Rheticus – das verkannte Genie aus Vorarlberg

Fotos: Helmut Köck

Zum 450. Todestag von Georg Joachim Rheticus fand ein viel beachteter Vortrag von Philipp Schöbi statt. Über 80 interessierte Teilnehmer erlebten zwei spannende Stunden im Palais Liechtenstein. Bürgermeister Manfred Rädler begrüßte die Gäste mit einem kompakten Rückblick auf das Leben von Rheticus.

Text und Fotos: Helmut Wilfried Köck

Namensgeber der Rheticus Gesellschaft

Georg Joachim Rheticus starb am 4. Dezember 1574. Genau am Barbaratag 4. Dezember 2024 jährte sich sein Todestag zum 450. Mal. Der Namensgeber der Rheticus Gesellschaft war nicht nur der einzige Schüler des Kopernikus, seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung reicht weit darüber hinaus. Gestorben ist Rheticus vergessen und vereinsamt anlässlich eines Besuchs in der damals ungarischen Stadt Kassa/Kaschau, dem heutigen Košice in der Slowakei.

Leben und Wirken

Es ist nur schwer möglich, das turbulente Leben des Universalgelehrten, der die Welt veränderte, kurz in Worte zu fassen, war er doch Mathematiker, Astronom, Kartograph, Instrumentenmacher, Chemiker und Mediziner. Rheticus-Biograf Philipp Schöbi, der sich schon seit vielen Jahren intensiv mit dem Wissenschaftler beschäftigt, vermittelte uns mit einem reich bebilderten Vortrag viele Einblicke. Er zeigte auf, dass sich die wesentlichen Umbrüche des 16. Jahrhunderts in kaum einem Leben so widerspiegeln wie bei Rheticus. Dieser stand als Einziger mit allen drei großen Neuerern der Epoche in Verbindung: Mit Luther, Paracelsus und mit Kopernikus.

Rheticus wurde am 16. Februar 1514 in Feldkirch geboren. Er war der Sohn von Georg Iserin dem Stadtmedicus von Feldkirch, und der norditalienischen Adligen Thomasina de Porris. Sein Vater wurde 1528 wegen Hexerei und Betruges angeklagt und durch das Schwert hingerichtet. Nach der Hinrichtung seines Vaters und dessen „Verdammung des Andenkens“ nahm der 14-Jährige daraufhin den Nachnamen seiner Mutter an, später gab er sich auch den lateinischen Beinamen „Rheticus“, der auf seine Wurzeln in der römischen Provinz Rätien, zu der das Gebiet von Vorarlberg damals gehörte, verwies.

Vortragender Dr. Philipp Schöbi, Landesrätin Dr. Barbara Schöbi-Fink mit Bürgermeister Ing. Manfred Rädler.

Vielfältige Ausbildung

Georg Joachim lernte zunächst an der Lateinschule in Feldkirch und studierte von 1528 bis 1532 in Zürich. Sein lebenslanger Freund Achilles Pirmin Gasser, nachmaliger Stadtarzt von Feldkirch, verfasste ein Flugblatt über den Kometen von 1531, die erste wissenschaftliche Abhandlung über Kometen überhaupt. Diese Kometenerscheinung war mutmaßlich eine Initialzündung für Rheticus‘ wissenschaftliche Laufbahn. Unmittelbar nach der Osterbeichte 1532 in der katholischen Stadtpfarrkirche Feldkirch ging er zum Studium an die Universität Wittenberg, die Hochburg der Reformation, wo er sich 1536 den akademischen Grad eines Magister artium erwarb und seine Antrittsvorlesung gab. Um diese Zeit erfuhr er erstmals von Kopernikus´ revolutionären Ideen, die ihn sogleich faszinierten.

Heliozentrischen Lehre
Von 1539 bis 1541 weilte Rheticus bei Kopernikus in Frauenburg. Er wurde von diesem aufgenommen wie ein Sohn und zu dessen erstem und einzigen Schüler. Gleich nach Ankunft im Mai 1539 verfasste Rheticus in zehn Wochen eine Schrift über die neuartigen Ideen seines Lehrers und brachte sie Anfang 1540 unter dem Titel „Narratio prima“ (Erster Bericht) in Druck heraus. Dieses Buch war die erste gedruckte Darstellung der heliozentrischen Lehre überhaupt. Es fand gleich reißenden Absatz und musste schon ein Jahr später nachgedruckt werden. Dieser Verkaufserfolg beflügelte auch Kopernikus, dem Drängen seines Schülers Rheticus nachzugeben, sein Hauptwerk überhaupt noch zur Druckreife zu bringen und zu veröffentlichen. Kopernikus wurde in Wittenberg unter anderem von Martin Luther für die Vertretung des heliozentrischen Weltbildes scharf kritisiert und verspottet: „Der Narr will mir die ganze Kunst der Astronomia umkehren. Aber die Heilige Schrift lehrt uns, dass Josua die Sonne stillstehen ließ und nicht die Erde.“

