Attentate, Blockaden, Sanktionen, Spionage, Brände, Überschwemmungen, Staumeldungen, Spitzengagen für Kicker und Manager, Gewinnmaximierung und Steuervermeidung bei stagnierenden Löhnen.
Von Dr. Albert Wittwer
Bedeutende Journalisten, die von berufswegen und aus persönlicher Ethik verpflichtet sind, die laufenden Ereignisse zu verfolgen, zu beschreiben, darüber zu berichten, sie einzuordnen, beschreiben die Gegenwart als Wiedergänger der späten Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Damals befand sich der Kontinent Europa im Aufruhr, im Umbruch – und driftete geschichtsvergessen, nostalgisch in den neuen Abgrund von einfachen Antworten: Rassismus, totalitärer Ideologie und – daraus wohl unvermeidlich – den großen Krieg. Der kann durch Unterwerfung – unter Putins oder Netanjahus Gesetz – nicht vermieden werden. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“
Konkret halte ich es im politisch-öffentlichen Raum für falsch, sich in der globalisierten Welt, in der uns nur die Gemeinschaft mit den demokratischen europäischen Staaten schützt, auf eine absurde Neutralität zurückzuziehen.
Wie aber gehen wir in unserem alltäglichen Leben mit „multiplen Krisen“ um?
Viele Menschen in den reichen Staaten, in denen für die meisten keine materielle Existenzbedrohung besteht, leiden an Zerstreuung, Spaß, Ablenkung, fehlgeleiteter Selbstverwirklichung. Bestenfalls an übertriebener Arbeitslust, die der Flucht vor der Erkenntnis seiner selbst und des göttlichen Funkens dient.
Der deutsche Existenzphilosph Karl Jaspers schrieb vor etwa hundert Jahren: „Es geht darum, eine Haltung der inneren Freiheit und des Mutes zu entwickeln, die es ermöglicht, trotz aller Schwierigkeiten und Sinnfragen des Lebens einen Weg zu finden und zu gehen.“ Diese Haltung resultiert nicht aus einer Naivität oder Ignoranz gegenüber dem Leiden und den Herausforderungen des Lebens, sondern aus einer tiefen Auseinandersetzung mit der Existenz und einem bewussten Entschluss, dem Leben dennoch einen Sinn zu geben.
Dazu ist es wohl nötig, „in den Brunnen zu springen“. Goethe vermeinte, dass der eigene Seelengrund das Unbekannteste und Erschreckendste sei. Schon früher irritierte mich seine Meinung (in Faust), in seinem Innersten sei er jeder Untat fähig. Ich halte es mehr mit Zimbardo, es gibt „natural heroes“. Darunter versteht er den Menschen, der auch unter großem Druck und Drohung, noch weniger unter bloßer Versuchung, keine Untat begeht. Für uns Normalsterblichen empfiehlt er: „support the heroic imagination“. Wir mögen uns vorstellen, zu dem Menschen zu werden, der wir sein wollen. Etwa gütig, großzügig, mitfühlend, hilfsbereit, stark und ausdauernd.
Anmerkungen:
- Adorno: „es gibt kein richtiges Leben im falschen“. In Minima Moralia.
- Augustinus zugeschrieben: „Die übertriebene Arbeitslust…“
- Philip Zimbardo: The Heroic Imagination Project