Ein mobiler Hörweg zu den Fluchtstationen 1938 bis 1945 vom Bodensee bis zur Silvretta entlang der Radroute No. 1 in Vorarlberg, der Schweiz und in Liechtenstein
„Wir haben es geschafft! Hoffe euch alle gesund! Und alles in Ordnung. Nun mein Bericht!“ (Willy Geber nach seiner Flucht in die Schweiz in einem Brief nach Wien, August 1938)
Tausende von Flüchtlingen versuchten zwischen März 1938 und Mai 1945 über Vorarlberg die rettende Schweiz zu erreichen. Die meisten von Ihnen hatten 1938 im Deutschen Reich als Juden nicht nur Entrechtung, Beraubung und das Ende jeder wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit vor Augen. Sie erwartete, ohne dass sie es schon wissen konnten, ihre physische Vernichtung, die „Endlösung der Judenfrage“, wie die Nationalsozialisten den 1939 beginnenden Massenmord nannten. Aber auch politische Gegnerinnen und Gegner der Nazis, Intellektuelle, Deserteure, später auch Kriegsgefangene, Zwangs- und Fremdarbeiter*innen aus besetzten Ländern Europas suchten in Vorarlberg die Grenze zur Schweiz oder Liechtenstein zu überwinden. Schon im Sommer 1938 begann die Schweiz die Grenzen gegenüber den Flüchtlingen abzuriegeln. Fluchthelferinnen und Fluchthelfer auf beiden Seiten der Grenze konnten Einzelnen noch ein Entkommen ermöglichen. Für alle gab es nun nur noch illegale Wege in die Freiheit.
Entlang der Radroute No. 1, sowie an ausgewählten Orten in der Schweiz und in Liechtenstein erzählt „Über die Grenze“ von Mut und Verzweiflung, von Verfolgung und bürokratischem Eifer, von Menschlichkeit und Solidarität.
Viele dieser Fluchtgeschichten sind mittlerweile gut erforscht. Die Erfahrungen der Flüchtlinge spiegeln sich in den unterschiedlichsten Dokumenten: persönliche Briefe aus der Zeit der Verfolgung, überliefertes Schriftgut der deutschen und schweizerischen Behörden, Erinnerungen von Zeitzeugen, Fotografien der damaligen Schauplätze. Aus ihnen entsteht ein Bild der damaligen Ereignisse aus vielen Perspektiven – zu hören, zu lesen, zu schauen. Und dies unterwegs in der Landschaft zwischen See und Bergen, auf beiden Seiten des Rheins, beiden Seiten einer Grenze, die trennt und verbindet.
Zweiundfünfzig dieser Fluchtgeschichten erzählt „Über die Grenze“ in der Nähe der historischen Schauplätze entlang der Radroute Nr. 1 von Bregenz über Lustenau, Hohenems, Feldkirch und Bludenz bis nach Partenen am Fuß der Silvretta, in den Gemeinden dazwischen und im Zentrum von Dornbirn, an den Bahnhöfen in Hohenems und Feldkirch, aber auch auf der anderen Seite der Grenze in der Schweiz und Liechtenstein, von St. Margrethen über Widnau und Diepoldsau, bis nach Buchs im Kanton St. Gallen und nach Mauren in Liechtenstein.
Plattform für diese Erkundung der Grenzlandschaft im Rheintal und in den Bergen ist die Website www.ueber-die-grenze.at (freigeschaltet ab 2.7.) mit Geschichten zum Hören, Fotografien, Dokumenten und interaktiven Karten. Entlang der Radroute markieren symbolische Grenzsteine an Rastplätzen den Hörweg, und laden mit einem QR-Code dazu ein, sich auf die Geschichte des Ortes einzulassen, innezuhalten, aufmerksam die Umgebung wahrzunehmen.
Beworben wird die Hör-Route durch Faltprospekte mit Landkarten, durch vielfältige Öffentlichkeitsarbeit in den Medien und durch gemeinsame Bewerbung in Fahrrad-begeisterten Netzwerken.
Zur Hör-Route wird eine Dokumentation der Geschichten und Schauplätze in Buchform erscheinen, mit historischen und zeitgenössischen Aufnahmen. Für die fotografische Dokumentation der Grenzlandschaft konnte der Hohenemser Fotograf Dietmar Walser gewonnen werden.
Die Realisierung des Projekts erfolgt in intensiver und grenzüberschreitender Kooperation mit den Städten und Gemeinden auf beiden Seiten des Rheintals, im Walgau und im Montafon, sowie mit schulischen und außerschulischen Bildungsträgern und der Touristik. So werden der Hörweg und die Radrouten zu einem Ort gesteigerter Sensibilität für die Wechselwirkungen zwischen Geschichte und Gegenwart.
Die Einweihung dieser 100 Kilometer langen Hör-Route wird am 3. Juli 2022 mit einer Fahrradsternfahrt begangen und einem Festakt auf dem Hohenemser Schlossplatz, mit Nachkommen von Flüchtlingen und Fluchthelfern.
Die geplante Position der symbolischen Grenzsteine ist hier ersichtlich: