Heute ist Holocaust-Gedenktag: Evelyne Bermann an Schulzentrum Unterland

Evelyne Bermann sprach vor der gesamten Schule. © Bandi Koeck

Seit vielen Jahren findet jährlich in der Woche des internationalen Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus und die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz eine Gedenkveranstaltung an der Oberschule Eschen statt. Dieses Jahr sprach Evelyne Bermann zu allen Schülerinnen und Schülern der Schule.

Von Bandi Koeck

Evelyne Bermann ist nicht nur eine bekannte Künstlerin in Liechtenstein, die sich politisch aktiv für Frauenrechte einsetzte, sondern auch eine der wenigen jüdischen Menschen des Landes. Bermann sprach über ihre ganz persönliche Familiengeschichte, über ihre Mutter Alice Bermann-Cohn, welche im damaligen Breslau aufwuchs und dort ein Mädchengymnasium besuchte. Ihr Vortrag war durch viele Bilder und Zeitdokumente visuell untermauert und stellte neben der ganz persönlichen (Über-)Lebensgeschichte die wichtigsten Vorkommnisse während des Nazi-Terrorregimes anschaulich dar. Vom Überfall auf jüdische Geschäfte ab April 1933, dem sog. „Judenboykott“ bis zu die im September 1935 erlassenen „Nürnberger Rassengesetze“ konnte die Künstlerin schülergerecht erklären. „Man muss sehen, dass es sich dabei um einen der grössten Raubzüge der Geschichte gehandelt hat, bei dem jüdische Menschen um ihren Besitz gebracht haben.“

Flucht nach Amsterdam

1936 bot sich für Bermanns Mutter Alice eine Gelegenheit, Nazi-Deutschland zu verlassen und durch die Hilfe eines Kinobesitzers mit ein paar Sommerkleidern und den erlaubten 10 Mark die Ausreise nach Holland anzutreten. Als Plakatmalerin fertigt sich Kinoplakate an. Evelyne Bermann berichtete über den letzten Besuch der Eltern, denn ab 1938 nahmen die Niederlande keine Flüchtlinge mehr auf. Zeitgleich fand in Deutschland die Reichsprogromnacht, bei der Gebäude geplündert und verwüstet wurden, Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Menschen verprügelt oder ermordet wurden. Alice Cohn schafft es nicht, ihre Eltern nach Amsterdam zu holen. Sie wollte sich als Spielzeugherstellerin selbstständig machen, doch mit 10. Mai 1940 werden diese Pläne zunichte gemacht – die Nazis besetzen die Niederlande, welche kapitulieren. Da alle Landwege gesperrt sind, gelingt ihr keine Flucht. 1940 wird sich von der GESTAPO vier Tage lang verhört. „Sie wollte nie darüber erzählen, sagte nur, dass es nicht angenehm war, das müsse ich ihr glauben.“ 1941 wurde der neu eingeführte Personalausweis mit einem „J“ für jüdische Menschen versehen. Dieser galt als fälschungssicher. Es folgten Begriffe wie „Umsiedlung“, „Enteignung“ und „Verdrängung“. „Sogar das Spazieren im Park war für Juden verboten, es folgte 1942 die Einführung des Judensterns.“

Kinderretterin und Passfälscherin

Bermanns Mutter Alice konnte nur knapp einer Deportation entkommen. „Sie wagte es nicht mehr, in ihrem eigenen gemieteten Zimmer zu übernahmen. Zum Glück hatte sie Freunde, die sie aufnahmen.“ Alice gelingt es, ein dreijähriges jüdisches Mädchen zu retten und im letzten Moment selbst aus Amsterdam und vor der GESTAPO, welche sie deportieren wollte, zu fliehen. Fortan lebte sie unter flaschem Namen als Jules Goedman. Im Jahr 1943 fand die begabte Zeichnerin im Verborgenen zu ihrer neuen Aufgabe als Passfälscherin. Viele dieser Arbeiten mit den von Alice gefälschten Stempeln und Zertifikaten sind bis heute erhalten geblieben. „Das Fälschen von Unterschriften war auch eine Spezialität meiner Mutter“ so Bermann, die den Jugendlichen zeigte, wie geschickt ihre Mutter dabei vorgegangen ist. „Ende 1943 waren nahezu alle Juden aus Holland in Lagern inhaftiert oder schon deportiert worden, trotzdem hören die ständigen Kontrollen nicht auf. Die Nazi-Besatzer machten jetzt Jagd auf Männer zwischen 20 und 45 Jahren, die zur Zwangsarbeit in Deutschland verschleppt werden sollten.“ Alice Cohn hilft auch untergetauchten Holländern mit ihrem Talent. „Gerne erzählte mir meine Mutter, dass sie im letzten Kriegsjahr Tür an Tür mit dem deutschen Fälscherjäger wohnte.“ Das Kriegsende erlebte das Mitglied der holländischen Widerstandsbewegung mit Freunden. Von ihren Eltern hatte sie nur noch eine Postkarte, da diese nach Auschwitz verschleppt und dort ermordert wurden. „Für Alice wurde aus der Hoffnung, ihre Eltern doch noch wieder zu sehen, die traurige Gewissheit ihres Todes.“

Neuanfang in Liechtenstein

Im März 1946 reiste Alice Cohn erstmals nach Liechtenstein, um eine Grosstante und deren Sohn zu besuchen, die dorthin hatten flüchten können. In Schaan lernte sie Rudolf Bermann, Evelynes Vater, kennen, der 1935 aus Süd-Deutschland nach Liechtenstein gekommen war. Auch er war Jude, der im Fürstentum eine Stelle antrat. Sie, aus der Stadt kommend, habe nicht im Bauerndorf Schaan leben wollen, doch die Liebe habe gesiegt. Nach der Hochzeit und Familiengründung 1947 gründete das Paar die Lackfabrik Schekolin AG in Bendern. „Meine Mutter war immer der Ansicht, dass es als Jüdin ihre Aufgabe gewesen sei, bei der Rettung von Juden und anderen verfolgten Menschen ihren Anteil zu übernehmen. Ihr Leben hing sowieso an einem seidenen Faden und so wollte sie wenigstens „etwas getan“ haben, falls sie verhaftet würde. Sie war glücklich, überlebt zu haben und fühlte sich nie als Heldin.“ Alle Anwesenden hingen der Vortragenden regelrecht an den Lippen. Eine Geschichte, die man nie vergessen darf!

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