Im neuen Jahrtausend ist Religion wieder ins Zentrum der öffentlichen Diskurse gerückt. Mit dem 11. September 2001 geriet der fundamentale Islam ins Zentrum aller Medien. Die fundamentalen Islamisten werden als Bedrohung angesehen, als regelrechte Weltgefahr. Nach islamischer Sicht ist es strikt verboten, den Grundprinzipien dieser Lehre zu widersprechen oder sie zu kritisieren. Sehr viele hier eingewanderte Muslime nehmen den Koran wörtlich und ihre Religion noch ernst. Kardinal Schönborn gefällt dies so sehr, dass er seinen Schäfchen empfiehlt, sich an dieser Einstellung ein Beispiel zu nehmen.
Von Adi Untermarzoner
Auch in den USA sind die evangelikalen Frömmler im Vormarsch. George W. Bush antwortete auf die Frage, wer für ihn der größte Philosoph sei: „Jesus Christus“. Unter Bush wurde im Weißen Haus ein Bibel-Lesekreis eingerichtet. Daran teilzunehmen war für die weitere Karriere sehr günstig. Nach dem Desaster der Kriege in Vietnam, Afghanistan und dem Irak erhebt sich allerdings die Frage, woher die eigentliche Weltbedrohung kommt.
Die „Frankfurter Allgemeine“ schreibt vom Revival (Wiederbelebung) der Religion und die „Süddeutsche Zeitung“ von der Desäkularisierung der postideologischen Welt. Sloterdijk beginnt sein neustes Buch „Du musst dein Leben ändern“ mit der Bemerkung: „Ein Gespenst geht um die westliche Welt – das Gespenst der Religion. Landauf, landab wird uns von ihr versichert, nach längerer Abwesenheit sei sie unter die Menschen der modernen Welt zurückgekehrt, man tue gut daran, mit ihrer neuen Präsenz zu rechnen.“[1] Es ist allerding sehr fraglich, ob man tatsächlich von einem Vormarsch der Religionen oder gar von einem postsäkularen Zeitalter sprechen kann, wie der Religionswissenschaftler Krech in der Süddeutschen Zeitung schreibt. Weltjugendtag, Tod des Papstes oder Papstwahl wurden von den Medien meist unreflektiert hochgespielt. Tagelang wurde bei diesen Ereignissen ein peinlicher päpstlicher Personenkult zelebriert. Nur die Berliner Tageszeitung „taz“ sah die Euphorie beim katholischen Weltjugendtag sachlicher und schrieb die süffisante Titelschlagzeile „Wenn Gott das noch erlebt hätte“[2]. Ein verlässlicheres Bild der Kirche, als diese medial erzeugte Scheinwirklichkeit, ergeben repräsentative Umfragen und statistische Erhebungen. 1933 waren weit mehr als 90% in Österreich katholisch, 1951 waren es immerhin noch 89%, 2010 64,8%, 2020 55%, 2021 54,26 %. Laut katholischer Kirche sind in Vorarlberg 253.461 Katholiken, das sind 68,45%. 2021 haben im scheinheiligen Ländle 3508 Personen die Kirche verlassen. Die Gottesdienste besuchen gerade noch 10% regelmäßig. Mehr als ein Viertel der Katholiken überlegt derzeit einen Kirchenaustritt. Zu diesem Ergebnis kommt das Meinungsforschungsinstitut „Integral“. Im Burgenland überlegt fast jeder zweite der Befragten (48%) die Kirche zu verlassen, in Vorarlberg 29%. Selbst zwölf Prozent der über Sechzigjährigen, die in der Kindheit viel intensiver religiös indoktriniert wurden, wollen die Institution verlassen. Erstaunlicherweise schaffen es aber sogar Hochschulabsolventen nicht, auszutreten, obwohl sie längst keine Christen mehr sind. Die Gründe für das Verbleiben in der Kirche sind vielfältig:
- Unterbewusst wirkende, durch frühkindliche Indoktrination erzeugte und damit der rationalen Diskussion schwer zugängliche Beharrungskräfte
