Von Albert Wittwer
Die Videokamera einer Drohne, eines Hubschraubers, zeigt einen jungen Mann, der auf einer hölzernen Terrasse an der Sonne sitzt und liest. Auf der Straße nähern sich gepanzerte Fahrzeuge. Bewaffnete in Kampfmontur springen heraus und ergreifen ihn. Er trägt Shorts und ein T-Shirt. Die Handschellen klicken. Die Szene, der Festnahme eines AlKaida-Terroristen würdig, mit dem Segen des Pentagon von CNN weltweit übertragen, ist real. Die Publicity soll Folgetäter abschrecken.
Der gerade mal einundzwanzigjährige Reservist ist als EDV-Experte vom Pentagon mit geheimdienstlichen Erkenntnissen befasst worden. Er hat ein gutes Dutzend Informationen auf Zettel abgeschrieben, dann fotografiert und in Chatgruppen bei seinen Freunden damit angegeben. Er ist gottesfürchtig und ein Waffennarr. Kommt in den USA immer gut.
Sein Spitzname ist OG, das bedeutet „original gangsta“, also in meiner Küchenübersetzung etwa: Urgestein. Es ist das typische Verhalten eines unreifen jungen Mannes, der in seiner Peer Gruppe angeben, seinen Status ausbauen muß. Er ist weit davon entfernt, seine Emotionen zu kontrollieren. Sein Weltbild ist in einem embryonalen Stadium. Aus Sicht der Persönlichkeitsentwicklung gilt heute als gesichert, daß man allenfalls mit fünfundzwanzig oder dreißig Jahren als erwachsen gelten kann. Das erinnert an das alte Römische Reich, dort war man mit sechsundzwanzig erwachsen.
Ich weiß, in einer Gesellschaft mit fortgeschrittenem Jugendwahn bewege ich mich außerhalb des Mainstream. Es sind aber nicht gesicherte Erkenntnisse, sondern gesellschaftliche, politische Entscheidungen, die die Jugendlichen als Arbeiterinnen, Soldaten, Wählerinnen, Gamer und Konsumentinnen vermeintlich ernst nehmen, in Wahrheit bewirtschaften. Bis vor kurzem warben zahlreiche Unternehmen um Angestellte mit dem Etikett: Junges Team. Als hätte das irgendeine Bewandtnis für die Anforderungen und die Zusammenarbeit im und den Nutzen des Unternehmens. Ich behaupte: Im Gegenteil.
Für jedes gechattete Dokument, geleakt ist wohl der falsche Ausdruck, zumal es keine Originale sind, drohen dem Soldaten jetzt zehn Jahre Kerker. Ein Horror.
Wer ist verantwortlich? Wer ein Verkehrsflugzeug fliegen will, wird – zur Sicherheit der Passagiere – sorgfältig psychologisch untersucht. Dem Selbsterhaltungstrieb junger Männer ist ja nicht von vornherein zu trauen, man bedenke die zahlreichen Sport- und Verkehrsunfälle, die von ihnen aus mangelnder Reife und absurder Risikofreude verursacht werden.
Das alles ist den Militärmachthabern bewußt. Ihr Geschäftsmodell ist die Instrumentalisierung besonders der männlichen Adoleszenz. Sie brauchen und benützen unbedarfte Soldaten, es genügen Kampf- und Computer-Nerd-Skills. Dazu fingieren sie die volle Strafmündigkeit mit achtzehn Jahren.
Die Militär- und Geheimdienstmachthaber sind gegenüber der Gesellschaft, die sie bestellt hat und die ihre Gehälter bezahlt, verpflichtet, für einen seriösen Zweck, Juristen würden sagen das Rechtsgut der Sicherheit, zu sorgen. Gegenüber den Untergebenen haben sie, wie jeder Chef, eine Fürsorgepflicht. Die ist in Bezug auf den heillos überforderten Reservisten verletzt worden. Der Pentagonchef räumte das Versagen indirekt ein, als er ankündigt, den Zugang zu Geheimdienstinformationen neu aufzustellen.
§ 1315 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (aus dem Jahre 1811):
„Überhaupt haftet derjenige, welcher sich einer untüchtigen oder wissentlich einer gefährlichen Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedient, für den Schaden, den sie in dieser Eigenschaft einem Dritten zufügt.“
Anmerkungen:
Sh. Der Spiegel u. viele andere: Erwachsen erst mit fünfundzwanzig.
Immanuel Kant, Kategorischer Imperativ: