Von Albert Wittwer
Maschinen und Automatisierung haben am Bau, in aller Erzeugung und bei sehr vielen Dienstleistungen einen Großteil der menschlichen Arbeitskraft ersetzt. Also umgekehrt formuliert, die Produktivität der Menschen, die die Maschinen betreuen und beaufsichtigen, exponentiell vergrößert. Und viele langweilige und erschöpfende Arbeit substituiert.
Jetzt dräut zusätzlich der Schrecken der künstlichen Intelligenz, die nicht nur die Assistentinnen der Rechtsanwälte überflüssig machen, die Buchhalter ersetzen soll, sondern sogar Drehbücher schreibt, die von den sparsamen, ultrareichen Serienproduzenten üppig eingesetzt und vom offenbar geschmacksarmen Publikum unbeirrt gestreamt werden. Streiken die menschlichen Drehbuchautoren in den USA immer noch?
Sogar im Qualitätsjournalismus kann angeblich mehr als die Hälfte der Arbeit durch die KI erledigt werden. Es stimmt, noch vor dreißig Jahren mussten wir bei wichtigen Rechtsfragen warten, bis von der Unibibliothek die aktuellste Entscheidungssammlung mit der Post zugestellt wurde, suchen und blättern, hoffentlich ist das Richtige dabei, abschreiben und dann wieder zurücksenden. Heute dauerte es, wenn man weiß, was man sucht, bloß Minuten. Unsere heutigen Kolleginnen könnten um Eins nach Hause gehen und erst am nächsten Morgen wieder in die Kanzlei kommen. Das trauen sie sich nicht. Wie schaut das aus? Auf keinen Fall darf für fünf mal sechs Arbeitsstunden pro Woche soviel bezahlt werden, daß man davon seine Lebensbedürfnisse decken könnte.
Überall hört man das Aufheulen der Vollbeschäftigungs-Apologetiker. Wer nicht im Hamsterradl schuftet, in seinem Bullshit-Job viele Arbeitsstunden am Sessel des Mitbewerbers sägt oder das Sägen am eigenen Sessel abwehrt, am Abend erschöpft nach Hause taumelt, am Wochenende die kommerziellen Freizeitangebot ausreizt (ja nichts versäumen!), der ist eine Gefahr für das kapitalistische Wirtschaften, sohin die öffentliche Ordnung. Bei zu viel Muße organisiert er sich dann auch noch gewerkschaftlich, was für eine Gleichmacherei. Dabei hat die globalisierte Wirtschaft – „dann beziehen wir das einfach aus, nein Rumänien ist auch zu teuer, aus China“ – mit diesem Solidaritätsunfug gründlich aufgeräumt. Wer ist schon mit einem Uiguren solidarisch?
Es ist unerläßlich, daß wir die Wahl aus sechs Dutzend fünfsitzigen Personenkraftwagen, unzähligen Softdrinksorten in Dosen und, harmloser, vielen verschiedenen Packungen von Walnüssen, Erdnüssen, Paranüssen und gefühlt fünfhundert deutschsprachigen TV-Progammen aufrechterhalten. Ohne eine relevante Überproduktion oder „am Markt vorbei“ werden die Ressourcen, inzwischen nicht zuletzt die verdrahteten und drahtlosen Netze, zu viel geschont. Auch ohne Crypto-Mining verbraucht der internationale Digitalismus soviel Energie wie ganz Deutschland. Was für ein Erlebnis, das Shopping auf Karte, welche Entbehrungen mußten unsere kartenlosen Großeltern erleiden!
Warum erinnert mich das an Karl Marx oder John Maynard Keynes? Letzterer, der Erfinder des Defizit-Spendig, der Staatsausgaben auf Pump, eine der segensreichsten Erfindungen der Volkswirtschaftslehre, prophezeite, wir würden im Jahr 1930 nur noch dreißig Wochenstunden arbeiten müssen. Marx sah vorher, wir würden die viele freie Zeit verbesserter Produktionsbedingungen als der Nachhaltigkeit verpflichtete Jäger, Fischer oder Künstler verbringen, ohne davon leben zu müssen.
Welch ein Irrtum der großen Denker.
Warum ändern wir es nicht? Halten unsere aktuelle Form des Wirtschaftens, für unausweichlich, naturgesetzlich?
Byung-Chul Han: „Wir gleichen immer mehr jenen Tätigen, die rollen, wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik“…Die menschliche Existenz wird von Tätigkeit restlos absorbiert…Die Freizeit, die der Erholung von der Arbeit dient, bleibt deren Logik verhaftet. Als ein Derivat der Arbeit bildet sie ein Funktionselement innerhalb der Produktion“.
Anmerkung:
Byung-Chul Han: Vita Contemplativa, Ullstein 2023
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