Doch Kopernikus und Rheticus ließen sich dadurch nicht beirren. Nachdem sie 1542 gemeinsam zunächst den trigonometrischen Teil des Hauptwerks publizierten, brachte Rheticus auch letzteres nach Nürnberg zum Druck. Weil er in Wittenberg mittlerweile in Ungnade gefallen war, folgte er im gleichen Jahr einem Ruf an die Universität Leipzig. 1543 erschien das Hauptwerk von Kopernikus und erschütterte das bestehende Weltbild, indem es den Menschen für immer aus dem Zentrum der Schöpfung verbannte und damit zur sogenannten Kopernikanischen Wende führte. Es gilt heute als einer der bedeutendsten Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte. Nach Kopernikus´ Tod im gleichen Jahr 1543 wurde Rheticus zum ersten Verkünder der neuen Lehre.

Bild Mitte: Autoren des Buches „Rheticus, Wegbereiter der Neuzeit. 2014“,  Philipp Schöbi (Mitte), Astronom Helmut Sonderegger (links) und Bildhauer Hanno Metzler aus Lingenau, der das Denkmal „Sonnenuhr“ erschaffen hat.

Meilenstein der Mathematik

1545 unternahm Rheticus eine Bildungsreise nach Italien, von der er 1547 enttäuscht zurückkehrte und seinen Freund Conrad Gessner in Zürich besuchte. In einer Publikation Gessners von 1548 veröffentlichte er die erste theoretische Abhandlung über die sogenannte Transversalteilung, auch Schrägteilung der Messskala genannt. Im selben Jahr kehrte er nach Leipzig zurück, worauf für ihn eine schaffensreiche Zeit begann. Unter anderem gab er erstmals die ersten 6 Bücher des Euklid in Druck heraus. Und 1551 gelang ihm ein wahrer Meilenstein der Mathematik durch Publikation der ersten vollständigen trigonometrischen Tafeln der Geschichte.

Inzwischen hatten sich bei ihm hohe Schulden, insbesondere bei den Druckern, angehäuft. Nach einer Anklage verließ er Leipzig 1551 fluchtartig in Richtung Prag und studierte dort drei Jahre lang Medizin. Ab 1554 lebte er in Krakau am königlichen Hof als praktizierender Arzt, verbreitete unter anderem die Schriften des Paracelsus und ließ mit Hilfe mehrerer Angestellter seine trigonometrischen Tafeln auf mehr Stellen und kleinere Winkelschritte ausbauen – ein Werk, das erst 1596 posthum veröffentlicht werden konnte und bis Mitte des 20. Jahrhunderts zum Maß aller Dinge für trigonometrische Berechnungen werden sollte. Ende 1574 einer Einladung des ungarischen Magnaten Hans Ruber nach Kaschau im damaligen Ungarn folgend, erlitt er eine Lungenentzündung und starb am 4. Dezember 1574, also genau vor 450 Jahren, einsam und verlassen von der wissenschaftlichen Gemeinde.

Der bedeutendste Sohn Feldkirchs und wahrscheinlich der größte Wissenschaftler, der je in Vorarlberger geboren wurde. Rheticus hat die Welt verändert: Wäre er nicht gewesen, hätte Nikolaus Kopernikus sein revolutionäres Hauptwerk über das neue, heliozentrische Weltbild weder vollendet noch veröffentlicht. Kopernikus und Rheticus ließen die Sonne stillstehen, das war damals eine ungeheure Feststellung. Nicht mehr der Mensch ist im Mittelpunkt mit seiner Erde, und die Sonne dreht sich um die Erde, sondern die Sonne steht im Mittelpunkt und die Erde bewegt sich – Ohne Rheticus würden wir Kopernikus heute wohl gar nicht mehr kennen!

Ein Danke an die Stadt Feldkirch für den Umtrunk im Anschluss an den Vortrag, wo noch in geselliger Runde diskutiert werden konnte.

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