- Unkenntnis und Verdrängen biblischer und christlicher Lehren
- Unkenntnis, dass die Ideen der Aufklärung, Vernunft als Erkenntnisgrund, Humanismus, Menschenrechte, gegen den erbitterten Widerstand der Kirche errungen wurden und die Fehlmeinung, das seien christliche Werte
- Unkenntnis der Kriminalgeschichte des Christentums[3]
- Unreflektierte Angepasstheit an die Allgemeinheit und mangelnder Mut, sich zu exponieren
- Die Meinung, die Kirche sei besonders sozial und karitativ (75 % der karitativen Ausgaben sind Staatsausgaben)[4]
Trotz dieser völlig veränderten Verhältnisse ist der österreichische Staat immer noch an das Konkordat der Austrofaschisten von 1933 gebunden. Bisher wurden nur wenige unbedeutende Novellierungen vorgenommen. Es ist absurd, dass der demokratische Rechtsstaat an einen Staatsvertrag gebunden ist, den die katholische Kirche und der damalige faschistische Staat geschlossen haben. Faschismus und Katholizismus sind in ihrer Ideologie freilich in vieler Hinsicht ident und den Prinzipien unserer Demokratie kontradiktorisch entgegengesetzt. Sowohl Kirche als auch faschistischer Staat sind hierarchisch aufgebaut, autoritär, mit Führerprinzip und antidemokratisch. Wie undemokratisch die Kirche ist, zeigen die grotesken innerkirchlichen Streitereien um Ernennungen von Bischöfen, Pfarrern, Frauenordination usw. Einige pseudoprogressive Fromme, infiziert von aufklärerischen Ideen, sind mit der reaktionären Kirchenführung permanent im Clinch und begreifen nicht, dass biblische und kirchliche Grundideen demokratischem Denken in vieler Hinsicht widersprechen. In Österreich sind rund 2 Millionen ohne Konfession, in Wien ca. ein Drittel. Genauer kann man das leider nicht feststellen. Die Datenlage ist unübersichtlich. Die Zahl der Konfessionsfreien ist seit der letzten Volkszählung deutlich gestiegen und steigt weiterhin. 67 000 Kirchenaustritte 2019. Der Anstieg der Kirchenaustritte von 2020 auf 2021 betrug 22,7 %.
Trotzdem ist in Österreich die Macht der Kirche so groß, dass kaum eine Partei es wagt, eine echte Trennung von Kirche und Staat in ihr Programm aufzunehmen und über das Verfassungsgesetz das Konkordat auszuhebeln. Mussolini und Pius XI. haben 1929 den Vatikanstaat gegründet. Völkerrechtlich ist dieser Kirchenstaat umstritten. Es gibt zwar die Möglichkeit der einseitigen Kündigung des Vertrags mit dem Heiligen Stuhl, allerdings würde dies wenig bis gar nichts an den Privilegien der Kirche ändern. Die Privilegien sind nämlich in innerstaatlichen Gesetzen festgelegt. Allerdings würde die einseitige Kündigung des Konkordats den Vorteil bringen, ohne Verhandlungen mit dem Vatikan die Privilegien abzuschaffen. In den Ländern Deutschland, Italien und Österreich, wo der kapitalistische Modernisierungsprozess ohne antifeudale Revolution vor dem Hintergrund einer unterentwickelten bürgerlich-demokratischen Bewegungskultur stattfand, wurde die Säkularisierung nur halbherzig durchgeführt. Hauptausdrucksformen dieses abgebrochenen Säkularisierungsprozesses sind die Beibehaltung von Religionsunterricht im öffentlichen Schulwesen, die Einziehung von Kirchensteuer, die üppige Subventionierung sowie rechtliche Privilegierung der Kirchen. Die Unmenge der Privilegien ist hier nicht aufzählbar. Während die Bevölkerung unter Sparmaßnahmen leidet, finanziert der Staat mit Millionen die Kirche.
