Die katholische Kirche in der Ausweglosigkeit ihrer absolutistischen, dogmatischen Glaubenslehre

© Bandi Koeck

Laut Bibel schuf Gott den Menschen aus dem Staub der Ackerscholle und blies ihm dann den Odem des Lebens in die Nase (Gen. 2,7). Diese Fabel wurde im 4. Laterankonzil sogar de fide definita dogmatisiert, das heißt, man muss das glauben, sonst ist man verdammt. Dieser biblische, auf primitiver Glaubenslehre basierende naive Dualismus mit seiner negativen Bewertung des Leibes, hatte permanent auch die Abwertung der Sexualität zur Folge.

Von Adi Untermarzoner

Die Sexualität und die damit auftretende Lust wurden als fleischlich, schmutzig und schwer sündhaft verteufelt. Fast 2000 Jahre lang wurde vertreten: „Jede außerhalb der Ehe gesuchte geschlechtliche Lust ist eine Todsünde.“ Die wissenschaftlich unhaltbare Lehre des Dualismus von Leib und Seele ist nicht nur im Alten, sondern auch im Neuen Testament so beim Evangelisten Johannes zu finden: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt nichts …“ (Joh.6, 63). Besonders der eigentliche Gründer der Kirche, der Apostel Paulus, ist der Prototyp für Leibfeindlichkeit und Herabwürdigung der Sexualität. Hier nur eines der vielen leib- und lustfeindlichen Zitate dieses Psychopathen, Röm.7, 18: „Ich weiß ja, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nicht Gutes wohnt …“  Zu wieviel Leid und zu welchen Perversionen diese Schmähung in der gesamten Geschichte der Kirche führte, hat Karlheinz Deschner detailliert auf 500 Seiten geschildert.[1] Mit der Leibfeindlichkeit war immer auch die Abwertung der Frau eng verknüpft.[2] Diese Diffamierung der Sexualität als fleischlich und sündhaft war auch 1139 ein Grund für die Durchsetzung der Verpflichtung der Priester zum Zölibat. Es ging freilich primär um die Verhinderung des Verlustes von Kirchenbesitz durch die Vererbung an die Kinder der Kleriker. Dieses Motiv zur Erhaltung des kirchlichen Reichtums wurde nicht breitgetreten, sondern die dualistische Abwertung des Fleischlichen und die Glorifizierung des Geistigen, des Göttlichen, wurden betont. So wurde Priesteranwärtern vom Pater Prior in Stams ca. 1953 in tiefster emotionaler Überzeugung erklärt, dass es abscheulich und skandalös wäre, wenn der Priester, nachdem er in der Nacht sich der irdischen fleischlichen Lust mit seiner Frau hingab, am Morgen bei der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi ausspreche: „hoc est enim corpus meum“ (Das ist mein Leib). Diese Wandlungsworte rezitieren in der katholischen Kirche, laut Statistik 2001, ca. 415 000 Priester täglich. Im Spiegelartikel „Gottes heimliche Kinder“ wurde erklärt, dass in den vergangenen 30 Jahren 100 000 Priester diese Hokuspokus-Zeremonie und ihren Beruf aufgegeben haben.

Die Schilderungen der Leiden und Schicksale der von Klerikern verführten Frauen und der Priesterkinder sind schwer ertragbar. Offizielle kirchliche Statistiken über diese Taten gibt es aus Gründen üblicher klerikaler Scheinheiligkeit nicht, aber inzwischen erscheint eine Flut kritischer Literatur über diese kirchlichen Probleme von pseudokritischen Klerikern, Theologen und scheinfrommen katholischen Laien, denen es nicht mehr gelingt, diese erschütternde Realität zu verdrängen. Sonderbarerweise bleiben sie trotzdem bei der Kirche und glauben weiterhin an den lieben Gott, selbst solche, die persönlich von der Diffamierung betroffen sind, weil sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen.

