Ein Schulbeginn im Zeichen eines eklatanten Lehrermangels

Der Vorsitzende des Zentralaussschusses Gewerkschaft Freie Lehrer, Willi Witzemann, stand passend zu Schulanfang den kritischen Fragen Rede und Antwort und gibt wenig Hoffnung für Zuversicht und Lernen aus Fehlern.

Von Bandi Koeck

Gsi.News: Vor drei Tagen war Schulbeginn in Vorarlbergs Schulen. Inwiefern unterscheidet sich dieser von jenen vergangener Jahre?

Willi Witzemann: Der größte Unterschied ist der eklatante Mangel an Lehrpersonen. Es ist frustrierend, dass hier in der Vergangenheit von der Politik nicht gegengesteuert wurde. Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass ab dem Jahr 2020 viele Kollegen in Pension gehen werden und es an Personal fehlen wird. Leider wurde dieses Problem jahrelang negiert.

Gsi.News:  Offene Stellen, die nicht besetzt sind und sogar ganze Schulschliessungen, etwa in Partenen oder Wald am Arlberg, sind die Folge. Welche Fehler wurden hier begangen und wie kann aus diesen für die Zukunft gelernt werden?

Witzemann: Es wurde viel zu spät reagiert. Erst als sich auf Initiative der Personalvertretung die Vorarlberger Direktoren im vergangen Schuljahr formiert haben und sich auch alle Bildungssprecher im Landtag ein Bild über die prekäre Situation gemacht haben, wurde gehandelt. Die Projektstelle „Arbeitsplatz Schule“ mit Dr. Heiko Richter hat hier schon erste Maßnahmen setzen können. Es bedarf aber noch viel mehr.

Gsi.News: Auch wenn die Verantwortlichen in der Bildungsdirektion, allen voran Landesrätin Schöbi-Fink reagiert haben, war es bereits fünf nach zwölf. Bildungsminister Pollaschek hingegen handelt nicht. Kann erörtert werden warum?

Witzemann: Ja, das kann man: Er hat leider keine Ahnung, wie es wirklich um die Pflichtschulen steht. Das hat er eindrücklich bei seinem Besuch in Vorarlberg und im Fernsehen gezeigt. Natürlich muss hier auch sein Generalsekretär Martin Netzer in die Pflicht genommen werden, denn er weiß um die Situation bei uns. Gerade als Vorarlberger kennt er die seit Jahren vorherrschende finanzielle Benachteiligung der Lehrerschaft bei uns. Man muss nur die Kaufkraft und die Gehälter miteinander vergleichen, dann weiß man, dass das Leben in Vorarlberg wesentlich teurer ist als beispielsweise im Burgenland. Die Gehälter sind aber dieselben! Es wird überhaupt nicht unterschieden, wo die Schulen sind und es gibt auch keinen Standortbonus.

Gsi.News: Bei vielen Eltern nimmt das Maß an Unsicherheit sowie Unmut zu. Wie kann dieser Abwärtsspirale pädagogisch sowie politisch positiv begegnet werden?

Witzemann: Auch das ist in gewissem Maße auch dem Personalmangel geschuldet. Auch wenn es die Politik anders darstellt, müssen immer mehr Stunden ausfallen bzw. können nicht mehr angeboten werden. Meist sind dies Stunden, die den Kindern große Freude bereiten und die sie zusätzlich besuchen konnten. Die Kommunikation mit den Eltern muss hier verstärkt werden und es muss den Eltern klar sein, dass die Schulen das Bestmögliche für ihre Kinder bieten möchten. Dass die Situation für alle belastend ist, erkennen aber auch die meisten Eltern, ebenso wie das Engagement der Lehrerschaft.

Gsi.News: Immer wieder wird gefordert, das Ausbildungssystem an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg zu ändern. Wie sollte das im Detail aussehen? 

Witzemann: Es geht dabei um eine Verkürzung der Ausbildungszeit im Primarbereich. Dann hätten die Studierenden die Möglichkeit, den Bachelor bereits nach drei Jahren zu machen und als vollwertige Lehrkraft im Schuldienst zu unterrichten. Der Master könnte dann berufsbegleitend in zwei Jahren absolviert werden, womit die Gesamtstudiendauer wieder bei fünf Jahren liegt. Das hat auch den Nebeneffekt, dass die Studierenden bereits nach drei Jahren auch ein eigenes vollwertiges Gehalt erhalten würden.