. Erhaltung katholischer Privatschulen und Kindergärten überwiegend aus Steuergeldern
. Der Staat muss jährliche Millionenzahlungen an die römisch-katholische Kirche leisten
. Kirchliche Besitztümer sind vielfach grundsteuerbefreit und kirchliche Gebäude werden oft aus Mitteln der Allgemeinheit saniert
. Der ORF ist per Vertrag gezwungen, ausführliche Religionssendungen kostenlos auszustrahlen
. Religiöse Universitäten und Hochschulen werden vom Staat finanziert, aber vom Vatikan kontrolliert
. Das Studium der Theologen und Religionslehrer finanzieren die Steuerzahler, ebenso das Gehalt der Theologieprofessoren und aller Religionslehrer an Mittel-, Haupt- und Volksschulen
. Religionsunterricht findet an staatlichen Schulen statt und geht damit auf Kosten aller Staatsbürger
Die angebliche staatliche Neutralität gegenüber Religionen hat zur Folge, dass diese dreizehn anerkannten Konfessionen das Recht haben, in öffentlichen Schulen, ab drei Schülern pro Klasse, Religionsunterricht zu erteilen. Christliche Religionslehrer wagen es zwar kaum, Dogmen und Glaubensinhalte zu lehren, die schon Jugendlichen inakzeptabel erscheinen. Sie vertreten meistens ein von der Aufklärung gezähmtes Christentum. Skandalös ist aber, dass unsere Gesellschaft auch den islamischen Religionsunterricht finanziert. Einige dieser türkischen Lehrer haben oft nicht einmal das Bildungsniveau von Maturanten, beherrschen die deutsche Sprache miserabel und indoktrinieren hier, nach einem in der Türkei absolvierten Religionskurs, ihre demokratiefeindliche, fundamentale Ideologie. Aufgeschreckt von der Diskussion über Ethikunterricht fragte mich eine Islamlehrerin, was Ethik denn eigentlich sei. Dem Islam fehlen 200 Jahre Aufklärung. Nur sporadisch findet man bei diesen Religionslehrern Ideen der Aufklärung. Muslimischen Lehrkräften, die die Ideen der Aufklärung vertreten, wird allerdings konsequent die Lehrerlaubnis entzogen, wie der Fall Aly El Ghoubashy in Feldkirch zeigte.
In einer Demokratie kann natürlich jeder glauben, was er will. Es widerspricht aber jedem Gerechtigkeitsempfinden und völlig den demokratischen Verhältnissen, dass die rund 2,4 Millionen Religionsfreien (laut Zentralrat der Konfessionsfreien) die Indoktrinierung von unwissenschaftlichen, absolutistischen und inhumanen Mythologien mitfinanzieren. Die Kirchenfinanzierung wird in einem eigenen Artikel behandelt.
Die Initiative gegen Kirchenprivilegien hatte als Ziel, diese ungerechten Zustände abzuschaffen. Sie erreichte von allen bisherigen Volksbegehren die wenigsten Unterschriften, obwohl von den 58 % österreichischen Katholiken 90 % sich innerlich schon längst von den Inhalten des Glaubensbekenntnisses verabschiedet haben und nur noch als Karteileichen bei der Kirche sind.
Literatur zum Thema: Uwe Lehnert, Warum ich kein Christ sein will, TEIA AG – Internet Akademie und Lehrbuch Verlag Robert Misik,
Gott behüte, Warum wir die Religion aus der Politik heraushalten müssen, Verlag Überreuter
- [1] Sloterdijk Peter, Du musst dein Leben ändern, Suhrkamp 2009, S. 9
- [2] Titelschlagzeile der Berliner Tageszeitung taz vom 19. 08. 2005
- [3] Deschner Karlheinz, Kriminalgeschichte des Christentums, Rowohlt, 10-bändiges Werk 1986 – 2013
- [4] Carsten Frerk, Christoph Baumgartner, Gottes Werk und unser Beitrag, Kirchenfinanzierung in Österreich,
- Cernin Verlag Wien 2012