Hier fünf Muster dieser aktuellen Literatur:

Trotz seines infantilen Glaubens an den lieben Gott hat Wunibald Müller ein reales Bild von der Kirche. Zu den Missbrauchs-Skandalen schreibt er: „Das ist und bleibt entsetzlich und unfassbar. Es offenbart, welch schreckliches und menschenverachtendes System die Kirche sein kann. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu relativieren.“[3] Er verlangt von der Kirche konkrete und radikale Reformen. Zitat: „Wenn es überhaupt noch möglich ist und es nicht längst zu spät ist: Was wir augenblicklich erleben, ist der Zusammenbruch eines kirchlichen Systems, das sich überlebt hat. Ein Zusammenbruch, der offensichtlich nicht mehr aufzuhalten ist, mag man sich auch noch so vehement dagegen stemmen. Dass es mit der Kirche weitergeht, ist nicht selbstverständlich und gottgegeben. Auch Dinosaurier sterben aus.“[4]

In seinem 2020 erschienenen Buch „Verbrechen ohne Ende, Notwendige Konsequenzen aus der Missbrauchskrise“ beschreibt er schonungslos und differenziert die Missbrauchs-Skandale. und stellt an die kirchliche Führung elementare Forderungen.

Als eigentlichen Grund dieser Skandale sieht Müller die Abwesenheit Gottes in der Kirche: „Es war und ist die Abwesenheit Gottes in der Kirche, seine Abwesenheit im Herzen vieler Verantwortlicher, die ein solch schamloses Verhalten gegenüber den betroffenen Opfern möglich machte.“[5] Wiederholt verweist er im Buch auf den lieben Gott. Durchgehend gebraucht der Doktor der Theologie einen völlig unreflektierten, naiven Gottesbegriff, wie er bei frommen, reaktionären Gläubigen üblich ist. Mit kritischer theologischer und philosophischer Literatur zum Gottesbegriff, etwa bei Sloterdijk[6] oder Michael Schmidt-Salomon[7], hat er sich anscheinend nicht befasst. Seine wiederholte Phrase „Gott ist die Liebe“ ist an Einfalt kaum überbietbar. Bei ihm und den oben angeführten Autoren finden sich durchgehend utopische Forderungen zur Reform der katholischen Ideologie, besonders hinsichtlich der Sexualmoral. Obwohl sie inzwischen von den Werteinstellungen des Humanismus und der Aufklärung geprägt und überzeugt sind, schaffen sie es nicht, sich von der Kirche zu trennen. Diese Kontroversen bestehen nicht nur zwischen progressiven Theologen und Bischöfen, sondern auch innerhalb des Episkopats. Selbst Papst Bergoglio (Franziskus) ist involviert. Er ist freilich ein Meister der theologisch nebulösen, verschwommenen Sprache. Es bleibt ihm auch in dieser Institution nichts anderes übrig als zu schwafeln. So fragt er scheinheilig und pharisäerhaft: „Wer bin ich, dass ich über Schwule richte?“, als ob er nicht wüsste, dass Homosexualität biblisch begründet in der Kirche schon seit ihrem Bestehen als Todsünde und Perversion diffamiert wird und laut Lev  20, 13 mit dem Tode zu bestrafen ist. Offensichtlich kennt Papst Bergoglio die Bibelstellen Lev 20,13; Lev 18,22; Paulus 1 Kor 6,9; Röm 1 26 f; 1 Tim 1,10; nicht oder er verdrängt sie. Die ganze Inhumanität und Frauenfeindlichkeit der Bibel wird besonders im ersten Kapitel des Römerbriefs deutlich. Der Zorn Gottes enthüllt sich vom Himmel her über die Gottlosen. Röm 1, 26 „Ihrer Gottlosigkeit wegen gab er sie schmählichen Leidenschaften preis; ihre Frauen verloren sich in ‚widernatürlichem Umgang‘ statt des natürlichen, ebenso setzten Männer die natürliche Beziehung zur Frau hintan und entbrannten in zügellosem Begehren zueinander …“ Die Bibel kennt das Wort „lesbisch“ nicht, aber mit „widernatürlichem Umgang“ wird es umschrieben. Mit „widernatürlichem Umgang“ zeigt sich nur der in der Bibel vertretene, wissenschaftlich unhaltbare Naturbegriff.

