Einer der großen Historiker des Landes, Werner Bundschuh, der mehrere Dekaden ganz oben mitgemischt hat, verabschiedet sich nun in den wohlverdienten Ruhestand – dies jedoch mit gutem Gewissen ob seiner Nachfolge.
Von Bandi Koeck
Gsi.News: Werner, du wurdest vor Kurzem seitens der August Malin-Gesellschaft verdankt und gleichzeitig verabschiedet. Wie hast du dich dabei gefühlt?
Werner Bundschuh: Nach dreißig Jahren an der Spitze eines Vereins ist es selbstverständlich, dass ein solcher Abschied mit einer gewissen Wehmut verbunden ist. Ein solcher Wechsel ist aber auch Anlass Bilanz zu ziehen.
Gsi.News: Was hat die Johann-August-Malin-Gesellschaft in den 40 Jahren ihres Bestehens erreicht?
Bundschuh: Die Bilanz kann sich meiner Meinung nach sehen lassen: Die Zeitgeschichtsschreibung in diesem Land wurde völlig verändert, ihre Forschungsergebnisse haben Bestand und sind die Basis für neue Erkenntnisse. Ein gewisser Stolz über das Erreichte schwingt mit, aber das Wichtigste: Der Übergang zur nächsten Generation ist gelungen. Mein Nachfolger, Johannes Spies, übernimmt einen gut aufgestellten Verein und kann sich auf ein junges, engagiertes Team stützen. Er hat auch sehr fähige, junge Historikerinnen für den Vorstand gewinnen können – also Wehmut, Zufriedenheit und ein optimistischer Blick in die Zukunft! Dass ich zum Abschied noch einen „NS-Täterband“, den 17. Band der „Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs“ herausgeben konnte, war natürlich besonders erfreulich!
Gsi.News: Du warst die vergangenen 40 Jahre sehr aktiv bei der Zeitgeschichte-Gesellschaft und hast diese durch Publikationen und Vorträge maßgeblich geprägt. Woher kommt dieses große Interesse, woher rührt dein Engagement?
Bundschuh: Ein Schlüsselerlebnis hatte ich als junger Geschichtelehrer: Ich musste „den Nationalsozialismus“ unterrichten, allerdings ohne eine Ausbildung in Zeitgeschichte zu haben, denn die kam im Studium nicht vor. Eine Schülerin zeigte auf und fragte: „Herr Professor, mich würde interessieren, wie war es hier in Vorarlberg, wie in Dornbirn?“ Die ehrliche Antwort war: „Ich weiß es nicht, aber in der nächsten Stunde beantworte ich dir die Frage!“ So bin ich auf die „fehlenden sieben Jahre“ gestoßen… Den Kollegen Pichler, Walser, Kiermayr-Egger, Werner Dreier u.a. ging es ähnlich – und so entstand die JAMG um die Lücken zu füllen. Und die Frage ist bis heute nicht ausreichend beantwortet – und sie hat mich nicht mehr losgelassen.
Gsi.News: Was waren für dich die eindrücklichsten respektive einschneidendsten Erlebnisse sowohl bei der August-Malin-Gesellschaftund auch als Oberstufenlehrer?
Bundschuh: Ich habe mich seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts besonders um die NS-ZwangsarbeiterInnen-Geschichte im Lande gekümmert. Mit Kollegin Ruff war ich deshalb auch mehrere Male in der Ukraine. Die Auseinandersetzung mit der Vorarlberger Illwerke AG war sehr prägend – und dass es dann 2013 im Rahmen eines „Zentralen Seminars“ von erinnern.at ein Projekt gegeben hat, das u.a. zu einer Überarbeitung der Illwerke-Homepage und zu Unterrichtsmaterialien geführt hat, war doch sehr erfreulich.
Und sicher eine sehr einschneidende Lehrerfahrung als Klassenvorstand: In den 90er Jahren, also parallel zu den NS-Zwangsarbeiterforschungen, haben Schüler von mir eine Neonazi-Gruppe gegründet, inklusive Anleitungen zum Halsabschneiden oder Schädeleinschlagen. Lehrer, die weiterhin die „Mauthausen-Lüge“ vertreten, sollten „so lange am Halse aufgehängt werden“, bis der Tod eintritt. Die Gruppe ist aufgeflogen – passiert ist den Gruppenmitgliedern nichts – und heute sind sie zum Teil in führenden Positionen tätig. Ich kann nur hoffen, dass mein Unterricht über die „Aufklärung“ später noch Wirkung gezeigt hat.
Und ja: Ich halte politische Bildung und Geschichteunterricht in einem Bildungssystem für sehr wesentlich. Deshalb unterrichte ich noch heute am Studienzentrum in Bregenz – eine ganz wichtige Aufgabe, denn bei den jungen Erwachsenen, die studieren wollen, sehe ich, welche Defizite in diesem Bereich bestehen!
Gsi.News: Und bei erinnern.at?