Gsi.News: Eine Umsetzung wäre also in nur sechs Monaten möglich. Fehlt hier eindeutig der politische Wille dazu? Und wie kann hier vermehrt Druck auf das Bildungsministerium ausgeübt werden? 

Witzemann: Ja, das wurde mir so kommuniziert. Auch die Landesstatthalterin hat mir versichert, dass sie diesen Vorschlag bereits vor einem Jahr an das Ministerium gerichtet hat. Aber der Minister und sein Generalsekretär müssen sich das offensichtlich „erst mal anschauen“! Nachdem auch die anderen Bundesländer nun einen Personalmangel melden, müssen auch diese Druck auf den ÖVP-Minister ausüben!

Gsi.News: Abhilfe könnten auch Quereinsteiger bieten. Allerdings scheint der Lehrberuf für viele unattraktiv und nicht lohnenswert. Stichwort: Anrechnung von Dienstzeiten?

Witzemann: Mit der neuen Dienstrechtsnovelle soll es nun besser werden. Leider ist dies für Kollegen, die bereits im Dienst sind, nicht mehr relevant. Auch hier müsste rückwirkend für diese Quereinsteiger eine besser Lösung implementiert werden. Dazu kommt, dass die Gehälter nicht mehr adäquat sind.

Gsi.News: Auch für Pensionisten gibt es seit der Abschaffung des sog. „Ländle Tausender“ kaum mehr Anreize, da sie bei einem Wiedereinstieg bei Null anfangen. Welche Alternativen gäbe es für diese Gruppe?

Witzemann: Auch hier habe ich Vorschläge an die Bildungsverantwortlichen unterbreitet. So erhielten zum Beispiel vor vielen Jahren Lehrer, die am Arlberg unterrichtet haben, eine Saisonkarte zur Verfügung gestellt, was oftmals auch ein Anreiz darstellte. Wenn man sich zurückerinnert, gab es in vielen Gemeinden auch Lehrerwohnungen. Dies hätte vermutlich die eine oder andere Lehrperson aus anderen Bundesländern auch dazu bewegen können, beispielsweise in Wald am Arlberg oder Partenen zu unterrichten. Gerade dann, wenn man gerne wandert oder Wintersport betreibt. Das muss man aber natürlich auch kommunizieren.

Gsi.News: Einige Lehrer im Land sind ganz kurzfristig ausgefallen und konnten bei Schulbeginn nicht in ihren Schulen erscheinen. Was muss unternommen werden, damit die Lehrergesundheit und eine Burnout-Prophylaxe in den Fokus gerückt werden?

Witzemann: Diesem Thema muss viel mehr Augenmerk zukommen. Man kann nicht den Kollegen immer noch mehr Arbeit aufbrummen, irgendwann wird es zu viel. Hier ist natürlich die Bildungsdirektion gefordert. Wichtig ist, dass frühzeitig reagiert wird. Die meisten Direktoren haben aber auch ein gutes Auge auf die Kollegen, denn es gilt auch, dass man sich gegenseitig stützt und hilft. Es gibt einige Programme zu diesem Thema, aber auch hier fehlt oftmals die Zeit, diese durchzuführen. Helfen kann aber auch eine frühzeitige Inanspruchnahme einer Supervision. 

Gsi.News: Zum Schluss noch etwas Positives: Der Lehrberuf ist ein sehr schöner, die Bildung unserer Kinder die Zukunft des Landes. Wie kann der Beruf gerade für Studenten wieder attraktiv gemacht werden?

Witzemann: Genau das ist es! Der Lehrerberuf kann nicht nur fordernd sein, sondern er IST einer der schönsten Berufe, die man sich vorstellen kann. Was kann es Schöneres geben, wie Kinder zu fördern, ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu malen und mit ihnen Spaß zu haben? Jeder Tag bringt etwas Neues und Spannendes mit sich. Ich denke, dass man dies viel mehr in den Vordergrund stellen sollte. Was für eine Freude war für mich die letzte Woche, als 191 neue Kollegen im Landhaus angelobt wurden. Ihr Lächeln zeigte nicht nur mir, dass sie den richtigen Beruf gewählt haben und sich auf ihre Arbeit freuen.

Gsi.News: In diesem Sinne viel Freude, Kraft und Energie für das bevorstehende Schuljahr!

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