Von Albert Wittwer
Die Weiblichkeit, das wirklich kreativ Weibliche, existierte von Anfang an. Die Schöpfungsmythen beginnen mit Gaia, der weibliche Erde, die gebären kann. Im hebräischen Urtext der Genesis schwebte nicht „der Geist Gottes“ über dem Wasser, sondern die weibliche Geistkraft.
Im Patriarchat, in den männlich geprägten christlichen und muslimischen Kulturen wurde das umgeschrieben. Eva wurde die Verantwortung für die Vertreibung aus dem Paradies aufgebürdet. Damit war die Ordnung für die nächsten etwa sechstausend Jahre an Kulturgeschichte hergestellt.
Das zur Hauptsünde der Wohllust führende Verlangen nach der Frau war eine Gefahr für die männliche Ordnung. Auf die religiöse Diskriminierung der Sexualität, die blaue Mystik mit ihrer Körperfeindlichkeit, folgte die durch Wilhelm Reich entlarvte gekünstelte Enthaltsamkeit, die aus Männern grobe, empathielose, allerdings noch der Vergewaltigung fähige Soldaten macht. Ihr ziviles Gegenstück sind die Incels, unfreiwillig zölibatäre Männern, die bei den selbstbestimmten Frauen nicht landen können.
Heute wissen wir: Ohne Befreiung der Frau ist die Befreiung des Mannes nicht zu haben.
Seit wann dürfen die Frauen wählen? In Saudi Arabien überhaupt nicht. In Österreich seit 1918. In der Schweiz seit 1971, im Kanton Appenzell 1990.
Damit dürfen, sollen, müssen sie jetzt wohl wirklich zufrieden sein! Formal ist die Gleichberechtigung hergestellt.
Obwohl: Der Gender-Gap, der Unterschied im Einkommen zwischen Männern und Frauen ist in der EU am größten in Österreich, innerhalb Österreichs am größten in Vorarlberg. Das bleibt auch so, wenn man die Teilzeiten, ein weiteres „Privileg“ der Frauen neben Kindererziehung und Hausarbeit, herausrechnet.
Die Frauen in der Wissenschaft: Sie erhalten bei gleicher oder besserer Leistung weniger Anerkennung. Frauen sind die besseren, erfolgreicheren Fonds-Manager.
Frauen stellen die Männer in der Politik ganz beiläufig und unauffällig in den Schatten – wenn sie denn dürfen. Die Regierungschefinnen von Finnland, Schweden, Neuseeland lassen grüßen. Sie sollen u.a. die erfolgreichste Corona-Politik der Welt verantworten. Mit Wehmut erinnern wir uns an die unspektakuläre Frau Merkel. Unter Indira Ghandi gab es in Indien, anders als heute, keine Diskriminierung von Muslimen und Siks und die Missionaries of Charity (Mutter Theresa) durften noch Parias verpflegen, behandeln und Waisenkinder versorgen. Die österreichische Kanzlerin Bierlein hatte von allen Regierungschefs der letzten siebzig Jahre die größten Zustimmungswerte in der Bevölkerung.
Unsere Freiheit aber – sie kommt nicht von selbst. Vielmehr ist sie, wie der neue Gebärzwang in den USA und Russland und Polen beweist, auf dem Rückzug. Setzen sich die Sekten durch, kommt als nächstes zur Wahrung der Heiligkeit des Lebens auch noch, wie gehabt, das Verbot der Empfängnisverhütung.
Frauen, nehmt Euch die Freiheit, die vermeintlich göttliche Ordnung zu verunsichern. Seid ungehorsam, unbescheiden, urtümlich, frech und lustig (traditionell eine Herausforderung männlicher Autorität). Womöglich führt der Weg zum Frieden, der Abwesenheit von Krieg und Zwang, nur über das Matriarchat. Also noch mit ungewissem Ziel ein weiter Weg. Geht ihn mit verbündeten Männern gemeinsam: fröhlich und atemlos.
*) Angeregt durch die Ausstellung im Mesnerstüble, Liebfrauenberg, Rankweil. Leider schon beendet.
Bild: Schale mit Frau die auf Schlangen reitet, Werkgruppe Volumina Tenera. Gefässe für Empfänglichkeit. Amrei Wittwer 2022Ca 26×26 cmPorzellan, Farbkörper und Glasur