem linientreue Kardinäle und Bischöfe eingesetzt werden. In Rio de Janeiro bekräftigte Wojtyla angesichts des Elends tausender verwahrloster Straßenkinder hemmungslos die restriktive katholische Empfängnisverhütungsmoral. Ratzinger verengt alle Sexualität auf den funktionalen Beischlaf und erklärt Menschen, die sich nicht daran halten, zu Sündern. Mit solchen Morallehren wurden Generationen von Priestern instruiert. Die Inhalte der Lehrbücher sind in ihrer Kasuistik kabarettreif. Diese absurde klerikale Verklemmtheit zeigte sich bei den Vorlesungen über das sechste Gebot. Der Theologieprofessor erschien in priesterlichen Gewändern im Hörsaal, flankiert von zwei Akolythen mit Kerzenleuchtern und trug in der unverfänglicheren lateinischen Sprache das sogenannte Sextum (sechstes Gebot) vor. Freilich herrschte in der Theologie gleichzeitig große Diskrepanz. Bereits in den sechziger Jahren lehrten aufgeschlossene Theologen auch eine humanere Moral. Karl Rahner vertrat bereits damals, dass gegen vorehelichen, verantworteten Sexualverkehr moralisch nichts einzuwenden sei. Es besteht nun seit Jahrzehnten eine Kluft zwischen aufgeklärten, ungehorsamen Klerikern, welche die offizielle Doktrin übergehen und nach ihrem persönlichen Gewissen entscheiden, und den opportunistisch an die offizielle Doktrin Angepassten. Karriere in der Kirche machen aber nur die in absolutem Gehorsam systemimmanent Funktionierenden. An die achtzigtausend Priester, eine genaue Zahl wird von der Kirche geheim gehalten, gaben den Beruf auf und mussten sich im Alter zwischen 30 und 50 Jahren mühselig eine neue Existenz aufbauen, oft durch ein zweites Studium.
Unter diesen Diskrepanzen leiden vor allem die frommen Gläubigen. Für die Masse der Taufscheinkatholiken bietet sich jedoch die Gelegenheit zur Rationalisierung ihrer gesellschaftlichen Anpassung und ihres Verharrens in einer Gemeinschaft, deren Ideologie sie ablehnen, sofern sie ihnen überhaupt noch bekannt ist.
Immer weniger junge Menschen wählen den Priesterberuf. Karl Rahner sah allerdings das eigentliche Problem des Priesternachwuchses nicht in der Quantität der Kandidaten, sondern in deren Qualität. Die nun in der Kirche Regierenden wagen es nicht mehr, die dogmatische Doktrin offen zu vertreten, die ihren Formalmitgliedern selten bekannt ist, aber wiederholt verraten sie sich. Dabei lösen sie bei den Mitgliedern Verwunderung, oft aber auch Heiterkeit ob ihrer Weltfremdheit aus. Ein Bravourstück war vor einigen Jahren die von Fischer und Laun initiierte Studie bei der Gruppe der NGK (Natürliche Geburten Kontrolle).
Diese leibfeindliche, lustfeindliche, frauenfeindliche, sexualrepressive katholische Moral wird zwar nicht von allen Missionaren, aber sicher von vielen konservativen in den Entwicklungsländern verkündet. Eines der Hauptprobleme dieser Länder ist, neben Bildungsrückstand und kapitalistischer Ausbeutung, die Bevölkerungsexplosion. Beispielsweise hat die Bevölkerung der DR Kongo seit 1960, trotz einiger Kriege mit Millionen Toten, ungeheuer zugenommen. Österreich hätte bei entsprechendem Bevölkerungswachstum heute 50 Millionen Einwohner. Heuer wird die Spezies der Zweibeiner, die Gott laut Bibel nach seinem Bild und Gleichnis erschuf, die acht Milliarden Grenze erreichen.
1983 wurde das HIV Virus entdeckt, das sich zuerst in Afrika zur Pandemie entwickelte. Die Seuche traf nun in Afrika auf teilweise abergläubische Gesellschaften. Der katholische Pfarrer Stephan Hippler setzte sein Leben für die Armen und Kranken in Afrika ein und schreibt in seinem Buch: „Viele Afrikaner glaubten, der tödliche Erreger werde durch Hexerei, böse Blicke oder Moskitos übertragen. Auch die Sitte der Witwenvererbung wird vielerorts gepflegt: Ein Bruder oder Vetter der Verstorbenen schläft mit dessen Frau, um sie von den Dämonen des Todes zu befreien. In manchen Kulturen Afrikas ist die Polygamie weit verbreitet und es werden immer noch Beschneidungsrituale durchgeführt, die junge Mädchen genital verstümmeln.“
Die katholische Kirche verurteilt zwar diese barbarischen Bräuche, zugleich aber stößt sie selber immer wieder in die Posaunen der Gegenaufklärung – übrigens in bemerkenswerter Einmütigkeit mit evangelikalen Sekten, Freikirchen und islamischen Theologen. Kondome? Teufelszeug! Die Seuche? Eine Strafe Gottes. Seid enthaltsam! Bleibt treu! Sündigt nicht! Aus solchen Empfehlungen spricht eine zeitlose Weltanschauung, die sich seit den Tagen der Kirchenväter nicht verändert hat. Inter faeces et urinam nascimur – zwischen Kot und Urin sind wir geboren, schreibt Augustinus. Die Sexualität ist und bleibt etwas Schmutziges, Verwerfliches. Erlaubt ist sie nur in der christlichen Ehe, und sie hat allein dem Zwecke der Fortpflanzung zu dienen. Im 16. Jahrhundert lehrte Paracelsus, der Allmächtige habe die Syphilis auf die Menschheit herniedergeschleudert, um sie für ihre Lasterhaftigkeit und Geilheit zu strafen. Vierhundert Jahre später verkündigen christliche Fundamentalisten immer noch denselben inhumanen Unsinn: Aids ist eine „Lustseuche“, und sie verschont nur den, der fromm und keusch lebt.“[1]
Ordensfrauen, die sicher aufopferungsvoll die Aidskranken pflegen, Priester, Theologen, Laienprediger oder kirchliche Mitarbeiter wagen es nicht, wirksame Strategien der Vorbeugung zu verbreiten. Klerikale Betonköpfe argumentieren immer noch sinnlos gegen die Anwendung von Kondomen, weil es für die Viren durchlässig sei und die Seuche nicht stoppen könne. Natürlich ist keine Methode absolut sicher. Der Mittelwert verschiedener wissenschaftlicher Studien ergibt 82% Sicherheit bei mit Kondom geschütztem Verkehr. Es ist menschenverachtender Zynismus, wenn Ratzinger auf seiner Afrika-Reise behauptet, die Verteilung von Kondomen verschlimmere das Aids-Problem.
Eine durch Jahrhunderte von der Kirche praktizierte Taktik ist, sich neuen Erkenntnissen stillschweigend und schrittweise anzupassen, wenn sich das Verharren auf eigenen Lehren zum Nachteil der Institution auswirkt. Angesichts der massiven Angriffe auf kirchliche Einstellungen in der Aidsbekämpfung vertrat nun Ratzinger 2010 in einem Interview: „In begründeten Fällen, zum Beispiel als männlicher Prostituierter, könne die Benutzung eines Kondoms zur Ansteckungsverhinderung nützlich sein, und zwar als erster Schritt zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität.“ Ratzingers tabuisierende und verdrängende Einstellung zur Sexualität ist in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ deutlich dargestellt. Beim Medienrummel um dieses Interview wurde völlig übersehen, dass es nur darum ging, die Aufgeklärten bei der Stange zu halten, für die das Kondomverbot ein Anachronismus ist. Es dürfte ihm auch bekannt sein, dass in Afrika verantwortungsbewusste Kleriker Kondome propagieren, verteilen und sogar in Kirchen auflegen.
Eine meiner Kolleginnen aus Vorarlberg hatte sich nach dem Abschluss des Hochschulstudiums entschlossen, ihr Leben der Entwicklungshilfe zu widmen. Nach der Pensionierung ist sie immer noch im Kampf gegen Armut engagiert. Für die handwerkliche Ausbildung sammelt sie hier Werkzeuge, Bohrmaschinen von Hilti usw. und wird wieder einige Wochen lang in Tansania Männer und Frauen unterweisen, wie man mit Lehm und einfachsten Holzwerkzeugen Feuerstellen mit Kamin errichtet. Solche Feuerstellen ermöglichen 60% Holzersparnis und sind von großem hygienischem Vorteil, weil der Rauch nicht in den Hütten bleibt und dadurch die häufig auftretenden Augenschäden verhindert werden.
Ihre Einsätze waren in Senegal, Sambia, Uganda, Tansania und Äthiopien. Schwer enttäuscht und verärgert stellte sie fest, dass die Missionsstationen an den schönsten Plätzen liegen, wo bestes Wasser fließt und der wohlgenährte Klerus einen abgehobenen Lebensstandard hat. Ihre Erfahrung ist, dass die Afrikaner keine sündteuren Kirchen mit Kirchtürmen, Glocken und all dem anderen Firlefanz brauchen. Gotteshäuser, wo den Menschenrechten widersprechende Glaubenslehren indoktriniert werden, welche in unseren Breiten kaum mehr jemand ernst nimmt, sind völlig überflüssig. Dringend notwendig sind nicht Missionsstationen, die jährlich Milliarden verschlingen, sondern Bildungshäuser zur Befreiung von inhumanen Ideologien und Bräuchen. Den Menschen muss wissenschaftliche, wirtschaftliche und technische Bildung angeboten werden. Das würde ihnen helfen, sich von der kapitalistischen Ausbeutung und von ihren Despoten zu befreien.[2]
Der Papst Bergoglio lamentierte über den Geburtenrückgang in Italien und in den westlichen Staaten. Dabei machte er, mit seinen wenigsten 40 kg Übergewicht, nicht nur einen physisch verwahrlosten, sondern primär durch seine Aussagen einen bornierten Eindruck. Seit gut 20 Jahren wird in unzähligen wissenschaftlichen Arbeiten auf die katastrophale Vermehrung der Spezies der Zweibeiner hingewiesen und die damit einhergehende Ausrottung der anderen Arten. Offensichtlich kann sich Bergoglio von der primitiv biblischen Ideologie, dass der Mensch die Krone der Schöpfung und das Abbild Gottes (Gen. 1, 27) sei und vom Nonsens des Apostel Paulus, dass der Mann der Abglanz Gottes und die Frau der Abglanz des Mannes sei ( 1 Kor. 11, 7), nicht trennen.