Ein „Leonardo“ unter einem Ehebett in Tisis?

Das Fragezeichen erübrigt sich, wenn man der Geschichte folgt, die Wolfgang Ilg in einem soeben erschienen Büchlein erzählt. Er schildert eine abenteuerliche Episode, die sich im Jahr 1943 in seinem Elternhaus in Feldkirch-Tisis zugetragen hat. Doch wie kam es dazu?

Fürst Franz-Josef II. von und zu Liechtenstein bemühte sich während des Zweiten Weltkrieges seine enormen Kunstschätze von Wien ins sichere Vaduz zu transferieren. Ein erster Kunsttransport nach Westen fand Anfang Oktober 1943 statt. Es handelte sich um wertvolle kleinformatige Gemälde, die zuvor im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming in einem Notdepot gelagert waren, darunter Leonardo da Vincis „Ginevra de` Benci“. In diesem Bild porträtierte der Künstler um 1478 die hübsche florentinische Bankierstochter Ginevra de` Benci.

Dr. Gustav Wilhelm, Direktor der fürstlichen Kunstsammlung, brachte am 5. Oktober 1943 die Gemälde nach Feldkirch. Ein sofortiger Grenzübertritt schien nicht angeraten, weil nach dem Bombenangriff auf Feldkirch am 1. Oktober 1943 die Nazibehörden eine erhöhte Betriebsamkeit an den Tag legten. In dieser unberechenbaren Situation kam die Speditionsfirma Gebrüder Weiss ins Spiel. Hubert Ilg, der Vater des Autors und Leiter der Weiss-Niederlassung in Feldkirch, wurde von Dr. Wilhelm mit der vorübergehenden Zwischenlagerung der Kunstwerke in Feldkirch beauftragt. Das Weiss-Lagerhaus in Levis, ein Holzbau, kam wegen Brandgefahr nicht in Betracht. Man entschied sich für ein disloziertes Vorgehen im Nahbereich der Liechtensteiner Grenze. Als Verstecke dienten das Feuerwehrhaus in Tisis und eine Hütte im Tisner Ried. Für das kostbarste Bild aller „zwischengelagerten“ fürstlichen Kunstwerke, das Porträt der Ginevra de` Benci, musste ein besonders sicherer Ort gefunden werden. Hubert Ilg nahm das Bild zu sich nach Hause und verstaute es unter dem Ehebett in seinem Haus in der Tisner Carinagasse. Dort verblieb es einige Tage, bis es der Fürst in seinem PKW gut nach Vaduz bringen konnte.

Bild erhielt Fensterplatz auf Swissairflug

Das reich illustrierte Büchlein „Leonardos ´Ginevra de` Benci` in Feldkirch – eine Episode“ beschreibt nicht nur dieses flüchtige Feldkircher Ereignis, sondern auch das Davor und Danach. Die 12 Kapitel des Buches behandeln in einem kurzen Abriss die fürstliche Galerie, das Gemälde selbst, welches auch eine bemerkenswerte, bemalte Rückseite aufweist, seine relativ späte Zuschreibung an Leonardo da Vinci, seine Odyssee in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und schließlich dessen Verkauf an die National Gallery of Art in Washington im Jahr 1967. Das amerikanische Museum zahlte damals den sensationellen Preis von 5 Millionen Dollar. Bei einem Kaufkraftvergleich mit heute wären dies gut 40 Millionen Dollar. Der Marktwert des Bildes, würde man es jetzt verkaufen, wäre allerdings ein Mehrfaches dieses Betrages. Spannend ist die Schilderung des unter dem Codenamen „the bird“ geführten Transports von Zürich in die USA, bei welcher Gelegenheit für das Bild ein Fensterplatz in der Business-Class eines Swissairfluges gebucht wurde.

Ilg streift in seinem Werk auch den im Sande verlaufenen Rechtsstreit zwischen der Republik Österreich und dem Fürstenhaus, dessen Gegenstand die Forderung Österreichs nach einer Rückführung der Gemäldesammlung nach Österreich war. Abgerundet wird die Thematik mit dem Hinweis auf eine Liechtensteiner 10-Rappen-Briefmarke mit dem Ginevraporträt und der Wiedergabe eines Couplettextes des Schaaner Kabaretts „Kaktus“, welches Ende der 60er Jahre den Bildverkauf satirisch aufs Korn nahm.

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