Bundschuh: Dass Werner Dreier zusammen mit Peter Niedermair _erinnern.at_ aufgebaut hat, hängt natürlich auch mit der Tätigkeit der JAMG zusammen. Heute ist _erinnern.at_ das Holocaust-Institut für Österreich mit Sitz in Bregenz. Ich durfte dort von 2009 bis 2016 in der Geschäftsleitung mitarbeiten, und mein Nachfolger bei der JAMG ist auch mein Nachfolger als „Netzwerker“ für _erinnern.at_ in Vorarlberg. Eine erfolgversprechende Symbiose! Unter den vielen Projekten, die ich bei _erinnern.at_ mitgestalten durfte, sei eine Ausstellung herausgegriffen, die als Motto für meine ganze Tätigkeit gelten kann: „Darüber sprechen!“.
Gsi.News: Werfen wir einen Blick zurück in die 80er Jahre und vergleichen das Ganze mit heute: Worin steckt die Aufarbeitung noch immer in Kinderschuhen und was sollte dringend angegangen werden?
Bundschuh:Spontan zwei große Lücken, die zu füllen sind: Es gibt keine umfassende Darstellung des „Austrofaschismus“ in diesem Lande. Dazu eine Geschichte, die ich gerne erzähle: Als Junglehrer wurde ich inspiziert, als ich eine Stunde zu Dollfuß halten musste. Ich wollte an die Tafel schreiben: „Dollfuß und der Austrofa…“ Genau so weit bin ich gekommen. Der Landesschulinspektor belehrte mich: „Bei uns in Vorarlberg heißt das „die andere Demokratie!“. Waren die LH Ender und Ilg „Austrofaschisten“ oder „andere Demokraten“? Wie hat das System wirklich funktioniert, wie hat die „Vaterländische Front“ tatsächlich ins Leben eingegriffen? Da sind durchaus noch Fragen offen… Und eine systematische NS-Frauenforschung ist Brachland. Also es gibt für die jungen Forschenden durchaus noch Themen, die zu bearbeiten sind!
Gsi.News: Was haben wir noch immer nicht aus der Geschichte gelernt, was hingegen schon?
Bundschuh: Das Fundament der „Aufklärung“ ist jedenfalls viel dünner als ich zu Beginn meiner Lehrertätigkeit gedacht habe. Der Zerfall Jugoslawiens war ein Dämpfer für den Optimismus, dass Kriege in Europa nicht mehr geführt werden. Die Einsicht, dass der Nationalismus wieder eine so starke zerstörerische Kraft – nicht nur auf dem Balkan! – wird, hat meine Hoffnung dass „wir“ aus der Geschichte gelernt haben, doch sehr stark getrübt. Zum Glück blieb meine Generation hier in Mitteleuropa vom Krieg verschont – der europäische Einigungsprozess hat uns davor bewahrt. Wenn ich jedoch die „Cororna-Impfgegner“ mit „David-Armbinden“ sehe oder mit Plakaten wie „Impfen macht frei!“ in Anspielung auf den millionenfachen NS-Mord in Mordfabriken wie Auschwitz – dann bezweifle ich, dass „wir“ gelernt haben! Ganz abgesehen davon, dass die Geschichtekenntnisse zum Teil recht dürftig sind – und daher Rechtspopulisten – nicht nur in Österreich – solche Erfolge mit primitiven Parolen feiern können!
Gsi.News: Wie erklärst du kleinen Kindern, was Putin gerade in der Ukraine anrichtet?
Bundschuh: Bei meinen kleinen Enkeln vermeide ich das Gespräch über Putin – das überlasse ich jetzt den Eltern. Meine Kinder und die größeren Enkel sind mit Gesprächen über den Holocaust aufgewachsen, und viele meiner KollegInnen habe ich mit meinen Ausführungen über die Geschichte der Ukraine über Jahrzehnte traktiert. Die „Bloodlands“ waren präsent, der Konflikt in der Ukraine schon vor der Krim-Besetzung durch die Putin-Truppen ein Thema. 2013 habe ich einen Aufsatz über die Krim-Tataren in Vorarlberg veröffentlicht. Damals hat das kaum jemanden interessiert…
Gsi.News: Welche näheren Zukunftspläne hegst du?
Bundschuh: Es gibt einige Projektanfragen nach dem Motto: „Jetzt hast du ja Zeit!“ Sagen wir so: Frau, Kinder und Enkel haben in den nächsten Monaten Vorrang – und dann sehen wir weiter…
Zur Person
- Werner Bundschuh
- Geboren am 3. Juli 1951 in Dornbirn.
- Familie: verheiratet seit 1974 mit Traudi , drei erwachsene Kinder und fünf Enkel.
- Beruf: AHS-Lehrer in Ruhestnad, Lehrbeauftragter am Studienzentrum Bregenz (Johannes Kepler Universität Linz). Hobby: Zeitgeschichteforschung,
- An Vorarlberg schätze ich: Die Schönheit der Natur, die Lage, die Infrastruktur und das kulturelle Angebot auf engem Raum – alles in allem: die Lebensqualität, besonders nach der Rückkehr von Fernreisen.
- Das kann mich aufregen: Menschen, die jene Haltung verkörpern, die Odön von Horvath so bezeichnet hat: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“
- Die österreichische Politik : Die türkis-schwarz-blaue Kurz-Regierung hat gezeigt, wie sehr die österreichischen Strukturen für „Orbanisierungstendenzen“ anfällig sind: Rechtspopulismus, Xenophobie und Antisemitismus können nach wie vor instrumentalisiert werden!
- Kontakt: werner.bundschuh@outlook.com