Das Völkerrecht wird verletzt
Die Ukraine wird vom großen Nachbarn grundlos überfallen, auch die Zivilbevölkerung terrorisiert, einzelne Menschen gezielt und willkürlich ermordet, ohne irgendeinen Bezug zu Kampfhandlungen auf ukrainischem Boden. Bei ihrer Selbstverteidigung ist die Ukraine darauf bedacht, möglichst keine Angehörigen der russischen Zivilbevölkerung zu verletzen und die Kampfhandlungen nicht auf das russische Territorium auszuweiten. Abgesehen von einigen Drohnen, die demonstrativ bis Moskau vorgedrungen sind. Allerdings weniger spektakulär als der verblichene Prigoschin mit seiner Wagner-Truppe. Von einer proportionalen militärischen Gegenwehr kann nicht die Rede sein.
Von Dr.iur. Mag.oec. Albert Wittwer
Es erinnert an einen Boxkampf, in dem sich der Angegriffene bloß verteidigt und darauf warten muss, bis der Angreifer aus Erschöpfung aufgibt. Das ist allerdings von Russland nicht zu erwarten. Die Sanktionen sind halbherzig, sie werden großflächig unterlaufen und auf die „eingefrorenen“ Milliarden greift kein Staat zugunsten der Ukraine zu. Das würde die Finanzmärkte schwer „verunsichern“.
Israel wird von einem überaus fragilen, winzigen Pseudostaat, dessen Bevölkerung die Herrschaft einer Terrorgruppe mindestens toleriert, mit vielen Raketen angegriffen. Menschen sterben. Die Terrorgruppe verschleppt unschuldige, hauptsächlich jugendliche Teilnehmer eines Festes als Geiseln und benützt sie und die eigene Bevölkerung als Schutzschild vor der völkerrechtlich gerechtfertigten militärischen Antwort Israels, die auch der Befreiung der Geiseln dienen soll.
Das Uno-Flüchtlingshilfswerk bezeichnet nach den Angriffen und Blockaden Israels die Lage im Gaza-Streifen als katastrophal. Schon seit Jahren war die Bevölkerung auf Hilfe aus der Europäischen Union angewiesen. Etliche arabische Staaten solidarisieren sich aktuell mit den Palästinensern. Gespräche Saudi Arabiens mit Israel sind abgebrochen worden. Im offiziellen Westen wird sorgfältig vermieden, die militärische Reaktion Israels, die angemessen sein und die Zivilbevölkerung schonen sollte, was fraglich bis unmöglich erscheint, zu bewerten.
Das Völkerrecht angegriffener Staaten ähnelt dem Recht jedes Menschen auf Selbstverteidigung. Es dürfte nur die notwendige Gewalt angewendet werden, um dem Angriff zu begegnen oder den neuerlich bevorstehenden zu verhindern. Das Recht Israels, die Hamas auszuschalten, steht sohin außer Zweifel. Die toten Kinder in Gaza sind aus Sicht der Militärs „Kollateralschäden“.
Diese beiden Kriege werden eines Tages enden und dann folgt eine strafrechtliche und schadenersatzrechtliche Aufarbeitung. Mit Sicherheit wird es schon im Diesseits zu Klagen, Anklagen und Urteilen kommen. Weitaus förderlicher für alle Seiten aber wäre ein rascher Friede. Egal, ob man ihn nur als vorläufigen Waffenstillstand bezeichnen kann. Von Endlösungen haben wir in Europa sowieso die Nase voll.
Der ehemalige US-Aussenminister Kissinger hat sich geäußert, dass im Vorfeld der beiden Kriege die verantwortlichen Führer der Supermächte versagt haben. Denn die gibt es immer noch.
Mich erinnert diese Analyse an „Reichtum und Wohlstand der Nationen“ von John Landes. Er beschrieb, dass in einem Gebiet große Not herrscht, wenn die Barone, gemeint lokale Machthaber, sich gegenseitig bekämpfen (dürfen). Demgegenüber ist es ein Fortschritt, wenn ein Diktator, um im Bild zu bleiben ein großer Kaiser, die Barone in Schach hält. Noch besser geht es der Gemeinschaft in der Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung und dem Schutz individueller Rechte.
Wir wissen, die Uno ist keine Welt-Demokratie und wir wünschen uns auch nicht einen Weltkaiser, der die Ukraine oder das Westjordanland oder den Gaza-Streifen irgendwem zuweist. Aber es ist tragisch, dass die wirklich mächtigen Staaten ihre Mittel und Möglichkeiten nicht einsetzen, sich nicht darauf verständigen, die Beendigung der Kampfhandlungen zu erwirken.
Rechtsquellen humanitäres Völkerrecht sh. u.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Humanit%C3%A4res_V%C3%B6lkerrecht