GSIBERGER SIND VOM AUSSTERBEN BEDROHT!

Wolfgang Berchtold. © Patrick Steiner

Unser „Gsiberger der Woche bzw. des Monats“ ist niemand geringeres als der Dialektforscher Wolfgang Berchtold. Er ist im Ländle „Gsiberg“ bekannt durch die Publikation seines Sprichwörterbuchs. Im Interview mit CR Bandi Koeck redete er Tacheles und verriet, wie es wirklich um die vom Aussterben bedrohten Gsiberger und unsere hiesigen Dialekte allgemein steht. Und was meint er mit „Gsi-Genossen“ und „Gsi-Steiner“ genau? Und ist auch der Name Gsi.News bald etwas Historisches?

Gsi.News: Herr Berchtold, woher stammt Ihr Interesse sowie Ihr Wissen über die Dialekte Vorarlbergs?

Berchtold: Zum Abschluss meines Germanistikstudiums habe ich mich in meiner Diplomarbeit ausführlich mit einem Mundartdichter aus Götzis und der Mundart von Götzis auseinandergesetzt. Das hat mein Interesse für die Regionalgeschichte und die regionalen Dialekte geweckt. Seit rund 20 Jahren befasse ich mich wieder ausführlicher mit diesen beiden Wissensgebieten.

Gsi.News: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Dialekt und Mundart?

Berchtold: Der Begriff Mundart wurde im 17. Jahrhundert als deutsches Synonym zu dem aus dem Lateinischen entlehnten Fremdwort „Dialekt“ gebildet. Erstmals findet sich das Wort „Mundart“ im „Deutschen Helicon“ (1640) des Autors Philipp von Zesen. Dialekt und Mundart werden seither in der Bildungssprache synonym verwendet. Es wurde öfters versucht, den Begriff „Dialekt“ durch das „deutschere“ Wort „Mundart“ zu ersetzen. Es hatte aber keinen Erfolg. Im Vorarlberger Dialekt verwendet man den Ausdruck „Mund“ eigentlich nicht, für uns ist es das etwas derbe „Muul“, welches im Mittehochdeutschen wertneutral wie das heute schriftsprachliche „Mund“ verwendet wurde. So sind für uns in Vorarlberg beide Begriffe nicht aus der hier gesprochenen Sprache, aus der Sprache des Volkes, entstanden. Dialekt und Mundart werden heute gleichbedeutend nebeneinander verwendet.   

Gsi.News: Was ist für Sie die interessanteste Tatsache der hiesigen Dialektformen?

Berchtold: Der Dialekt hat bei uns in Vorarlberg nicht jenen Stellenwert wie in der Schweiz, aber der Dialekt hat auch bei uns die Kraft auf schnelle Art Nähe herzustellen. Wir VorarlbergerInnen sind ja eigentlich eine kleine Gruppe in der deutschen Sprachlandschaft, die dieser Sprachform mächtig ist. So kommt es, dass auch im Kontakt mit wildfremden Menschen durch die gemeinsame Mundart sofort eine gewisse Vertrautheit hergestellt wird.      

Gsi.News: Können Sie unseren Lesern bitte erklären, woher der Begriff „Gsiberger“ stammt und welchen Stellenwert er für Menschen aus Vorarlberg einnimmt?

Berchtold: So wie jeder Ort Vorarlbergs von seinen Nachbargemeinden einen zumeist etwas spöttischen Übernamen umgehängt bekommen hat, haben die Österreicher hinter dem Arlberg für die VorarlbergerInnen den „Gsiberger“ erfunden. Das liegt wohl daran, dass wir im Dialekt keine Mitvergangenheit kennen und wir z.B. „I bin im Wald gsi“ statt „I war im Wald“ sagen. Das „gsi“ steht dabei für hochdeutsch „gewesen“ und das klingt für die bayrisch-österreichischen MundartsprecherInnen in Restösterreich sehr eigenartig. So hat wohl ein kreativer Witzbold dieses für den Vorarlberger Dialekt typische „gsi“ mit dem zweiten Teil der Bezeichnung für die hiesigen Landsleute (Vorarl)„berger“ zu dem, anfangs ebenfalls spöttisch gedachten Übernamen „Gsiberger“ zusammengefügt. Noch meine Elterngeneration hat sich über diesen Übernamen geärgert. Dies wird übrigens auch im Schlusssatz des Liedes „Oho Vorarlberg“ von Köhlmeier/Bilgeri thematisiert: „Und dass jo kaana mehr Gsiberger sogt!“. Sie haben diese Aufforderung natürlich ironisch gemeint, mit einem leichten Seitenhieb auf die humorlosen Vorarlberger Landsleute. Heute empfinden wir diesen Ausdruck eher als Ehrentitel, und in Kreisen von Mundartfreunden hat sich der Ausdruck „Warberger“ als Warnbegriff an all jene, die das „gsi“ aus ihrem Dialekt durch „war“ ersetzt haben, etabliert.

Meme aus Instagram. Quelle: VorarlbergMemes

Gsi.News: Da viele (Ost)Schweizer sowie Liechtensteiner auch das „gsi“ verwenden, können wir da auch von „Gsibergern“ sprechen oder ist das nur Menschen aus dem Ländle Vorarlberg vorenthalten?

