Von Albert Wittwer
Bellen vor der Tür – sonst haben wir keine Sorgen?
Angeblich soll der Papst im Corriere della Sera im Interview gesagt haben, die Ukraine habe den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch Putins Armee dadurch provoziert, daß sie – mag es auch ein Selbstbestimmungsrecht der Völker geben – „vor Rußlands Tür gebellt“ habe. Vermutlich, weil die Ukraine irgendwann in die Europäische Union aufgenommen werden will.
Wir haben ja andere Sorgen. Antikorruptionsvolksbegehren unterschreiben. Flüchtlinge aufnehmen. Die Kinder versorgen. Mittagessen kochen. Rad- statt Autofahren. Den Öffi-Fahrplan aufs Smartphone laden. Den Austausch der Ölheizung planen. Mehr Radfahren. Biologisch einkaufen. In den sozialen Medien posten. Zeitungen lesen. Zur Abschreckung Privatsender kurz einschalten, die haben vom Coronaleugnen zum Rußlandverstehen umgeschaltet. ORF-Nachrichten sehen und hören. Täglich zur Erwerbsarbeit antreten. Besonders, wenn wir praktisch unkündbar sind, über leidige Arbeitsbedingungen jammern. Vielleicht doch der Gewerkschaft beitreten. Uns erklären lassen, wie gut und förderlich ein bedeutender politischer Bund gewirtschaftet hat – ohne die Vorgänge vorab zu kriminalisieren. Die vierte Corona-Auffrischungsimpfung einplanen.
Leider müssen wir alles zugleich erledigen.
Es ist offensichtlich, daß die Politik auf die Krisen von Umwelt und Lieferketten, daher Materialverknappung und Teuerung, nicht vorbereitet ist und auf Krieg in Europa nicht vorbereitet sein konnte. Vielleicht könnte man den Landeshauptmann von Vorarlberg mal in Ruhe und stattdessen die Finanzbehörden und die Justiz arbeiten lassen.
Ähnliches gilt für den Kanzler, wer immer seine Kinder zur Schule fährt. Die teuren vielen Dutzend Berater, einer Großmacht würdig, könnten ihm raten, sich nicht mit jedem Anwurf persönlich zu beschäftigen. Vielleicht wirft er hundert davon hinaus, man braucht sowieso viel mehr Sozialarbeiter, Lehrerinnen, Pfleger. Sie könnten auch rasch Kurse in Verwaltungsrecht, -Organisation, Projektmanagement, Volkswirtschaftslehre, doppelter Buchführung besuchen, denn ohne zusätzliche staatliche Beamte, die was können, sind die Krisen nicht zu stemmen.
Es wäre komplett illusorisch, zu glauben, „die Wirtschaft“, der Markt, das freie Spiel der Kräfte werde die Transformation der Lebensmittelproduktion, des Zementierens, des Individualverkehres, der Verfügbarkeit von Medikamenten bewältigen.
Es fehlen beispielsweise allein im öffentlichen Sektor: eine ausreichende Zahl von Ärztinnen, Pflegern, Lehrer aller Sparten. Versuchen Sie mal, bei Beschwerden einen Termin bei einem praktischen Arzt zu kriegen. Da warten sie gleich lieber vier Stunden in der Spitalsambulanz. Trotzdem müssen die Maturantinnen mit sehr gutem Zeugnis absurde Aufnahmsprüfungen bestehen, um überhaupt viele Studien, die in Wahrheit „Handwerke“ sind, wie Medizin, Pharmazie, Recht, Handel, beginnen zu dürfen.
Lieber Herr Bundespräsident, erarbeiten Sie bitte einen Entwurf für die notwendigen Verfassungsänderungen. Trotz aller Eleganz ist sie nach hundert Jahren der Aktualisierung würdig. Ein erster Vorschlag: Wer in ein Ministeramt oder als Landesrat bestellt werden soll, muß einen abgeschlossenen Beruf haben, ähnlich wie ein Verwaltungslehrling.