Die neue Arbeitswelt 2023

Albert Wittwer

Von Albert Wittwer

Eigentlich müßte schon die große Arbeitslosigkeit ausgebrochen sein. Das haben die Ökonomen unterstützt von den Technologieexperten für zahlreiche Berufe und Sparten vorhergesagt. Die edv-basierte Automatisierung hatte schon zahlreiche Jobs in der industriellen Produktion ersetzt. Nicht nur in der Autoproduktion, der Erzeugung von Antibiotika (es gibt schon heute in ganz Europa nur noch ein Werk in Kundl), bei Photovoltaikpaneelen (leider nur in China) oder Microchips (in Korea). Seit langem gibt es computergesteuerte Lagerführung mit Auswurf im Stil von RunningSushi.

Jetzt sollte erst noch die Cloud & Digitalisierung den Lohnverrechnern, den Anwältinnen und der medizinischen Diagnostik, um nur einige zu nennen, den Garaus machen. Sogar in der gewerblichen Produktion wären etwa 50 & der Jobs obsolet. Die Zustelllieferwägen führen autonom, der Fahrer trüge nur noch das Päckchen in den zweiten Stock und ließe unterschreiben. Usw.

Heute suchen alle händeringend nach Mitarbeiterinnen, nicht nur in der Medizin und Pädagogik. Was ist passiert?

Fast simultan sind über uns drei große Krisen hereingebrochen:

Covid und die Abschottungsfolgen für traditionelle Influenza.

Hitze, Dürre und Hochwasser, woran auch die Skeptiker den Klimawandel erkennen.

Ein unprovozierter, brutaler Angriffskrieg ohne Schonung selbst der Zivilbevölkerung mitten in Europa.

Das konnte für uns, die wir dazu neigten, unsere mitteleuropäische Komfortzone als naturgesetzlich zu betrachten, nicht ohne seelische Auswirkungen bleiben. Ich denke, unser zuvor gesichertes Arbeitsethos: Wer sich nur genug anstrengt, wird belohnt, steigt finanziell und gesellschaftlich auf, verdichtet in der absurden Idee: the winner takes all (Der Sieger kriegt alles), ist tief erschüttert. Das führt – abgesehen von den zunehmenden psychischen Krankheiten – zu einem neuen Groove der Arbeit.

Es ist ja klar. Was mache ich mit „allem“, wenn ich einen Hund als Alibi brauche, um vor die Haustüre zu gehen, im Dauerregen oder der Rund-um-Die-Uhr-Hitze, ich nicht mal mit der Bahn nach Lugano oder Garda reisen durfte und morgen sowieso die Russen kommen?

Derweil haben die europäischen Staaten ihre überzogene Haushaltsdisziplin abgelegt. Der Staat subventioniert im Monatsrhythmus Energiekosten, Umsatzausfälle (leider teils auch solche, die nicht ausfielen) und Lebenshaltung.   Auch die glühenden Neoliberalen sehen den Markt (ihn allein), die Privatisierung, nicht mehr als geeignet, die elementaren Bedürfnisse und zugleich den Lebensraum zu gewährleisten. Das Credo: Wer nicht schuftet, soll auch nicht essen, mag ruhig frieren, ist abgelegt.

Die Vierzigstundenwoche mit unlimitierter täglicher Arbeitszeit (copyright: ExRegierung mit Wirtschaftskammer) und die gröberen Arbeitsbedingungen werden die große Ausnahme. Grobheiten mögen den Automaten und der Cloud zugemutet werden. Mag sein, daß wir uns auf diesem Umweg der alten Utopie (Karl Marx) nähern, täglich nur noch drei Stunden Erwerbsarbeit zu leisten. Und in der anderen Zeit zu fischen, gärtnern, fotografieren, dichten, mit Kindern lernen – ohne Fischer, Gärtner, Künstler, Lehrer oder Lyriker zu sein. Genau genommen: Ohne von diesen schönen Tätigkeiten leben zu müssen.

Die Arbeit soll sinnvoll sein. Die Bullshit-Jobs, erkennbar an Phantasietiteln (unser Exkanzler: „Global Strategist“ bei Thiel) verlieren an Glanz. Nicht ganz klar ist mir in diesem Zusammenhang der Frust bei Krankenpflegern und Lehrerinnen; da liegt der Sinn, der Nutzen, die Anerkennung auf der Hand.

Leider hat sich – soweit ich sehe – der Mainstream der Volkswirtschaftslehre bisher kaum mit der Kombination von Plan- mit Marktwirtschaft beschäftigt. wir müssen wohl auf dem Weg lernen. Ah ja, sowieso lebenslang.

Anmerkung: 

Eine weitere gute Nachricht: die Einigung der Signatarstaaten beim Artenschutzabkommen. Also wird das Wandern noch vergnüglich bleiben.

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