Berchtold: Ja, unsere alemannischen Nachbarn verwenden auch dieses „gsi“, aber es fehlt dort das „berger“. Man könnte sie höchstens als „Gsi-genossen“ (von Eidgenossen) oder als „Gsi-steiner“ (von Liechtensteiner) bezeichnen. Aber da es innerhalb der Schweiz nur einen deutschen Dialekt gibt, eben das „Schwiizerdütsch“, kommt niemand auf die Idee, sich selbst mit einem etwas spöttischen Übernamen zu bedenken.

Gsi.News: Sie behaupten, dass der klassische Gsiberger in naher Zukunft ausgestorben sein wird. Warum ist das so und kann zur Rettung der Gsiberger etwas unternommen werden?

Berchtold: Der „Gsiberger“ verwandelt sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ganz allmählich und in immer schnellerem Tempo zum „Warberger“. Nicht nur junge Menschen verwenden den Dialekt zur schriftlichen Handy-Kommunikation, da dieser zum einen emotionaler und zum anderen ökonomischer ist. Sätze mit dem mundartlichen Perfekt sind umständlicher als Sätze mit schriftsprachlichem „war“. Zum Beispiel benötigt man für „I bin düat gsi.“ 11 Buchstaben, für „I war düat.“ nur 8. Aber die Mundart verändert sich nicht nur durch das „gsi“, es wirken sehr viele Einflüsse auf die Mundart ein und verändern sie im Wortschatz, in der Aussprache und in der Grammatik: vor allem von Seiten der (neuen) Medien, aber auch durch deutschsprachige ZuwandererInnen aus anderen Mundartregionen. Ein Zuwanderer aus Bayern oder der Steiermark hat größeren Einfluss auf unseren Dialekt als z.B. ein türkischer Immigrant. Aussterben wird die Mundart nicht, aber wir bekommen durch die große Mobilität auch im inneren unseres Landes eine Mischmundart, die sich aus verschiedenen Elementen der regionalen Vorarlberger Mundartvariationen und aus schriftdeutschen Einflüssen herausbildet. Hier entgegenzuwirken ist schwierig, aber wenn ich so die Vorarlberger Mundartszene betrachte, habe ich den Eindruck, dass viel in dieser Richtung unternommen wird.

Gsi.News: In den letzten 150 Jahren haben manche Menschengruppen in Vorarlberg eine Mischsprache zwischen Mundart und Hochsprache im Alltag verwendet (Stichwort „Bödeledütsch“), vermutlich um sich abzugrenzen?

Berchtold: Die Mundart bzw. der Dialekt wurde von der Oberschicht im 19. und 20. Jahrhundert lange Zeit als minderwertig, als Sprache des „einfachen“ Volkes, angesehen und abgelehnt. Man wollte sich nicht nur durch exklusive Hausbauten, abgeschottete Ferienhäuser, attraktive Fortbewegungsmittel, extravagante Kleidung, elitäre Sportarten, die Mitgliedschaft bei diversen noblen Vereinen, etc., sondern auch durch eine andere Sprache von der Mehrheit der Menschen abheben (Bödeledütsch, Ganahldütsch, Pfänderdütsch). Aus dieser Abgehobenheit blieb dann im letzten Drittel des 20. Jh.s vielfach nur noch eine gewisse Peinlichkeit übrig, und als solche wird sie heute überwiegend wahrgenommen, wobei die in diesen Sprachmustern Erzogenen dies mitunter selbst als unangenehm empfinden und diese Sprechart vermeiden. Man gewinnt heute fast den Eindruck, dass die Mundart zu einem besonders geschätzten und gepflegten Objekt auch der Oberschicht, vor allem des Bildungsbürgertums, geworden ist. Man hat offensichtlich erkannt, dass wir in Vorarlberg nichts Unverwechselbareres aufzuweisen haben als unseren Dialekt. Er hat sich zum wichtigsten Identitätsmerkmal gemausert.

Gsi.News: Ein Grund für eine ständige Veränderung der Dialekte und Mundarten ist der starke Einfluss der englischen Sprache auf sozialen Netzwerken, TV und Radio?

Berchtold: Dieser Einfluss wirkt sich sowohl auf die Mundart als auch auf die Schriftsprache aus. Tausende deutsche Begriffe wurden bereits durch Anglizismen ersetzt, ohne dass wir das richtig wahrnehmen (z.B. Meeting statt Treffen, Team/Mannschaft, Slow-Motion/Zeitlupe, downloaden/herunterladen, Highlight/Höhepunkt, Swimmingpool/Schwimmbecken, Single/Alleinstehender, Flop/Misserfolg, joggen/laufen, ckecken/prüfen, Container/Behälter, Double/Doppelgänger, Feedback/Rückmeldung). Das hat mit den weltweiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen und den dadurch sich ergebenden sprachlichen Annäherungen zu tun. Mich wundert in Bezug auf die ständig stattfindenden Sprachveränderungen vor allem eines, und zwar, dass sich die konservativen Sprachkontrolleure vor allem auf ein Element der Spracherneuerung stürzen, nämlich auf die Bemühungen, den Frauen in unserer Sprache den ihnen gebührenden Platz einzuräumen. Da wird mit einer Heftigkeit gegen die Nennung beider Geschlechter aufgetreten, dass man sich nicht mehr wundert, dass es so lange gedauert hat, bis die Frauen jenen Grad an Gleichstellung erkämpft hatten, den sie heute haben.     

Gsi.News: Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Einblicke!

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