Ein Viertel aller Eltern hat nach der Geburt eines Babys mit psychischen Problemen zu kämpfen. Dennoch verhindern Tabus und Scham eine frühzeitige Unterstützung. Auf Einladung von Netzwerk Familie plädierte Fabienne Forster im LKH Feldkirch für mehr Hinschauen, Vernetzung und Prävention.
Die meisten Menschen – rund 75 Prozent – werden einmal im Leben Eltern. Etwa 25 Prozent aller Eltern leiden zwischen der Schwangerschaft und dem ersten Jahr nach der Geburt an einer psychischen Störung. „Psychische Störungen gehören auch zu den häufigsten Geburtskomplikationen“, hielt Fabienne Forster in ihrem Vortrag im Landeskrankenhaus Feldkirch fest. Sie teilte auf Einladung des Kooperationsangebots Netzwerk Familie des Vorarlberger Kinderdorfs ihr umfangreiches Wissen. „Die Zahlen machen deutlich, dass psychische Erkrankungen in der Elternschaft kein Ausnahmefall, sondern weit verbreitete Realität sind.“ Dennoch würden sie oft zu spät erkannt oder blieben unbehandelt. Dies gefährde nicht nur das Wohlbefinden und die Gesundheit der Eltern, sondern vor allem auch die Entwicklungschancen der Kinder. „Leider ist das Thema immer noch mit vielen Tabus, Scham und Stigmatisierung behaftet“, kritisiert die erfahrende Praktikerin und Wissenschaftlerin, die als leitende Psychologin in der Gynäkopsychiatrie Will sowie als Fachpsychologin für Psychotherapie und Paartherapie tätig ist.
Warum die Waagschale kippt
Warum die psychische Gesundheit gerade um den Zeitpunkt der Geburt eines Babys fragil ist und leicht aus dem Gleichgewicht geraten kann, erklärt die Expertin so: „Zahlreiche Schutzfaktoren verringern das Risiko negativer Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit: Zeit für geliebte Hobbies zum Beispiel, finanzielle Stabilität, soziale Unterstützung, Freundschaften pflegen, aber auch gesunder und ausreichender Schlaf. Im ersten Lebensjahr nach der Geburt bleibt jedoch gerade dafür oft wenig Zeit und Raum. Dadurch gerät das Gleichgewicht zunehmend aus der Balance. Die Waagschale zwischen Schutz- und Risikofaktoren kippt.“
Die ganze Familie betroffen
Ist ein Elternteil von einer psychischen Störung betroffen, leidet die ganze Familie, weiß Forster. „Es kommt zu einer Abnahme der Partnerschaftszufriedenheit und zu mehr Infektionskrankheiten bei den Kindeseltern. Das Erziehungsverhalten ist weniger feinfühlig, was zu einer Regulationsstörung beim Kind führen kann. Weiters sind Kinder einem größeren Risiko ausgesetzt, selbst auch eine psychische Störung zu entwickeln.“ Der Aufruf von Fabienne Forster ist ein dringlicher: „Lasst uns gemeinsam zur psychischen Gesundheit von Eltern beitragen. Frühzeitiges Hinschauen und Hinhören sind wichtig. Entscheidend ist, präventive Maßnahmen zu ergreifen und gezielt Schutzfaktoren sowie Ressourcen zu stärken.“
In diese Kerbe schlägt Netzwerk Familie. Das Kooperationsangebot des Vorarlberger Kinderdorfs unterstützt Eltern mit Kindern bis zu drei Jahren unbürokratisch und setzt sich für mehr Vernetzung zwischen dem Gesundheits- und Sozialbereich ein. „Es braucht ein ganzes Dorf, das aus verschiedenen Fachpersonen besteht, um Eltern mit psychischen Belastungen zu helfen“, erklärt Ariane Brugger vom Vorarlberger Kinderdorf. Gefragt sei aber auch mehr Aufmerksamkeit von uns allen: „Studien zeigen, dass es im Durchschnitt etwa fünf Personen braucht, die betroffene Eltern direkt ansprechen, bevor diese Unterstützung annehmen. Packen wir es an.“