Offensichtlich ist Papst Bergoglio bewusst geworden, was die eigentlichen, fundamentalen Ursachen des massenhaften sexuellen Missbrauchs von Kindern durch seine Priester sind. In seiner Enzyklika „Amoris Laetitia“ versuchte er, einen Wendpunkt für die Moraltheologie zu erreichen. Im Gegensatz zu den oben zitierten Theologen kann der jetzige Papst Bergoglio nicht derart radikal gegen die bisherige leib-und lustfeindliche Lehre seiner päpstlichen Vorgänger Ratti, Pacelli, Montini, Wojtyla und Ratzinger vorgehen. Er hängt ausweglos in der Zwickmühle zwischen den Ideen und Reformvorschlägen der oben von der Aufklärung infizierten Theologen und den absolutistischen Lehren seiner Vorgänger. Mit seiner Enzyklika „Amoris Laetitia“ versucht er, diesem Dilemma zu entkommen. Dabei unterstützen ihn im deutschen Sprachraum die oben angeführten systemimmanenten, opportunistischen Theologen. Diese von demokratischen Staaten wie Deutschland und Österreich finanzierten theologischen Universitätsprofessoren versuchen mit ihren umfangreichen, eher pseudokritischen Arbeiten allerdings primär ihren eigenen Job zu retten.[8] Aufgescheucht von den zahlreichen, stets ansteigenden Kirchenaustritten und von dem noch viel gravierenderen Desinteresse an religiösen Lehren der Formalkatholiken, versuchen diese systemtreuen Theologen krampfhaft die Ideologie, die Bergoglio in „Amoris Laetitia“ vertritt, zu retten. Noch viel härter betroffen sind der Papst und seine Vertreter von der generellen Gleichgültigkeit und dem allgemeinen Desinteresse der 90 % gesellschaftlich angepassten Pseudomitglieder der Kirche. Um dem Dilemma der eigenen absolutistischen Ideologie und der inhumanen leib- und lustverdammenden Sexualmoral zu entkommen, wurde von Papst Bergoglio vorgeschrieben, synodale Treffen abzuhalten (Synode vom altgriechischen Synodos:  Versammlung, Treffen, gemeinsamer Weg). So wurde für das Jahr 2023 eine Weltsynode, also ein Beratungsprozess der gesamten katholischen Kirche, geplant. Von 2021 bis 2023 sind in den Staaten synodale Treffen von Bischöfen, Theologen und Vertretern kirchlicher Organisationen vorgesehen, deren ausgearbeitete und durch die Mehrheit angenommene Konzepte 2023 bei der Weltsynode im Vatikan diskutiert und eventuell als gemeinsame Lehre festgelegt werden.

Vor allem in Deutschland entstand bei der vierten Synodalversammlung ein heilloses Desaster, weil der Grundtext zur Sexualmoral „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhielt. Es spielten sich zum Teil dramatische Szenen ab. Einige Synodale verließen aus Protest den Raum, manche mit Tränen in den Augen. Spontan kam es zu einer Protestkundgebung. Einer der Synodalen hielt ein Transparent mitten in der Synodalaula hoch mit der Aufschrift „Kein Raum für Menschenfeindlichkeit“. Im Dokument wurden Reformen der seit Jahrhunderten bestehenden sowohl leib- und lustfeindlichen als auch menschenfeindlichen katholischen Sexualmoral gefordert.

Der Sexualitätstext umfasst 30 Seiten. Die darin geforderten Einstellungen zur Sexualität sind für halbwegs human gebildete Menschen schon jahrzehntelang indiskutable Selbstverständlichkeiten, die allerdings der seit Jahrhunderten vertretenen katholischen Sexualmoral völlig entgegengesetzt sind. Offensichtlich sind die Autoren des Textes von der Aufklärung derart infiziert und meilenweit von der bisher herrschenden katholischen Sexualmoral entfernt. Ihre Forderungen sind für viele Bischöfe utopisch. Der Theologe Karl Rahner schrieb bereits vor vierzig Jahren von der grauen Durchschnittlichkeit dummer Bischöfe. In der Kirche machten meistens die systemangepassten, opportunistischen Priester Karriere. Daher war von vornherein nicht zu erwarten, dass die im Text  erhobenen Forderungen mit der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Von den 57 Bischöfen, die ihre Stimme abgegeben hatten, stimmten 33 Bischöfe dafür, 21 dagegen und drei enthielten sich der Stimme. 40 % der Bischöfe verweigerten somit dem Dokument die Zustimmung.

