Schüler erleben Erinnerungskultur hautnah

Zentral der Quader des Erinnerns. Fotos: Bandi Koeck

Wie kann man sich nur annähernd die Dimension von eineinhalb Millionen ermordeter jüdischer Kinder vorstellen?

Von Bandi Koeck

Diese Frage stand im Mittelpunkt der diesjährigen Gedenkveranstaltung zum Holocaust-Gedenktag, die seit dem Jahr 2007 jeden Januar am Schulzentrum Unterland in Eschen stattfindet. In Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis von Yad Vashem Liechtenstein organisierte die Arbeitsgruppe Holocaust-Gedenktag der Oberschule Eschen eine bewegende Gedenkfeier mit über 400 Schülern sowohl von der Oberschule als auch Realschule.

Um die unvorstellbare Zahl eineinhalb Millionen unschuldige Kinder begreifbarer machen zu können, machten sich einige Lehrkräfte viele Gedanken. Ein zentrales Symbol des Gedenkens war der ein Meter große Plexiglaskubus, in den alle teilnehmenden Jugendlichen ein persönliches Spielzeug – ein Kuscheltier, ein kleines Auto oder eine andere Erinnerung – legten. Jedes dieser Spielzeuge wurde mit dem Namen eines ermordeten jüdischen Kindes versehen, um eine greifbare Verbindung zur Geschichte herzustellen. Die Spielsachen verbleiben als tägliche Erinnerung an die Opfer des Holocausts im Kubus. Begleitet wurde dieser Moment von der sanften Beleuchtung hunderter LED-Teelichter. Jeder Anwesende hielt ein Lichtlein in Händen und erhellte damit die abgedunkelte Aula. Es wurde gemeinsam eine ergreifende Atmosphäre geschaffen.

Ein besonderer musikalischer Moment

Für eine Überraschung sorgte der österreichische Künstler Manfred Bockelmann, der jüngere Bruder des legendären Musikers Udo Jürgens. Der 81-Jährige setzte sich spontan ans Klavier – ein Moment, der für alle Anwesenden unvergesslich blieb. Es war das erste Mal, dass Bockelmann eine Gedenkveranstaltung musikalisch begleitete.

Zeichnen gegen das Vergessen

Bockelmann kam bereits einen Tag zuvor nach Eschen und brachte seine Ausstellung „Zeichnen gegen das Vergessen“ mit. Seine großformatigen Porträts von im Holocaust ermordeten Kindern und Jugendlichen, sind international bekannt. Mit Kohle malte er jüdische Kinder, Sinti und Roma sowie Opfer der NS-Euthanasie, die aufgrund von Trisomie 21 oder anderen Behinderungen ermordet wurden – in Konzentrationslagern oder in Anstalten. „Das was ich mache, ist nicht mehr als eine Träne im Ozean“, betonte Bockelmann mit Nachdruck. Unter den Porträts stehen die Namen und das Alter – vom Säugling über zweijährige Kleinkinder bis Jugendliche werden die Zeugnisse des Schreckens der Gräueltaten der Nazis und ihren Kollaborateuren ins Bewusstsein der Betrachter gerufen.

Der Künstler berichtete sehr einfühlsam über seine Arbeit und stellte eindrückliche Fragen: „Wie kann man sich vorstellen, dass Kinder in enge Viehwaggons gepfercht wurden, ohne Wasser, ohne Möglichkeit, sich zu setzen und tage- oder wochenlang quer durch Europa bis Auschwitz oder zu anderen Vernichtungslagern gebracht wurden?“ Besonders schockierend sei, dass die Nazis Kinder mit falschen Versprechungen in die Transporte lockten: „Sie sagten ihnen, dass sie zu ihren Eltern gebracht würden – doch stattdessen schickte man sie in die Gaskammern.“

Bockelmann hob hervor, dass seine Arbeit eine Herzensangelegenheit ist: „Ich verdiene mit meiner Kunst über den Holocaust kein Geld. Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.“ Sein Ziel sei es, junge Menschen zum Nachdenken zu bringen: „Wenn ihr Wahlplakate seht, auf denen Menschen diskriminiert werden, dann müsst ihr etwas unternehmen!“

Ein Projekt mit Tiefgang

Für die Jugendlichen der Schulen war die Begegnung mit Bockelmann und den Kinderporträts eine einmalige Erfahrung. „Es gibt nur eine Rasse – die Menschheit. Wir sind alle gleich.“ Diese Botschaft Bockelmanns blieb vielen besonders im Gedächtnis. Die Idee, sich aktiv an der Ausstellung zu beteiligen, wurde sehr positiv aufgenommen: Aus allen Klassen und Stufen beider Schulen durften Schüler bei der Einführung und beim Aufbau mitwirken.

Das Schulzentrum Unterland hat mit dieser Gedenkstunde eine bedeutende Plattform geschaffen, um Erinnerungskultur hautnah erlebbar zu machen. „Nie wieder ist jetzt!“ – das war die eindringliche Botschaft des Tages. Schüler, Lehrer und Gäste verliessen die Veranstaltung mit vielen Gedanken und dem klaren Bewusstsein, dass Erinnerung nicht nur Vergangenheitsbewältigung ist, sondern eine Verpflichtung für die Zukunft.

Die Ausstellung kann noch bis zum 14. Februar in der Aula des SZU in Eschen besucht werden. Am Samstag, 8. Februar findet eine öffentliche Führung statt. Weitere Informationen auf www.erinnern.li.

Mit dieser Veranstaltung wurde ein wichtiges Zeichen gesetzt – für das Erinnern, gegen das Vergessen und den Unschuldigsten, den Kindern, ein würdiges Gedenken zu geben!

v.l.n.r. SL OSE John Zimmermann, YVFL-Präsident Benjamin Koeck, Verena Leija, Künstler Manfred Bockelmann, SL RSE Pascal Pellet und Arno Brändle.

INFOBOX: Manfred Bockelmann und sein Projekt „Zeichnen gegen das Vergessen“

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