Flüchtling aus Syrien hat Kindheitstraum als Barbier erfüllt

© Bandi Koeck

Neben all den tagtäglich auf uns einströmenden Negativ-Schlagzeilen wird es höchste Zeit, über eine positive Geschichte zu berichten, die wie in einem Märchen klingt: Ahmad Omar gelang zusammen mit seiner Familie die Flucht nach Vorarlberg, wo er seinen Kindheitstraum erfüllen konnte. Er ist unser Gsiberger der Woche.

Von Bandi Koeck

Seine Kindheit hat Ahmad Omar in der multiethnischen Großstadt Qamishli im Norden Syriens verbracht. Es ist ein von Kurden beherrschtes Gebiet. Bis zur sechsten Klasse besuchte er dort die Grundschule. „Meine Kindheit besteht aus schönen wie auch schlimmen Erinnerungen“ erzählt er mir auf seine Erinnerungen an die alte Heimat. Er erinnert sich an den frühen Verlust seines Vaters, gelernter Satellitentechniker. „Als er eine Antenne für TV montierte, stürzte er eineinhalb Meter vom Dach und hatte eine Hirnblutung. Die Erstversorgung kam zu spät, eine Woche später verstarb er im Spital.“ Ahmad wird es ganz mulmig zumute, als diese Worte aus seinem Mund kommen. Nach dem Verlust des Familienoberhauptes sei es an ihm gelegen, für die Familie zu sorgen und sofort arbeiten zu gehen. Es war 2011 als der Bürgerkrieg begann. Parallel habe er die Schulbank gedrückt, aber sehr unregelmäßig. „Die Lehrer haben mich mehr geschlagen, als mir zu helfen“ verrät er mir. Der damals 12-Jährige begann als Süsswarenbäcker: „Baklava herzustellen war das schwierigste. Ich habe sie auch verkauft.“ Nach Feierabend habe er zudem als Getränkelieferant gejobbt, um die Familie ernähren zu können. Sein älterer Bruder sei in den Irak gegangen, um dort in einem Restaurant zu arbeiten.

Keine Zukunftsperspektiven

Zu den wenigen schönen Erinnerungen zählen Spiele mit den Kindern aus der Nachbarschaft: „Wir waren etwa zehn Jungen und haben uns mit Holzstöcken und Schildern bewaffnet und unsere Straße beschützt.“ Bei ihrer Straßensperre sei ein Motorradfahrer, der viel zu schnell unterwegs gewesen sei, stecken geblieben. Ahmads Freizeitbeschäftigung als Kind sei gewesen, Munition wie Patronenhülen aufzusammeln. „Ein höllisch lauter Krach ertönte. Als ich aus dem Fenster sah, sah ich überall Rauch“ erinnert er sich an eine Explosion, die alles in ihm veränderte. „Ich hatte fürchterliche Angst, alles war dunkel, überall schrien Menschen und auf dem Boden erblickte ich Leichen.“ Bei diesem Selbstmordanschlag mit einer Autobombe in der direkten Nachbarschaft von Ahmad starben sechs Personen. Einer war sein guter Freund, der dadurch schwer verletzt wurde. „Er sah aus wie eine Mumie!“ Jeden Freitag (dem muslimischen Feiertag) habe es Explosionen durch den Islamischen Staat gegeben. Der junge Mann erzählt von vielen erlebten Selbstmordattentaten, von abgetrennten Körperteilen und Toten auf den Straßsen, die der damals Elfjährige gesehen hat. „Wir konnten nicht mehr länger in diesem Land leben, denn wir waren schutzlos.“ Ahmad macht eine Pause und sagt darauf: „Wenn ich jetzt in Syrien wäre, dann wäre ich im Krieg, denn jeder, der 18 Jahre alt wird, geht direkt.“