Der Text über die Sexualmoral wurde bei der Synode verfasst im Wissen um die abertausend publik gewordenen sexuellen Missbrauchsskandale von Kindern und Frauen durch Priester. Aber bereits der zweite Satz ist eine typisch pharisäerhafte, klerikale Nivellierung: „Die Sexuallehre der Kirche zu den Fragen von Liebe, Sexualität und Partnerschaft sei nicht unmittelbar ursächlich.“ Der normative Hintergrund ist aber die katholische Moraltheologie, die noch im 20. Jahrhundert gelehrt wurde und von Leib- und Lustfeindlichkeit strotzt.[9] In der Präambel des Textes ist anschließend doch noch das Geständnis zu finden, welch entsetzliche Leiden den frommen Gläubigen durch diese misanthropische Sexualmoral zugefügt wurden. Ziel der Präambel ist es, die jährlich steigende Zahl von Kirchenaustritten zu stoppen.

Die Autoren des Textes über die Sexualmoral waren dadurch zu Forderungen gezwungen, die der bisherigen Morallehre total widersprechen. Zudem wissen die Autoren, dass sich die meisten Kirchenmitglieder, selbst Gottesdienstbesucher, nicht an diese stupide kirchliche Sexualmoral halten. Daher spricht der Text von einer Neuakzentuierung der kirchlichen Sexuallehre. Es wird nicht mehr, wie in der bisherigen Moraltheologie, von Todsünden und der darauf folgenden ewigen Verdammnis im Höllenfeuer geschrieben, sondern nivellierend vom Verlust der Heilszusage und des Gnadenstandes. Das ist nur eine Formulierung, die weniger hart wirkt, aber letztlich dasselbe bedeutet.

Dem Papst wird vorgeschlagen, folgendes nicht mehr als Todsünde mit den entsprechenden Folgen zu bewerten:

Zudem wird die Anerkennung der Geschlechteridentität jenseits der Binarität männlich, weiblich gefordert, also LGBTQIA – Lesbian, Gay (Schwul), Bi, Trans, Queer, I (Intersex), A (asexuell). Denn alles, was Gott erschaffen hat, kann nicht verwerflich sein.

Dieses Änderungsprogramm ist die reinste Utopie. Dessen Durchsetzung wäre der gesamten bisherigen Morallehre der Kirche diametral entgegengesetzt. Zudem würde das Geständnis implizieren, durch Jahrhunderte die Gläubigen mit menschenfeindlichen Geboten drangsaliert zu haben. Illusionär ist auch, dass solch radikale Änderungen bei den Reaktionären des Vatikans durchgehen könnten, wenn sie nicht einmal beim am wenigsten konservativen deutschen Episkopat akzeptiert wurden. Aus dem Dilemma ihrer reaktionären, absolutistischen, inhumanen Ideologie kann die Kirche nicht entkommen. Ihr Zerfall ist nicht nur in Europa, sondern weltweit unübersehbar. Selbst der bigotte Theologe Müller sieht den Schrumpfungsprozess der Kirche weitergehen und sich intensivieren. Er glaubt an den lieben Gott, der aber, seiner Meinung nach, schwer an der katholischen Kirche leidet.

[1] Karlheinz Deschner , Das Kreuz mit der Kirche, Eine Sexualgeschichte des Christentums, Econ Verlag 1974

[2] www.kulturzeitschrift.at, Artikel 3-5

[3] Wunibald Müller, Verbrechen und kein Ende? Echter Verlag 2020, S. 14

[4] Ebd. S. 15

[5] Ebd. S. 19

[6] Peter Sloterdijk, Nach Gott, Suhrkamp 2017

[7] Michael Schmidt-Salomon & Lea Salomon, Leibniz war kein Butterkeks, S. 45-63, Pendo Verlag 2011

[8] Stephan Goertz, Caroline Witting (Hg.), Amoris Laetitia – Wendepunkt für die Moraltheologie?, Katholizismus im Umbruch 4, Herder 2016

[9] Heribert Jone, Katholische Moraltheologie, Verlag Schöningh Paderborn, 1953

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