Neue Heimat Vorarlberg

Der Entschluss, das Land zu verlassen, war gefasst. Über Schlepper gelangten sie zu Fuß zur türkischen Grenze und erhielten ein sog. „Kimlik“, einen türkischen Ausweis. Von Mardin in Ostanatolien ging es nach Istanbul. Ahmads älterer Bruder war bereits dort und durfte die Familie nachholen. Insgesamt sechs Monate blieben sie in der Türkei. Ihr Ziel war Deutschland, doch als sie im Zug in Vorarlberg erwischt wurden, wurden der fünfköpfigen Familie die Papiere hier erstellt. Die Omars kamen nach Schruns in Wohnungen der Caritas, wo Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Algerien oder Tschetschenien wohnten. „Manche sind schon seit zehn Jahren dort.“ Wie war der erste Eindruck von Vorarlberg? „Alles war grün und nicht so heiß wie in Syrien. Beim Fußballspielen habe ich mir die Hand gebrochen und meine Mitschüler und Lehrer in der Mittelschule Schruns nahmen mich sehr freundlich auf und kümmerten sich sehr um mich“ berichtet der fleißige Schüler, der sehr gut Deutsch gelernt hat. Nach zwei Jahren im Montafon fand die Familie eine Wohnung in Bludenz. Nach Ahmads Pflichtschulabschluss habe er mit Hilfe des BIFO und ganz ohne Internet Udo Neyer vom Haarsalon Crimpers in der Schmiedgasse in Feldkirch kennengelernt. Allerdings nicht sofort, denn der Inhaber sei damals noch in Afrika gewesen. Nach einem Tag Schnuppern, sei er angerufen worden und gefragt, ob er nicht nochmals zum Schnuppern kommen wolle. „Das hat mich sehr gefreut, weil die anderen Frisöre haben das nicht getan.“ Als er das dritte Mal nach Feldkirch gekommen sei, habe er dann auch Inhaber Udo persönlich kennengelernt. „Ich habe ihm gleich gesagt, dass mein Ziel die Meisterprüfung und die Eröffnung eines eigenen Geschäfts ist.“ Das habe Udo beeindruckt.

Große Zukunftspläne

Ahmad durfte in Feldkirch die Lehre beginnen. Drei Jahre später bestand er die Lehrabschlussprüfung. In Udos Hinterkopf war schon lange der Wunsch, einen kleinen edlen Herrensalon zu eröffnen, aber es habe sich nie die richtige Zeit und Möglichkeit ergeben, dies umzusetzen. „Und dann kam Ahmad, der daran aktiv beteiligt war“ gesteht Neyer und führt weiter aus: „Seine Art, sein unermüdlicher Fleiß, sein Talent und Können, seine Freundlichkeit, sein Strahlen und sein großer Wille schon in der Lehre, all das waren der Auslöser, warum ich diesen Schritt, den Traum umgesetzt habe.“ Denn bereits im zweiten Lehrjahr habe auch Ahmad den selben Traum gehabt wie Udo. Ende August 2022 war es schließlich so weit. Wo früher freshe Techno-Tracks im Stone Club liefen, wurden fortan Haare geschnitten. Ahmad ist als Chefbarbier tätig und schwingt das Barbiermesser und die Haarschere. Auf die Eröffnung bestens vorbereitet hat sich Ahmad mit speziellen Herrenseminaren. Was ist das für ein Gefühl? „Einfach traumhaft, es gefällt mir sehr gut.“ Neben klassischem Haare schneiden, waschen, föhnen gehören auch Bart schneiden, Nassrasur mit heißen Kompressen und Augenbrauen zupfen zu Ahmads Hauptaufgaben. Seine geübten Hände schaffen eine kleine Wellnessoase für den Mann und für einen geschmeidigen Bart und eine moderne Haarpracht. Natürlich vermisse er seine alte Heimat Syrien, aber alle Bekannten und Kollegen wären geflohen, viele nach Deutschland oder in die Schweiz, ein paar wenige wären noch in der Türkei. Kontakt zu ihnen hat er bis auf einen mit keinem mehr. Und welche Zukunftspläne hegt der junge Wahl-Vorarlberger? „Die Meisterprüfung steht noch auf meinem Plan. Und wenn Udo in Pension geht, dann werde ich das hier übernehmen“ gerät er sogleich ins Schwärmen und Träumen. Und Privat? „Heiraten und eine Familie gründen“ lacht er.

Zur Person:

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